Zukunft des Fernsehens: Der Netflix-Konkurrent
Die britische BBC startet zusammen mit dem privaten ITV ein gemeinsames Streaming-Angebot. Kann dies ein Vorbild für deutsche Sender werden?
Die beiden ältesten britischen Rundfunkanstalten, die öffentlich-rechtliche BBC und das private ITV, starten ein gemeinsames Streaming-Angebot. BritBox soll es heißen und den US-amerikanischen Diensten Netflix und Amazon Konkurrenz machen. In den USA und in Kanada gibt es die BritBox bereits seit 2017, sie hat mehr als 500.000 Abonnenten.
Denen werden Dauerbrennern wie „Coronation Street“ und „Eastenders“, aber auch neue Serien geboten. Insgesamt sind zur Zeit mehr als 3.600 Stunden im Angebot. Ende des Jahres soll die BritBox in Großbritannien starten. Sie soll werbefrei sein und mit rund fünf Pfund im Monat etwas billiger als Amazon und Netflix.
Die Kooperation von BBC und ITV ist vor allem deswegen interessant, weil überall auf der Welt die alten Fernsehsender durch die globalen Streaming-Dienste unter Druck geraten sind. Allein in Großbritannien haben Netflix und Amazon im vergangenen Jahr 1,1 Milliarden Pfund eingenommen – doppelt so viel wie sämtliche Fernsehsender zusammen mit ihren Streaming-Plattformen kassiert haben. Und nun drängen auch noch Apple TV+ und Disney+ auf den Markt, vermutlich noch dieses Jahr.
In Deutschland träumt der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm längst von einer europäischen, mindestens aber deutschen „Super-Mediathek“, der sich Öffentlich-Rechtliche, Private und die Zeitungsverlage anschließen können sollen. Die dürfte zwischen all den verschiedenen Medien- und Wettbewerbsgesetzen aber schwer umzusetzen sein. Ende Juni ist immerhin Joyn gestartet, eine neue, kostenlose Mediathek von ProSiebenSat.1, die Inhalte von Pro Sieben, Kabel 1, aber auch dem öffentlich-rechtlichen ZDF und Arte anbietet.
Kartellamt hat keine Bedenken
Die BBC und ITV wollten bereits 2007 einen gemeinsamen Streaming-Dienst einrichten. Bei Project Kangaroo war auch Channel 4 mit an Bord, und im März bekundete der Sender sein Interesse, auch diesmal einzusteigen. Das britische Kartellamt würgte das Projekt damals aus Wettbewerbsgründen ab. Diese Gefahr droht nun nicht mehr.
Der BBC-Generaldirektor Tony Hall klingt daher euphorisch. Man werde den Briten „Inhalte anbieten, die sie besonders lieben – von alten Favoriten bis zu neuen Programmen und brandneuen Auftragsproduktionen“. Das Problem allerdings: Die BBC hält lediglich an einer der 25 beliebtesten Fernsehserien komplett die Rechte, nämlich an „Doctor Who“. Drei große BBC-Erfolgsserien – „Bodyguard“, „Killing Eve“ und „Poldark“ – sind von unabhängigen Firmen produziert worden. Diese Firmen gehören ITV, die Rechte an ihnen haben sie allerdings an Netflix verkauft.
Sicher, die BBC hat in ihrem Archiv die vielen Uraltserien, doch die sind vor allem beim Uraltpublikum beliebt. ITV plant zwar, in den nächsten zwei Jahren 65 Millionen Pfund in die Produktion neuen Materials zu investieren. Im Vergleich zu Netflix, das allein in diesem Jahr rund 11,5 Milliarden Pfund für Eigenproduktionen ausgeben wird, ist das aber eine klägliche Summe. Und die BBC, die wegen der Fernsehgebühren ohnehin unter Druck steht, wird auch nicht viel zahlen können.
Ian Whittaker, Medienanalyst
Ian Whittaker, ein Medienanalyst bei der Firma Liberum, ist trotzdem optimistisch. „Die Medienelite in London würde sich ‚Coronation Street‘ nicht mal ansehen, wenn man sie dafür bezahlte“, sagte er. „Aber bei der Bevölkerung gibt es eine Nachfrage dafür. Es gibt Menschen, die Netflix nicht wollen.“
Bleibt die Frage, wie gut öffentlich-rechtliche Anstalt und privates Fernsehnetzwerk zusammen arbeiten werden. Der Journalist David Pidgeon schrieb, man müsse sich das Verhältnis zwischen ITV und BBC so vorstellen, als ob ein Investmentbanker und ein alter Sozialist gemeinsam eine Eisdiele betrieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen