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Zum 10. Todestag von Marwa El-Sherbini„Rassisten sind feige Menschen“

Am 1. Juli 2009 wurde Marwa El-Sherbini von einem Rechtsextremen ermordet. Ein Gespräch über das Erinnern und über antimuslimischen Rassismus.

Starb, nachdem sie vor Gericht von ihren Rassismuserfahrungen berichtet hatte: Marwa El-Sherbini Foto: Matthias Hiekel
Dinah Riese
Interview von Dinah Riese

Frau Hachmann, am Montag jährt sich der rassistische Mord an der Dresdner Apothekerin Marwa El-Sherbini zum zehnten Mal. Was bedeutet dieses Datum für Sie?

Erta Hachmann: Sehr viel. Als der Mord passierte, war ich erst seit sehr kurzer Zeit in Deutschland, und ich habe das sehr intensiv wahrgenommen. Noch heute ist da einmal das Entsetzen an sich: Wie konnte so etwas passieren? Dann ist da auch die Angst: Kann so etwas wieder passieren? Vielleicht sogar mir? Und dann ist da die Wut: Marwa El-Sherbini wurde nicht beschützt, ihre Situation nicht ernst genommen. Sie wurde in den Räumen eines Gerichts ermordet. Die Frage ist: Was haben wir daraus gelernt?

Und? Was ist Ihre Antwort?

Die Politik hat versucht, dar­auf zu reagieren. Die Stadt Dresden hat verstärkt auf politische Bildung gesetzt, hat Veranstaltungen durchgeführt und angefangen, Vereine und migrantische Selbstorganisation zu fördern. Das war vorher sehr mau. Was die Menschen angeht, würde ich diese Frage verneinen. Ich bin selbst keine Muslimin, werde aber oft für eine gehalten. Ich habe dunkle Haare, dunklere Haut – und ich erlebe ständig Rassismus. Und von muslimischen Freundinnen und den Frauen, mit denen wir arbeiten, weiß ich: Allein einkaufen kann für sie sehr schwer sein. Sie werden beleidigt, angegriffen. Am Ende meiden wir den Kontakt mit Menschen, die uns nicht mögen. Aus Selbstschutz lassen wir uns einschüchtern. Leider.

Welche Rolle spielt das Gedenken an Marwa El-Sherbini für Ihre Arbeit?

Stefan Kraft
Im Interview: Eter Hachmann

29 Jahre, ist in Georgien geboren und Vorstandsvorsitzende des Dresdner Ausländerrats. Seit 20 Jahren vertritt dieser die Interessen von Migrant*innen in der Stadt.

Wir haben im Ausländerrat direkt nach dem Mord einen regelmäßigen Treffpunkt für Frauen eingerichtet. Viele Frauen hatten große Angst, vor allem die, die äußerlich als Musliminnen erkennbar sind – etwa weil sie Kopftuch tragen. Zu uns kamen damals auch Frauen, die Marwa persönlich kannten und mit ihr befreundet waren. Einige davon kommen bis heute. Wir haben ihnen einen Raum gegeben, um über ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus zu sprechen. Gerade neulich hat mir eine Frau aus Afghanistan erzählt, dass sie wirklich jeden Tag beleidigt wird. Ich meine nicht nur schiefe Blicke, sondern Sprüche wie „Geh nach Hause“ und „Wir brauchen euch hier nicht“. Damit haben wir Migrantinnen in Dresden jeden Tag zu tun.

Wenn von Opfern von antimuslimischem Rassismus die Rede ist, dann sind in den allermeisten Fällen Frauen betroffen. Warum?

Weil Rassisten feige Menschen sind. Sie gehen der Konfrontation aus dem Weg. Ich werde tatsächlich hauptsächlich dann rassistisch angegriffen, wenn ich allein oder mit den Kindern unterwegs bin. Bei Frauen trauen sie sich mehr. Sie glauben, dass Frauen sich nicht wehren können – nicht nur körperlich. Es gibt ja diesen Irrglauben, dass muslimische Frauen ungebildet sind, den ganzen Tag mit den Kindern zu Hause sitzen und deswegen auch die Sprache nicht lernen.

El-Sherbini wurde Opfer eines Mordes aus antimuslimischem Hass – in der Stadt, wo Jahre später Pegida auf die Straße gehen und vor einer vermeintlichen „Islamisierung“ warnen wird.

Der Mord an Marwa El-Sherbini

Die Tat

Am 1. Juli 2009 wurde die Apothekerin Marwa El-Sherbini im Dresdner Landgericht von einem Rassisten mit 18 Messerstichen ermordet. Die aus Ägypten stammende Frau sollte an diesem Tag gegen den Mann aussagen, der sie mehrfach rassistisch beleidigt hatte. Sie war im dritten Monat schwanger. Ihr Mann Elwy Okaz wurde lebensgefährlich verletzt – und anschließend von der Polizei angeschossen, weil diese ihn zunächst für den Täter hielt.

Die Folgen

Der Täter wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Erst seit der Tat gibt es Waffenkontrollen am Eingang des Gerichts.

Das Gedenken

Am Montag um 13 Uhr wird vor dem Landgericht Dresden an den Tod von Marwa El-Sherbini erinnert. Seit 2015 begehen Aktivist*innen und Initiativen an ihrem Todestag zudem bundesweit den Tag gegen antimuslimischen Rassismus. (dir)

In Dresden ist man als Mensch, der irgendwie anders aussieht, noch viel exponierter als in Städten wie Berlin, die einfach diverser sind. Aber Rassismus ist ein generelles Problem, und er hat viele Gesichter. Er richtet sich gegen ganz verschiedene Gruppen – seien es nun Juden, Muslime oder Ausländer. Wenn eine Muslimin diskriminiert wird, dann werde ich auch diskriminiert. Dass der Islam derzeit so im Fokus steht, ist ein populistischer Schachzug. Weltweit wird über Terrorismus gesprochen, und es wird das Bild eines „Feindes“ gezeichnet. Die wenigsten wissen, was der Islam eigentlich ist. Sie sehen ein Kopftuch und nehmen an, die Trägerin sei ganz anders als sie und irgendwie gefährlich. Das stimmt nicht.

Im Herbst sind in ­Sachsen Landtagswahlen. Mit der AfD könnte eine Partei stärkste Kraft werden, deren Kern Stimmungsmache gegen Mus­lim*innen ist. Was befürchten Sie?

Schon bei der Stadtratswahl jetzt im Mai hat die AfD viel zu viele Stimmen bekommen. Sollten die Populisten je in Sachsen regieren, wäre vieles, was wir aufgebaut haben, in großer Gefahr: die politische Bildung, kulturelle Veranstaltungen und vor allem unsere Vereine, die migrantische Selbstorganisation. Inhaltlich will ich über diese Partei gar nicht reden – da ist nichts außer reinem Populismus. Ich will, dass die Menschen wählen gehen und sich für demokratische Grundsätze einsetzen. Damit das, was vor zehn Jahren passiert ist, nicht wieder passiert, und damit kein Mensch mehr Rassismus erleiden muss. Ob wir da jemals hinkommen? Ich weiß es nicht.

Mehrere Expert*innen und Organisationen haben zuletzt die Einsetzung eines Beauftragen für antimuslimischen Rassismus gefordert. Brauchen wir das?

Das wäre eine einzige Person – die könnte dieses Problem gar nicht beheben. Es wäre ein symbolischer Akt, und Symbolismus hatten wir genug. Das hat unserer Politik nicht gutgetan. Ich würde das Problem lieber an der Wurzel packen mit einer gut ausgerüsteten Arbeitsstelle gegen Rassismus. Am Ende ist mir egal, wie diese Stelle heißt: Wenn ich von Rassismus betroffen bin, muss es jemanden geben, der mir hilft. Und dieser Jemand muss der Staat sein.

Warum ist es Ihnen so wichtig, an Marwa El-Sherbini zu erinnern?

Es ist nicht nur politisch wichtig, sondern auch kulturell und vor allem: menschlich. Diese Frau hat es verdient. Sie war schlau und zielstrebig, wollte sich hier etwas aufbauen. Und sie war mutig. Sie wollte sich gegen die rassistischen Beleidigungen wehren und ging vor Gericht. Das hat sie ihr Leben gekostet. Deswegen müssen wir uns jedes Jahr am 1. Juli versammeln, und wir müssen laut werden bei Diskriminierung. Wir alle, Migranten und Deutsche. Rassismus soll und darf nicht zu unserem Alltag gehören.

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9 Kommentare

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  • Der Islam ist eine Religion, und keine Rasse. "Antiislamischer Rassismus" ist deshalb Unsinn..!

    • 8G
      80336 (Profil gelöscht)
      @Maschor:

      Es ist Ihnen nahezulegen, sich zuerst kundig zu machen, bevor Sie hier sachgerechten Gebrauch von Begriffen als "Unsinn" ausgeben:

      „Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen“ (Albert Memmi)

      • @80336 (Profil gelöscht):

        Das ursprüngliche Zitat von Herrn Memmi lautet keineswegs so, denn es beschränkte den Rassismus auf Unterscheidungen auf Basis biologischer Eigenschaften. Das ist auch die Definition mit der die meisten Menschen etwas anfangen können.

