Zum Tod Günter Dischers: Ein Leben für den Swing
Der Hamburger DJ Günter Discher überlebte als junger Swing-Fanatic das KZ. Am vergangenen Sonntag ist er 87-jährig gestorben.
Einer der letzten großen Zeitzeugen, der aufgrund seiner Liebe zur Swingmusik 1942 von den Nazis ins KZ gebracht wurde, der Hamburger Swingexperte und Discjockey Günter Discher, ist tot.
1925 geboren in Hamburg-Eimsbüttel, erlebte er die letzten drei Kriegsjahre im Jugend-KZ Moringen. Seine freiheitliche Einstellung, die Liebe zur amerikanischen Swingmusik, seine Garderobe; mit alldem passten er und seine Freunde der sogenannten „Swing-Jugend“ nicht in das folgsame Einheitsbild, nach dem die Nationalsozialisten die Jugend formen wollten. Mit vielen Gleichgesinnten wurde er bestraft, er überlebte glücklicherweise den Horror des KZs. Auf seinen Erfahrungen beruhte 1993 der US-Spielfilms „Swing Kids“ (1993).
Nach dem Krieg, seine Plattensammlung war zerstört, baute er sich eine Existenz als Leiter eines IBM-Rechenzentrums auf und vervollständigte sein neues Musikarchiv. Das Plattenlabel Ceraton aus Hamburg, spezialisiert auf Swing, wurde das musikalische Zuhause von Discher.
Hier brachte er eine CD-Edition mit rund dreißig Titeln Swing- und Tanzmusik heraus, darunter Aufnahmen aus seiner Sammlung mit den Lecuona Cuban Boys, Jack Hylton, Count Basie, aber auch fast vergessenen deutschen Künstlern wie Evelyn Künneke oder Gerhard Winkler. Oft fand man Günter Discher auf Lindy-Hop-Veranstaltungen und bei Tanztees, wo er die schnellen Nummern ankündigte: „Es darf getanzt werden! Ich bitte Sie aber, nicht das Mobiliar zu zerstören!“
Als DJ präsentierte er die Swingmusiker aus seiner großen Sammlung – ca. 25.000 LPs und 10.000 CDs –. über viele Jahre zudem in Radiosendungen des NDR. Dort war er in rund 150 Sendungen des Formats „Das gab’s nur einmal“ der Zeitzeuge für Moderator Gerd Spiekermann.
Die 1996 begonnene Reihe wird sich in ihrer 179. Ausstrahlung am 22. September Günter Discher widmen. „Denn ’wer außer uns Alten soll denn den jungen Leuten erzählen, wie es damals war?‘“, erinnert sich Spiekermann an Dischers Motivation. Er übernahm zusätzlich zu diesen Aufgaben unzählige Vorträge und begleitete Ausstellungen zum NS-Terror. Der Hamburger Senat zeichnete ihn dafür im Jahr 2000 mit der Biermann-Ratjen-Medaille aus.
Noch am Abend vor seinem Tod in Ahrensburg bei Hamburg tat er das, wofür er gelebt hatte: Er legte in einem Altersheim Swingmusik auf, war bester Laune und wachte am Morgen darauf nicht mehr auf. Sein Herz, das über Jahrzehnte für die schwarze Musik schlug, versagte. Deutschlands ältester DJ verstarb letzten Sonntag im Alter von 87 Jahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut