Zum Tod von Loki Schmidt: Emanzipiert und zugewandt
Loki Schmidt, die Ehefrau von Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, starb im Alter von 91 Jahren. Sie war eine international anerkannte Natur- und Pflanzenschützerin.
"In unserem Alter setzt man sich eigentlich keine Ziele mehr. Aber mein Mann sagt immer: Wenn wir den 70. Hochzeitstag schaffen, das wäre schon schön", sagte Hannelore Schmidt, die lebenslang nur "Loki" genannt wurde, noch vor wenigen Tagen in einem Zeitungsinterview. Dieser Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen. Nach einer Fußoperation schien sie zunächst auf dem Weg der Besserung zu sein - aber in der Nacht zum Donnerstag ist die Ehefrau von Altkanzler Helmut Schmidt in ihrem Haus in Hamburg-Langenhorn im Alter von 91 Jahren gestorben.
Der lange gemeinsame Lebensweg des Ehepaares hat die Öffentlichkeit in steigendem Maße angerührt und bewegt. Seit 1942 waren die beiden verheiratet, zwei Kinder gingen aus der Ehe hervor. Die erwachsene Tochter Susanne lebt in London, der kleine Sohn starb während des Krieges im Alter von nur sieben Monaten. Für die Schmidts schien Realität zu sein, wovon viele Menschen vergeblich träumen: lebenslange, loyale Partnerschaft bei Wahrung der beiden eigenständigen Persönlichkeiten. Schon im Alter von zehn Jahren hatten sich die beiden in der Schule kennen gelernt und angefreundet. Zur selben Zeit rauchten sie heimlich gemeinsam ihre erste Zigarette. "Loki und ich rauchen seit mehr als 70 Jahren zusammen", sagte Helmut Schmidt einmal.
Sie selbst erzählte vor einigen Jahren der Zeit, dass sie sich nur an einen einzigen richtigen Streit mit ihrem Mann erinnern könne. Den Anlass habe sie zwar vergessen, aber sie wisse noch, dass sie einen nassen Waschlappen nach ihm geworfen habe: "Es war vor der Währungsreform, ich konnte es mir nicht leisten, etwas Festes zu schmeißen, das hätte zerbrechen können."
Die meisten öffentlichen Auftritte hatte Loki Schmidt - natürlich - an der Seite ihres Mannes. Das pflegt bei Ehepartnern prominenter Politikerinnen und Politiker so zu sein. Aber niemals bestand ein Zweifel daran, dass die ehemalige Lehrerin eigene Interessen und Leidenschaften verfolgte und nicht allein in der Rolle der Ehefrau und Mutter ihre Erfüllung fand. Ihr Einsatz für den Naturschutz, besonders für bedrohte Pflanzen, brachte ihr internationale Anerkennung ein. Auf einer Forschungsreise in Mexiko entdeckte sie 1985 ein bis dahin nicht bekanntes Ananasgewächs, das noch keinen Namen hatte. Fachleute tauften sie ihr zu Ehren "Pitcairnia Loki-Schmidtii nov. spec.". Auch eine tunesische Orchidee und die Neuzüchtung einer Dahlie tragen ihren Namen. Darauf war sie stolz.
Eigentlich hatte sie ja auch Biologin werden wollen. Aber die Tochter armer Eltern konnte das Geld für die Studiengebühren nicht aufbringen. So wurde sie Lehrerin. Und hat ihr Ziel auf Umwegen dann doch erreicht: Für ihre Verdienste um die Botanik wurde Loki Schmidt zur Ehrensenatorin der Hamburger Universität ernannt. Auch die sowjetische Akademie der Wissenschaften verlieh ihr für ihre botanische Forschungsarbeit im Kaukasus einen Ehrendoktor.
Daneben machte sich Loki Schmidt auch als Autorin mehrerer Bücher einen Namen. Zweimal waren sie und ihr Ehemann gleichzeitig auf der Spiegel-Bestsellerliste vertreten. Lange bevor dies üblich wurde, ging sie einen eigenen, unabhängigen Weg, von dem sie auch dann nicht abwich, als ihr Mann zum Bundeskanzler gewählt wurde. Sie war nicht das weibliche Pendant zu Joachim Sauer, dem Ehemann von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ihm merkt man an, wie lästig ihm repräsentative Aufgaben sind, wie ungern er den Prinzgemahl gibt. Bei der Wahl seiner Frau zur Bundeskanzlerin saß er nicht einmal auf der Besuchertribüne. Solche Gesten hatte Loki Schmidt nicht nötig. Sie erfüllte stets das, was sie für ihre Pflicht als Frau eines Spitzenpolitikers hielt - und blieb sich und ihren Interessen dabei doch selber treu.
"Sie war eine fröhliche, zugewandte, emanzipierte Frau", sagt Egon Bahr über sie, der Loki Schmidt seit Jahrzehnten kannte. "Zugewandt und emanzipiert könnte ja wie ein Widerspruch klingen", fügt der SPD-Politiker hinzu. "Aber das war bei ihr eben nicht der Fall." Andere, die sie in Hamburg oder im Ferienhaus am Brahmsee erlebten, schildern sie als ungewöhnlich dezente und zugleich selbstbewusste Frau. "Völlig unprätentiös."
Ihr Ehemann selbst dankt ihr in seinem jüngsten Buch für jahrzehntelange Unterstützung und Hilfe. Und er schreibt: "Ich bin immer noch stolz auf diese Tochter eines Werftarbeiters, mit der ich seit fast sieben Jahrzehnten verheiratet bin."
Eigentlich hätte Loki Schmidt am Donnerstag die "Blume des Jahres" präsentieren sollen, wie seit 30 Jahren schon. Das konnte sie nicht mehr tun. Aber ausgewählt hat sie die Blume des Jahres 2011 noch selbst. Es ist die Moorlilie. Loki Schmidt wollte damit das tun, was sie fast ihr ganzes Leben lang getan hat: Aufmerksamkeit wecken für eine bedrohte, seltene Pflanze und für deren ebenfalls bedrohten Lebensraum.
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