Zukunft von Unterhaltungselektronik: Zockende Politiker
Die „Washington Post“ bietet ein Format an, in dem Politiker Videospiele spielen und über Politik reden. Wäre das auch in Deutschland denkbar?
Angela Merkel sitzt vor der Kamera, sie hält einen Controller in der Hand, blickt auf einen Fernseher, spielt Landwirtschaftssimulator – und spricht dabei über Politik. Das ist fiktiv – noch. Denn zumindest in den USA gibt es so ein Format seit Kurzem. Die Washington Post wagt diesen Versuch auf der Streaming-Plattform Twitch. „Playing Games With Politicians“ heißt das Format, mit dem die Zeitung zwei vermeintlich unvereinbare Dinge zusammenbringen möchte: Videospiele und Politik.
Twitch – das ist die Streaming-Plattform für Gamer. Hier setzen sich Spieler vor die Kamera und spielen Videospiele. Bekannte Streamer wie etwa „Ninja“ oder „Dr. Disrespect“ machen über die Plattform viel Geld, da Zuschauer ihren liebsten Kanälen etwas zukommen lassen können. Und Zuschauer gibt es viele: Im letzten Monat etwa waren es täglich durchschnittlich eine Million Menschen, die insgesamt über 700 Millionen Stunden an Livestreams geschaut haben.
Nun also möchte die Washington Post in diesen Markt eindringen. Videospiele und Politik – das scheint in den Augen einiger Gamer nicht zusammenzugehören. So kommt es etwa immer wieder zu einem Aufschrei eines kleinen aber lauten Teils der Spielerschaft, wenn mehr auf Diversität geachtet wird. Wenn etwa eine Frau das Cover eines Shooters ziert, der im Zweiten Weltkrieg angesiedelt ist – die habe es doch damals gar nicht gegeben. Oder wenn in einem Trailer zu einem kommenden Actionspiel ein lesbisches Paar im Mittelpunkt steht.
„Das Format klingt spannend und ist vielleicht eine Brücke zwischen zwei Welten, die erst einmal nichts miteinander zu tun haben“, meint Carola, die wie alle hier befragten Gamer anonym bleiben will. Die 31-Jährige ist seit 2014 aktiv auf Twitch, zunächst als Zuschauerin. Doch 2015 ging sie dann selbst unter die Streamerinnen. Jetzt arbeitet sie halbtags im Lebensmitteleinzelhandel und verdient sich als Twitch-Streamerin etwas dazu. Über 14.000 Follower hat sie schon. Der erfolgreichste Twitch-Streamer, „Ninja“, jedoch hat 9,9 Millionen – der erfolgreichste Deutsche immerhin gut eine Million.
In Deutschland könnte die Scheu zu groß sein
Carola könne sich schon vorstellen, so ein politisches Format auf Twitch zu schauen. Jedoch eher nicht, wenn es sich um amerikanische Politiker handelt. Aber in Deutschland? „Ich denke, dass viele, die sich nicht mit Politik beschäftigen, so einen ersten Anlaufpunkt finden könnten. Andersrum könnten die Politiker eine ganz neue Wählergruppe kennenlernen.“
„Ich finde es gar nicht schlecht, wenn Politiker sich mit dem Thema auseinandersetzen“, findet auch Michael. Er habe sich auch schon einen Stream der Washington Post angeschaut. In diesem hat der Republikaner Matt Gaetz „Madden NFL 2018“ gespielt – also ein „American Football“-Spiel. So was findet Michael aber eher uninteressant. „Was ich mir wünschen würde, ist, dass Politiker mit solchen Spielen konfrontiert werden, die vermeintlich problematisch sind“, meint er. „Counter Strike“ etwa oder „Call of Duty“. Spiele also, die lange Zeit als „Killerspiele“ bezeichnet wurden und so den Diskurs um Videospiele bestimmten. Zudem könne man dann auch über Politik sprechen, die Videospiele direkt betrifft.
Michael schaut abends etwa zwei Stunden Twitch. Zwei Kanälen lässt er regelmäßig Geld zukommen – jeweils 5 Euro im Monat. Er bezweifelt allerdings, dass es so ein Format jemals in Deutschland geben wird. Die Scheu sei viel zu groß.
Das Spielemagazin spieletipps hat vor der Bundestagswahl im vergangenen September einige Politiker gefragt, welche Spiele sie ihren Wählern empfehlen würden. Sie haben tatsächlich Antworten bekommen. Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz spiele demnach gern die Fußballspielreihe „Fifa“. Der SPD-Politiker Sören Bartol das Strategiespiel „Civilization 6“. Und Dr. Peter Tauber von der CDU verbringe gern viel Zeit in dem Rollenspiel „The Elder Scrolls 5 – Skyrim“.
Ein Interesse an Videospielen in der Politik scheint also durchaus da zu sein. Was fehlt, ist wohl eher der unaufgeregte Diskurs – fern von „Killerspielen“ und Sucht –, der Videospiele als ein valides Medium wie Film oder Literatur behandelt. Und dann, wer weiß, findet das nächste Sommerinterview mit Angela Merkel ja vielleicht doch vor einem Fernseher statt. Mit dem Controller in der Hand.
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