Zugehörigkeit: Die Ehre des Andreas Wankum
Wie der Immobilienunternehmer Andreas Wankum, ehemals Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hamburg, um die Anerkennung seines Jüdischseins kämpft.
Es ist noch nicht so lange her, da drehte Andreas Wankum das große Rad. Als Immobilienunternehmer mischte er mit beim Neubau der HSV-Arena, als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hamburg unterzeichnete er den Staatsvertrag mit Ole von Beust. Wankum stand im Rampenlicht, öffentliche Auftritte waren in Blitzlichtgewitter getaucht, und es ist wohl nicht zu viel gesagt, dass er diese Auftritte genossen hat.
Jetzt sitzt Wankum, 55, an einem trüben Freitagnachmittag in einem Saal des Hamburger Landgerichts, Pressekammer, und die Zuschauerbänke sind fast leer. Wankum trägt einen eleganten grauen Anzug mit einer gelben Schleife im Revers, demonstrativ gelangweilt schaut er nach hinten, sucht Blickkontakt mit den wenigen Getreuen, die gekommen sind.
Wankum klagt gegen Spiegel online, wo ein Bericht über ihn stand, der nicht sehr schmeichelhaft war. Es ging darin sehr viel um Wankums Mutter Ruth, die auf dem Jüdischem Friedhof in Hamburg ruht. Eine Vertreterin der Jüdischen Gemeinde hatte gesagt, möglicherweise werde man "über eine Umbettung reden müssen", die Vertreterin, es ist Karin Feingold, stellvertretende Vorsitzende der Gemeinde, ist jetzt als Zeugin geladen.
Umbettung, Störung der ewigen Totenruhe: das ist ein heikles Thema für einen Juden, aber genau darum, ob Andreas C. Wankum, als ehemaliger Vorsitzender der Gemeinde einst Mitglied im Zentralrat der Juden, überhaupt Jude ist, geht es in dem Prozess. Sein Nachfolger Ruben Herzberg hat ihn aus der Gemeinde ausgeschlossen, über ein Jahr ist das jetzt her. Wankum sei "unter falscher Flagge gesegelt", sagte Herzberg damals dem Hamburger Abendblatt.
Der jetzige Gemeindevorstand hatte Akten ausgegraben, nach denen bei Wankums Mutter als Religion nicht jüdisch angegeben war, sondern evangelisch und später "verschiedene". Auch seine Großmutter und Urgroßmutter seien als "lutherisch" registriert gewesen. Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat - oder übergetreten ist. Übergetreten ist Wankum nicht, daher, folgerte der Gemeindevorstand, sei er kein Jude.
In dem Streit sind die Fronten verhärtet. Hat sich Wankum, der auch als CDU-Abgeordneter in der Hamburger Bürgerschaft sitzt, mit Hilfe von Barsilay in die Jüdische Gemeinde eingeschlichen, um politisch wieder auf die Beine zu kommen, wie seine Gegner behaupten? Wenige Monate nachdem er in die Gemeinde aufgenommen worden war, musste Wankum im Dezember 2000 Privatinsolvenz anmelden, weil er mit dem Bau des HSV-Stadions in Zahlungsschwierigkeiten geraten war. Seine Geschäfte konnte Wankum nur weiterführen, weil seine Frau einsprang. Sie ersteigerte für ihn auch wieder sein Ferienhaus auf Sylt.
All das habe Wankums Karriere nichts anhaben können, schrieb der Spiegel. Mit seiner Wahl zum Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde habe Wankum "im Hamburger Rathaus protokollarisch wieder weit oben" rangiert.
Weil er das nicht auf sich sitzen lassen will, ist Wankum hier und spielt mit seinem Blackberry, während die Vernehmung von Gemeindevorständin Feingold auf den entscheidenden Punkt zusteuert. Wer denn die entscheidende Autorität sei, zu bestimmen, ob jemand als Jude beerdigt wird oder nicht, wollen die Richter wissen. Die Kultuskommission der Gemeinde? Oder der Rabbiner? "Das ist eine rabbinische Entscheidung", sagt Feingold kleinlaut und bestätigt damit, was sie nicht bestätigen will.
