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Zum Tod von Georg KronawitterDer Steh-auf-Schorsch

15 Jahre lang war er Münchner OB. Bei den Bürgern war er beliebt. Doch mit seiner Partei, der SPD, hatte er es nicht immer leicht.

Kronawitters lange Karriere verlief alles andere als geradlinig Foto: dpa

München taz | Während der jüngere Teil der Münchner Bevölkerung sich mitunter schwer damit tut, sich vorzustellen, dass es auch vor Christian Ude Oberbürgermeister in der Landeshauptstadt gegeben haben soll, denken die Älteren oft verklärt an die Jahre unter dem guten alten Hans-Jochen Vogel zurück. Das ist irgendwie gemein. Denn es gibt noch einen dritten im OB-Triumvirat: Georg Kronawitter. Und der hat die Münchner Nachkriegsgeschichte über Jahre hinweg stärker geprägt und dabei entscheidendere Weichen gestellt, als es die öffentliche Aufmerksamkeit bisweilen erahnen lässt.

Geboren wurde er 1928 nicht in München, sondern auf einem Bauernhof in dem kleinen Ort Oberthann, unweit von Pfaffenhofen an der Ilm. Nach dem Krieg machte er in München sein Staatsexamen als Diplom-Handelslehrer. Bereits zehn Jahre später zog er für die SPD in den bayerischen Landtag ein – als landwirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Das Großstädtische war damals noch nicht sein Ding. Doch als Hans-Jochen Vogel 1972 nicht mehr wollte, kandidierte Kronawitter kurzentschlossen für das Amt des Oberbürgermeisters. Mit Erfolg – und 55,9 Prozent der Stimmen. Olympia, von Vogel nach München geholt, fand dann schon unter der Ägide Kronawitters statt.

Kronawitters lange Karriere verlief alles andere als geradlinig. Was auch daran lag, dass er nie einer war, der sich unterkriegen ließ. Wenn es stimmt, dass Menschen erst im Scheitern wirkliche Größe zeigen können, so hatte Kronawitter dazu immer wieder Gelegenheiten – die er genutzt hat. Auf die Rückschläge folgten regelmäßig neue, zum Teil überraschende Erfolge.

Eine herbe Niederlage musste er schon 1978 einstecken – nach nur einer Amtsperiode im Münchner Rathaus. Da musste er den OB-Sessel auf Betreiben der SPD schon wieder räumen, und – welche Schmach! – zum ersten Mal durfte dann nach der Wahl mit Erich Kiesl ein CSU-Mann darauf Platz nehmen. Bei der eigenen Partei hatte Kronawitter damals keinen guten Stand mehr – zu konservativ, zu altbacken, so hieß es, war er den Münchner Sozialdemokraten geworden.

Nachfolger des Nachfolgers

In einer Situation, wo andere sich wohl komplett aus der Politik verabschiedet hätten, zog sich Kronawitter nur kurze Zeit in seinen Bungalow im Schatten der Neuperlacher Wohntürme zurück. Schon bald zog er wieder durch die Ortsversammlungen und die Fußgängerzone. Bei den Münchnern war er dabei noch immer so beliebt, dass es die SPD bei der nächsten Wahl doch wieder mit ihm versuchte. Das Ergebnis: Kronawitter wurde Nachfolger seines Nachfolgers. Die Ära Kiesl blieb eine kurze und wenig beachtete. Die CSU konnte fortan nur noch vom Posten des Oberbürgermeisters träumen. Selbst hochkarätige Kandidaten wie Hans Klein und Peter Gauweiler blieben chancenlos.

Neun Jahre lang blieb Kronawitter dann noch einmal Oberbürgermeister, um 1993 – inmitten seiner dritten Amtsperiode – erneut zu überraschen: Er trat zurück und überließ dem von ihm aufgebauten Christian Ude das Feld. Kronawitter zog es noch einmal in die Landespolitik zurück. 1994 ließ er sich ins Maximilianeum wählen, wo er noch einmal für eine Legislaturperiode blieb. In München errang er sogar ein Direktmandat für die SPD.

In den letzten Jahren hat sich der rote Schorsch immer mehr aus der Öffentlichkeit zurückgezogen

Kronawitter gab sich stets als Mann der kleinen Leute, er sprach eine verständliche Sprache. Als „Robin Hood im Münchner Rathaus“ bezeichnet ihn gar die Süddeutsche Zeitung. Er sei „wohl der härteste und ausgebuffteste Wahlkämpfer“ gewesen, den die SPD je hatte: „Mit treuherzigem Lächeln konnte er die schärfsten Attacken gegen seine politischen Gegner reiten, die er ständig wiederholte, bis sie sich in den Köpfen festgesetzt hatten.“ Dass er Wähler mobilisieren konnte, zeigte Kronawitter zum Verdruss seines zweiten Nachfolgers Christian Ude auch 2004 noch mal, als er aus dem Ruhestand heraus ein Bürgerbegehren anstieß: Damals entschieden die Münchner, dass Hochhäuser in der Stadt die Frauenkirche nicht überragen, sprich: nicht höher als 99 Meter sein dürfen.

Das Thema Gerechtigkeit

In den letzten Jahren hat sich der „rote Schorsch“ immer mehr aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Eine Parkinson-Erkrankung machte ihm zu schaffen. Als stiller Mahner meldete er sich aus dem Hintergrund jedoch immer wieder zu Wort – zum Beispiel in seiner Autobiographie, die vor zwei Jahren erschein. Dann verbarg er auch nicht seine Enttäuschung über den Weg, den seine Partei – zumindest auf Bundesebene – mittlerweile eingeschlagen hatte. Das Thema soziale Gerechtigkeit kam seiner Meinung nach unter Gerhard Schröder und dessen Nachfolgern deutlich zu kurz. Kurz vor seinem 80. Geburtstag sagte Kronawitter in einem Interview: „Die SPD kann nur gewinnen, wenn sie der Bevölkerung klar macht, dass wir zwar den Kleinen nicht alles ersparen können, aber auch die Großen drannehmen.“

Am Donnerstagabend starb Kronawitter nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 88 Jahren, nur eine Woche nach seinem Geburtstag.

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1 Kommentar

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  • „Die SPD kann nur gewinnen, wenn sie der Bevölkerung klar macht, dass wir zwar den Kleinen nicht alles ersparen können, aber auch die Großen drannehmen.“

     

    Nun ja der rote Schorsch war eben auch ein Mann der Vergangenheit und damit den Ideen einer anderen Epoche verpflichtet. Die SPD von 2016 ist auf das Establishment, auf Reiche, Investoren, Manager und Menschen ohne Sorgen ausgerichtet. Von denen gibt es nur leider viel zu wenige, so dass die SPD eben bei den Wahlen nicht gut davon kommt. Aber sie will es ja auch so. Das München der Vergangenheit war auch von anderen Großbedingungen geprägt und dazu gehörte auch dieser Mann, der sich nicht die Hände an den Opfern der Unterschicht schmutzig machte, musste er aber auch nicht. Warum die SPD für ihr langsames Dahinsiechen optierte und ob es noch mal das große Wiederaufstehen gibt, sind interessante Fragen, letztlich aber Spekulation. Die Gesellschaft ist heute individualisiert, atomisiert und entsolidarisiert - dank der SPD und ihrer Agenda-Politik. Aber auch vor dieser 'Wende' haben sich die Milieus gelöst, hat sich der Kit für Solidarität und Großorganisationen langsam gelöst.