piwik no script img

Zukunft der S-Bahn in BerlinWer drängt die Bahn aus der Spur?

Rot-Rot-Grün startet die Ausschreibung zweier S-Bahn-Strecken. Bis 2022 soll klar sein, wer der Deutschen Bahn Konkurrenz macht.

Sie will lieber in Waggons von S-Bahn-Konkurrenten einsteigen: Verkehrssenatorin Günther (Grüne) Foto: dpa

Die Ausschreibung eines Teils der S-Bahn beginnt: Rot-Rot-Grün hat sich nach langen Debatten auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt, teilte Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) am Donnerstag mit. Damit konnten sich die Grünen mit ihrer Position durchsetzen, prinzipiell mehr Wettbewerb auf der speziellen Berliner S-Bahn-Schiene möglich zu machen.

Ob es dazu wirklich kommt, wird sich erst am Ende eines fünfstufigen Vergabeprozesses zeigen – laut den Planungen der Verkehrsverwaltung soll die Entscheidung bis 2022 fallen. Ab Ende 2026 könnten die ersten neuen Wagen fahren. Die Ausschreibung beginnt in den nächsten Tagen.

Konkret geht es um die Nord-Süd-Strecke und die Stadtbahn, also die Ost-West-Verbindung. Bisher fahren hier nur Waggons der S-Bahn. Auch deren Instandhaltung liegt in den Händen des Tochterunternehmens der Deutschen Bahn. Das soll sich laut Regine Günther ändern. Mit der Ausschreibung will sie „Angebote mit hoher Qualität zu angemessenen Preisen“ erhalten und letztlich unabhängiger vom Monopolisten Bahn werden, die weiterhin die Ringbahnstrecke betreibt.

Diese Unabhängigkeit lässt sich das Land in den nächsten Jahrzehnten 8 Milliarden Euro kosten. Es baut einen eigenen Pool an Fahrzeugen auf, die die Betreiber nutzen können. Das ist nötig, da die Berliner S-Bahn-Waggons wegen ihrer speziellen Bauweise nirgendwo sonst eingesetzt werden können; entsprechend wenig attraktiv ist es für Anbieter, in diesen Markt zu investieren. Bei früheren Ausschreibungen blieb letztlich nur die S-Bahn übrig.

Deren Image ist aber nach dem Chaos 2009 schwer angekratzt, als wegen mangelnder Wartung ein Rad brach und viele Waggons über Jahre nicht eingesetzt werden konnten. Zudem würden laut Günthers Berechnungen allein aufgrund des Monopolbetriebs dem Land – und damit den Steuerzahlern und ÖPNV-Nutzern – über 15 Jahre rund 800 Millionen Euro zusätzlich in Rechnung gestellt.

Insgesamt investiert das Land 8 Mil­liar­den Euro in das Projekt

Interessenten gebe es genug, gab sich G00ünther am Donnerstag optimistisch. Mit einer niedrigen zweistelligen Zahl von Unternehmen hat die Verwaltung Vorgespräche geführt.

In einer ersten etwa sechsmonatigen Phase können sich Firmen ab Beginn der Ausschreibung offiziell bewerben. Diejenigen, die in die engere Wahl kommen, können in vier weiteren Phasen ihre Angebote konkretisieren. Ausgeschrieben werden jeweils der Betrieb der beiden Strecken über 15 Jahre sowie – unabhängig davon – die Beschaffung und Instandsetzung der Waggons für insgesamt je 30 Jahre. Letzteres soll laut Günther dazu dienen, dass die Unternehmen möglichst hochwertige Fahrzeuge anschaffen und diese nachhaltig warten. Unternehmen können sich für alle vier Optionen bewerben, aber auch für einzelne oder nur eine.

Da die S-Bahn – falls sie leer ausgeht – laut Günther ihre Werkstätten nicht zur Verfügung stellen will, müssen die künftigen Verantwortlichen für die Instandhaltung mindestens zwei davon selbst errichten. Sie fallen nach Ende der Vertragslaufzeit an das Land Berlin ebenso wie die Fahrzeuge, versicherte Günther. Deren Beschaffung soll rund 2,7 Milliarden Euro kosten, ihre Instandhaltung über 30 Jahre etwa 2 Milliarden Euro.

Bedenken der Koalitionspartner

Für den 15-jährigen Betrieb der beiden Strecken rechnet das Land mit Kosten von 3 Milliarden Euro. Im kommenden Jahr soll eine landeseigene Fahrzeuggesellschaft gegründet werden, der die Waggons gehören. Günther betonte: „Die Vorgaben der Vergabe sichern dem Land Unabhängigkeit vom beauftragten Unternehmen.“

Die Koalitionspartner SPD und Linkspartei hatten lange Bedenken gegen mehr Wettbewerb geäußert. Sie sorgten sich unter anderem um die Sicherheit der Arbeitsplätze und befürchteten schlechtere Bedingungen für bisherige S-Bahn-Mitarbeiter. Günther will dem entgegenwirken, indem Tarifbindung, Mindestlohn und eine möglichst weitgehende Verpflichtung zur Übernahme von Personal Teil der Vergabe sein soll: „Überall dort, wo wir rechtlich die Weiterbeschäftigung obligatorisch machen können, richten wir sie ein.“

Sollte das Verfahren zeitlich wie geplant bis 2022 ablaufen – was nach allen Erfahrungen bei der S-Bahn in jeder Hinsicht fraglich ist –, wird die Entscheidung über die Vergabe eine der ersten in der nächsten Legislaturperiode und eines eventuell neuen Verkehrssenators sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.