Der damalige Landesrabbiner Dov-Levy Barsilay war es, der Wankum in die Gemeinde aufgenommen hatte. Auch er ist als Zeuge geladen, als eiliger Zeuge, denn der Sabbat beginnt in wenigen Stunden.
Also die Mutter von Herr Wankum, die er jüdisch beerdigt hatte: "Wenn Herr Wankum sie nicht hätte jüdisch beerdigen wollen, hätte er sehr großen Ärger mit mir bekommen", dröhnt der Rabbiner, der im Streit von der Jüdischen Gemeinde geschieden ist. In solchen Dingen sei der Rabbiner immer "die letzte Autorität, wie das heute in der jüdischen Gemeinde Hamburg ist, weiß ich nicht", sagt Barsilay, der mit Kippa und Hut erschienen ist, nur den Hut legt er ab, die Kippa nicht.
Einige Tage nach dem Prozesstermin sitzt Wankum in seinem Büro in bester Hamburger Lage, der Blick geht in einen Innenhof, dahinter liegt die Innenalster, die sieht man aber nicht. Wankum ist legerer gekleidet als vor Gericht, sein Anzug nicht ganz so elegant, er trägt auch keine Krawatte, nur die gelbe Schleife steckt wieder im Revers. Mit Israel habe die Schleife nichts zu tun, sagt er, sondern mit den Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan. Allerdings sei er oft in Israel, seine Tochter lebe da, die sei, da seine Frau nicht Jüdin ist, zum Judentum konvertiert, auch sein Sohn befinde sich derzeit dort und lerne die Sprache.
Wankum erzählt gerne von Israel, dem Land, in dem Juden streng orthodox leben und trotzdem Geschäfte machen können. In Deutschland sei das nicht so leicht. "Am Ende haben die Nazis ja doch gewonnen", sagt er, "die besten von uns sind aus Deutschland weggegangen. Wissen Sie, wir Juden sind, wie soll ich sagen, internationaler, wir ziehen einfach woanders hin."
In seinem Büro stehen viele Fotos, die ihn mit den Mächtigen zeigen, Kohl ist dabei, Gorbatschow, aber auch Simon Peres. Ein Foto zeigt Wankum mit einem Enkel von Martin Luther King, "Martin Luther King der Dritte", witzelt er, aber dann lässt es ihm doch keine Ruhe, wie hieß der noch mal richtig, er holt das Foto und zeigt auf das Autogramm: "Dexter Scott King, schreiben Sie das auf."
Seine Familie, sagt Wankum, sei nicht sehr religiös gewesen, nur beiläufig habe er erfahren, dass sie Juden seien, das war 1969 und Wankum war 14 Jahre alt. 1978 oder 1979 soll er dann bei der Jüdischen Gemeinde vorgefühlt haben, wie es um eine Aufnahme bestellt sei. So jedenfalls berichtet es der Zeuge Josef Zweigel beim Prozess gegen den Spiegel. Zweigel, ein kleiner Mann mit großer Brille, sagt, er könne sich noch genau erinnern. "Sie trugen einen Oberlippenbart und fuhren einen weißen Peugeot 504 mit blauen Sitzen!", ruft er Wankum zu. "Beige", sagt Wankum, "die Farbe war beige", aber er nickt.
Wankum habe sich an ihn gewandt, weil er mit dem damaligen Kantor und Geschäftsführer der Gemeinde, Günter Singer, über eine Aufnahme in die Gemeinde sprechen wollte, sagt Zweigel. Später habe Singer ihm, Zweigel, mitgeteilt, dass Wankum die erforderlichen Unterlagen nicht habe beibringen können, dass seine Mutter Jüdin sei.
Mit Wankum habe er dann noch über eine mögliche Konvertierung geredet, und dass er in diesem Fall an einer Beschneidung wohl nicht vorbeikäme. Man sprach über einen Arzt in der Schweiz, der die Prozedur vornehme, und er habe noch gescherzt, Wankum solle die Eisbeutel nicht vergessen. "Sie müssen nämlich wissen", Zweigel wendet sich zu den Richtern, "das ist ziemlich schmerzhaft!"
"Das wird schon stimmen", sagt Wankum später in seinem Büro. Nach einem früheren Gespräch mit Singer sei er immerhin vom Wehrdienst freigestellt worden, als "ehemals politisch Verfolgter" in der dritten Generation.
Die Papiere seien da offenbar kein Problem gewesen. Wankum zückt seinen Blackberry: "Bringen Sie mir doch bitte mal einen Ariernachweis", und dann kommt seine Sekretärin und bringt das Dokument, 1938 unterschrieben, in dem Wankums Großvater umständlich erklärt, dass "Morgenstern" gar nicht unbedingt ein jüdischer Name ist, wie viele glauben, und in dem beigefügten Familienstammbaum steht entweder nichts oder "evangelisch". Sein Großvater habe ihm erzählt, dass sie die Dokumente in der Nazizeit gefälscht haben, sagt Wankum, aber darauf komme es gar nicht an. "Die Jüdische Gemeinde ist nicht befugt, über mein Jüdischsein zu entscheiden."
Gleich nach Wankums Rausschmiss hatte sich der Zentralrat der Juden auf seine Seite gestellt. Der Gemeindevorstand unter Herzberg versuche sich eines Gegners zu entledigen, sagte der Generalsekretär des Zentralrats, Stefan Kramer. Für ihn rieche das nach "persönlicher Vendetta".
Gegenüber der linksliberalen israelischen Zeitung Haaretz sagte Kramer, es gebe wichtigere Dinge im Judentum als die Frage, ob die Mutter jüdisch sei oder nicht. "Wenn Sie der jüdischen Sache Geld spenden und eine Tochter erziehen, die konvertiert ist und ein traditionelles jüdisches Leben in Israel lebt, dann sind Sie, glaube ich, jüdischer als Leute, die damit drohen, Ihre Mutter aus ihrem Grab zu nehmen."
Inzwischen kann sich Wankum auf ein Urteil des Religionsgerichts der orthodoxen Rabbinerkonferenz berufen, wonach seine Aufnahme in die Jüdische Gemeinde durch den damaligen Landesrabbiner Barsilay mit den Religionsvorschriften übereinstimmt. Barsilay, selbst Mitglied der Konferenz, hatte sich damals auf Zeugen berufen, die bestätigten, dass Wankums Familie jüdisch sei, und in dem Urteil der Rabbinerkonferenz geht es genau darum: wie viele und welche Zeugen gehört werden müssen, damit klar ist, dass jemand Jude ist, ob diese Zeugen Juden sein müssen oder ob auch andere gehen, solche Dinge.
Die Jüdische Gemeinde sagt, dass sie das Urteil noch nicht gesehen hat und darum nichts dazu sagen könne. "Die kriegen das auch nicht", sagt Wankum, "das geht die überhaupt nichts an." Er selbst betrachte sich nach wie vor als Gemeindemitglied.
Im kommenden Jahr sind wieder Wahlen in der Jüdischen Gemeinde, Wankums Liste Atid wird antreten. Ob er selbst kandidieren will, sagt er nicht. Im Sommer, als nach dem Rücktritt von Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust der Senat umgebildet wurde, war er als Wissenschafts- und als Kultursenator im Gespräch. Es wurde nichts daraus. Der Streit mit der Jüdischen Gemeinde habe ihm "politisch eher geschadet", meint er.
In seiner Zeit als Vorsitzender habe Wankum einen "regimehaften Führungsstil" gepflegt, hat Karin Feingold vor Gericht gesagt, mit einem Seitenblick auf ihren Widersacher. Sie ist nicht die Einzige, die das sagt, Wankum hat viele Feinde, aber auch Freunde. Und bis zu den Wahlen ist ja noch etwas Zeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?
Argentiniens Präsident Javier Milei
Schnell zum Italiener gemacht
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?