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GegendenFachbäumemangel

Vier Baumarten dominieren den deutschen Wald. Kränkeln sie, verschwindet er. Brauchen wir neue Bäume, oder müssen wir erstmal alte Worte vergessen?

Im Wiesbadener Stadtwald wachsen Fichten und Douglasien. Letztere stammen aus Nordamerika und gelten einigen als Hoffnungsträgerinnen Foto: Michael Schick/imago

Von Heike Holdinghausen

Der deutsche Wald macht schlapp – und wir haben nicht mal mehr klare Begriffe, mit denen wir ihn schützen könnten. 13 Einträge umfasst das Glossar des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) zum Thema „gebietsfremde und invasive Arten in Deutschland“. Als „einheimisch“ gelten „Pflanzen-, Pilz- bzw. Tierarten, die von Natur aus in Deutschland vorkommen bzw. seit der letzten Eiszeit ohne Mitwirkung des Menschen eingewandert sind“. „Gebietsfremd oder nichtheimisch“ ist, wer durch den Einfluss des Menschen (beabsichtigt oder unbeabsichtigt) eingebracht wurde. Pflanzen, die Menschen schon vor langer Zeit in die Region eingeführt haben – etwa als sie mit dem Ackerbau begannen – sind Archäobionten und gelten quasi als heimisch. Wer nach der Landung der Europäer in Amerika 1492 gekommen ist, heißt Neobiont und ist nicht heimisch. „Invasive Arten“ sind ebenfalls nicht heimisch, und haben zudem unerwünschte Auswirkungen auf die heimische Flora und Fauna.

Warum ist das wichtig? Auf diesen Begriffen fußen Gesetze und Vorschriften, Förderrichtlinien und nicht zuletzt Vorstellungen davon, was das ist, ein gesunder Wald. Von dem gibt es immer weniger in Deutschland. Dass sich vor allem Eichen, Buchen, Fichten von den drei Jahren der Dürre und Hitze 2018, 2019 und 2020 nicht erholen konnten, zeigen sie in ihren Kronen. Sie werden licht und lassen den Himmel durchscheinen. Fehlen den Bäumen in ihrer Krone ein Viertel oder mehr ihrer Blätter oder Nadeln, sind sie schwer krank. Sie wachsen langsamer, bilden weniger Wurzelmasse aus, sind weniger standfest und können sich schlechter gegen Schädlinge wie den Borkenkäfer wehren. Im schlimmsten Fall sterben sie ab.

Insgesamt ist in den Wäldern nur noch jede fünfte Fichte, Buche und Eiche gesund, den Kiefern geht es nur etwas besser. Das teilt der Waldzustandsbericht des Bundeslandwirtschaftsministeriums mit, der Anfang dieser Woche veröffentlicht wurde. Dramatisch ist das, weil diese vier Baumarten zwei Drittel des Waldes in Deutschland bilden.

Kränkeln Fichten, Kiefern, Eichen und Buchen, ist der Wald an sich in Gefahr. Was uns zurück zum Glossar des BfN führt: Ist es Zeit, Vorstellungen von „heimisch“ und „gebietsfremd“ aufzugeben, neue Bäume anzupflanzen und so das zu retten, was wir „Wald“ nennen?

„Mit statischen Leitbildern wie bisher werden wir immer weniger arbeiten können“, sagt Anke Höltermann, Fachgebietsleiterin für Waldnaturschutz und nachhaltige Waldbewirtschaftung im BfN, „Wir öffnen uns einer dynamischeren Betrachtung.“ Solch ein Satz aus den Reihen des selbstbewussten staatlichen Naturschutzes zeigt, wie erschüttert nicht nur Förster und Waldbesitzer, sondern auch Ökologen angesichts des Zustands des Waldes hierzulande sind. Deshalb fügt die Forstwissenschaftlerin schnell hinzu: „Aber das darf nicht zu Beliebigkeit führen“. Man diskutiere das Thema im Hause intensiv und mit offenem Ergebnis. „Ich glaube allerdings nicht, dass wir irgendwann eine Positivliste herausgeben, mit einer Zahl von x nicht heimischen Baumarten, deren Anbau wir empfehlen“, sagt Höltermann.

Genau solch eine Liste hätte Andreas Bolte gerne. Der Leiter des Thünen-Instituts für Waldökosysteme in Eberswalde forscht seit Langem zu Buchen und ist immer noch erstaunt, wie unerwartet sensibel diese Art auf die Trockenheit und Hitze der vergangenen Jahre reagiert. Die Buche, ist er sicher, wird in höhere Regionen abwandern, in die Mittelgebirge, dorthin, wo Förster bisher Fichten pflanzten. Den Platz der Buchen, etwa in Brandenburg, in Unterfranken, im Rhein-Main-Gebiet könnten bislang nicht heimische Baumarten einnehmen, „die schon bei uns anklopfen“, formuliert Bolte, etwa Zerr-Eichen oder Orient-Buchen, die in den Höhenlagen des Kaukasus wachsen. Eine Liste mit Bäumen, deren Eigenschaften und Verdrängungspotential umfassend geklärt ist, wäre hilfreich, sagt er.

So einfach sei das nicht, antwortet Anke Höltermann. Auch sie dachte lange, die Buche sei stabil. Warum sie mit dem Klimawandel schlechter klarkommt als angenommen, „wissen wir gar nicht“, sagt sie. Es gebe noch so viele offene Forschungsfragen zur Anpassungsfähigkeit heimischer Baumarten. „Wie sollen wir da fremde Arten beurteilen, über die wir noch weniger Erfahrungswissen haben?“

Höltermann setzt demgemäß erst einmal auf heimische Baumarten, die die Förster bislang oft eher links liegen lassen, weil sie von der Holzindustrie nicht nachgefragt werden: Winterlinde, Vogelkirsche, Birke, Elsbeere oder Speierling zum Beispiel. Anders als das Holz von Nadelbäumen wie Kiefer und Fichte ist das Holz dieser Laubbäume schwer zu verarbeiten und in Sägewerken unbeliebter.

Vor allem Privatwaldbesitzer experimentieren deshalb aus Verzweiflung mit Bäumen wie der Libanon-Zeder, der Sicheltanne aus Japan, der Robinie oder der amerikanischen Rot­eiche. „Die können aber invasiv werden und stellen dann eine Gefahr für die heimische Biodiversität dar“, sagt Anke Höltermann, „Sie verdrängen Arten oder mischen sich mit ihnen, sie verändern den Boden.“ Wo sie die Oberhand gewännen, fänden etwa Pilze, Mikroorganismen, Insekten oder Vögel keinen natürlichen Lebensraum mehr.

„Ich kann verstehen, dass der Naturschutz keine Spielwiese will, in der sich exotische Bäume ausbreiten und sich Ökosysteme verändern“, sagt Andreas Bolte. Andererseits bräuchten Waldbesitzer auch Freiheiten, alternative Baumarten und Managementkonzepte auszuprobieren. Die Herausforderung für den Gesetzgeber sei, die Ansprüche beider zusammenzubringen, sagt Bolte.

Gelingen muss der Bundesregierung dies im neuen Bundeswaldgesetz, das die Ministerien derzeit beraten. Bekannt sind nur Entwürfe. Einer davon sieht einen Anteil nicht heimischer, aber standortgerechter Baumarten von 49 Prozent vor. Für Anke Höltermann ein Albtraum.

Andreas Bolte hingegen möchte mit den Begriffen am liebsten gar nicht mehr arbeiten. „Was heute heimisch ist, ist es in 50 Jahren sehr wahrscheinlich nicht mehr“, sagt er, „je nachdem, wie der Klimawandel in Mitteleuropa zuschlägt“. Wo in 50 Jahren im Sommer Temperaturen von 40 bis 45 Grad Celsius herrschten, überlebe keine Buche mehr. Dann müsse man dort eben auf Esskastanien oder Flaumeichen setzen.

„Was heute heimisch ist, ist es in 50 Jahren sehr wahrscheinlich nicht mehr“

Andreas Bolte, Leiter Thünen-Institut für Waldökologie

Die Herausforderung sei, den wahnsinnig schnellen Wandel in den Wäldern zu managen. „Innerhalb des Lebenszyklus eines Baumes von 120 bis 150 Jahren werden sich die Lebensbedingungen grundlegend verändern“, fürchtet der Institutsleiter. Wir müssen die Möglichkeiten dafür schaffen, dass sich der Wandel so vollziehen kann, dass Wald erhalten bleibt – und das gelinge nur mit Vielfalt. „Das Problem ist ja nicht, dass die Fichten sterben“, sagt Bolte, sondern die riesigen Reinbestände von Fichten. „Davon müssen wir wegkommen, dass betrifft heimische und nichtheimische Arten.“ Auch ein reiner Buchenwald sei in zukünftig trockenen Regionen gefährdet.

Natürlich werde sich der Wald verändern, sagt Sven Selbert, Referent für Waldnaturschutz beim Umweltverband Nabu. „Das nicht anzuerkennen, würde ja bedeuten, den Klimawandel zu leugnen.“ Aber die Forstwirtschaft sei anders als der Ackerbau, wo Landwirte saisonweise mit Feldfrüchten experimentieren könnten. „Diesen Sommer mal Hirse statt Winterweizen“, so funktioniere der Wald mit seinen langen Entwicklungszyklen und komplexen Lebensgemeinschaften nicht, sagt Selbert. „Wir wissen nicht, in welcher Klimazukunft wir leben werden, vielleicht kippt die Nordatlantik-Zirkulation und bei uns wird es in 100 Jahren kälter als heute?“. Dann wäre die Fichte wieder eine Option, und ein Wald aus Esskastanien eine Fehlinvestition.

Gerade wegen dieser Unwägbarkeiten sei es wichtig, einen Teil der geschädigten Flächen sich selbst zu überlassen, sagt Anke Höltermann vom BfN. „Beobachten wir doch, was kommt und sich durchsetzt.“ Vor allem aber, betont Andreas Bolte aus Eberswalde, müsse nicht nur die Vielfalt im Wald zunehmen, sondern auch die Vielfalt in der Debatte darüber. „Es bringt nichts, wenn sich immer nur Naturschützer und Waldbesitzer duellieren“, findet er. Es werde Veränderungen und Brüche geben im Wald, aber das sei nicht sein Ende, sagt Bolte. „Wie er künftig aussehen soll, darüber müssen wir alle nachdenken.“

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