        Die später abgeänderte Definition ist progressiven Linken natürlich viel lieber, weil die Rassismus Keule so viel leichter eingesetzt werden kann und weil das im Einklang mit poststrukturalistischem Denken steht. Klar ist aber auch das man mit dieser Definition außerhalb des Elfenbeinturms nicht weit kommt.

        Aber es wird noch deutlich unterhaltsamer, denn Herr Memmi scheint selber keineswegs der Meinung zu sein das eine Unterscheidung auf Basis von Kultur oder Religion gleich rassistisch ist.



        Er hat nämlich bereits vor über zehn Jahren ein Buch verfasst in dem er die gesteigerte Gewaltbereitschaft von Migranten aus muslimisch geprägten Ländern beklagt und diesen Unterstellt das sie sich in einen Opferdiskurs flüchten, sobald man die Frage stellt inwiefern sie an ihrer prekären Situation eine Mitschuld tragen.

        -> www.youtube.com/watch?v=Zd9muK2M36c

        • 8G
          80336 (Profil gelöscht)
          @Januß:

          Albert Memmi hat zu keiner Zeit die vier Hauptcharakteristika des Rassismus korrigiert:

          - Vorhandensein von tatsächlichen oder fiktiven Unterschieden, die der Rassismus aufnimmt



          - Wertung der Unterschiede zum Nachteil der ‚anderen‘ und zum Vorteil der eigenen Gruppe



          - Verallgemeinerung und Verabsolutierung dieser Unterschiede



          - Legitimierung der durch rassistische Verhaltensweisen hervorgerufenen Handlungskonsequenzen

          Richtig ist hingegen, dass Albert Memmi die kulturelle Rassismuskomponente auch in seiner weiteren Forschung nie aufgegeben hat, da er auch diese zu den wesentlichen Elementen des Rassismus zählt. Die biologische Komponente sieht er am Phänomen des Rassismus „lediglich als Vorwand und Entschuldigung“.



          Vor die Wahl gestellt, ob ich der Forschung folgen solle, oder irreführenden falschen Behauptungen, fällt mir die Entscheidung nicht schwer.

    • @Maschor:

      Es gibt keine menschlichen Rassen. Rassismus kann also durchaus so wie im Text verwendet werden, da ja von einer irrigen Annahme in der Rassenlehre ausgegangen wird.

  • War dass nicht der Fall, wo der Ehemann der Ermordeten lebensgefährlich verletzt und dann auch noch von einer polizeilichen Kugel daran gehindert wurde, bei seiner Frau zu sein?



    Und ein kleiner Junge der alles sah und wie sein Vater damit leben muss?

    Warum sind die beiden hier überhaupt nicht vorhanden? Immerhin behauptet dieser Artikel sich mit antimuslimischen Haß und Rassismus auf der Basis dieser Geschehnisse zu beschäftigen.



    Und der Grund für den Schuß und die Messerstiche gegen den Mann, finde ich dort, obwohl ich nicht so schnell mit solchen Zuweisungen bin, wie die Beteiligten an diesem Artikel es scheinbar gewohnt sind.

    "Wenn von Opfern von antimuslimischem Rassismus die Rede ist, dann sind in den allermeisten Fällen Frauen betroffen. Warum?" DARUM!

    Immerhin bin ich froh, dass Stimmigkeit zumindest insoweit einen Platz bei den hier Beteiligten hat, dass sie Fakten weglassen und ignorieren müssen um ihr Weltbild zu bewahren. Leider macht es die Welt nicht besser.

  • Ich finde die rechtsradikalen von der AfD als Populisten zu bezeichnen, sehr verharmlosend. Diese Leute lehnen das Grundgesetz und die Menschenrechte ab. Sie wollen ein anderes Deutschland. Das sind keine Populisten!

  • 6G
    64457 (Profil gelöscht)

    Ich möchte an dieser Stelle auch mal erinnern, welch verständnisvolle Worte für den Mörder vor 10 Jahren die ehemalige Spercherin von "Dresden für alle" in Ihrer Zeitung fand: taz.de/!5153302/



    Jetzt hat sie ihre therapie sociale ausgebaut, in der bei Opfern für mehr Verständnis für Täter geworben wird: www.kirche-fuer-demokratie.de/274

  • Wann starten endlich umfangreiche Entnazifizierungsmaßnahmen im schrecklichen Dunkeldeutschland und anderen stark infizierten Gebieten?



    Was für eine BRAUNE PEST!!!