Zugang zu chinesischen Olympiasiegern: Nationale Nischen
Es ist nicht einfach, sich chinesischen Olympiasiegern wie dem Eisschnellläufer Gao Tingyu zu nähern. Eigentlich ist das auch gar nicht vorgesehen.
Ein lauter Schrei, ein paar Luftsprünge und eine Ehrenrunde mit der Flagge des Heimatlandes über den Schultern. Gao Tingyu tat, was Sportler eben tun, wenn sie gerade olympisches Gold gewonnen haben. Was anders war: Ihm, dem Olympiasieger im Eisschnelllauf über 500 Meter, wurde zugejubelt. Gao ist Chinese und die vielleicht 500 Zuschauer, die chinesischen Volunteers und der nicht allzu kleine Haufen Mitarbeiterinnen des Organisationskomitees der Spiele versuchten so etwas wie Stimmung in das nagelneue Eisschnelllaufoval in der Nähe des Olympiaparks zu zaubern.
Viel mehr als ein mit Stolz aufgeladener, höflicher Applaus ist dabei nicht rausgekommen. Dabei ist Gao nicht irgendjemand. Er hat mit der Skeletoni Zhao Dan die chinesische Fahne bei der Eröffnungsfeier ins Stadion getragen. Ein Musterathlet, ein Musterchinese, der seine Medaille auf Nachfrage eines chinesischen Journalisten seinem Heimatland gewidmet hat. Und sonst? Wer ist dieser Gao Tingyu?
Klar, er ist einer der besten Sprinter auf der Eisschnelllaufbahn. Vor vier Jahren in Pyeongchang hat er Bronze über 500 Meter gewonnen. Im Weltcup ist er in dieser Saison nur selten in Erscheinung getreten. Beim Weltcupauftakt im November in Polen hat er ein Rennen gewonnen. Dann hat er pausiert bis zur Weltcupstation Calgary im Januar. Da ist er Zweiter gewesen. Das Gerücht geht um, dass er nicht nur selten Rennen fährt, sondern auch weniger intensiv trainiert. Ob das stimme, wird er gefragt. „Ja.“ Gut, das wäre geklärt. Immerhin sagt Gao später noch, dass er vor allem an seiner Einstellung gearbeitet habe, dass er dafür seinen Trainern besonders dankbar sei. Auch das ist also nicht viel anders als bei vielen anderen Olympiasiegern. Die sportpsychologische Arbeit rückt immer mehr ins Zentrum der Vorbereitung auf die Wettbewerbe. Und sonst?
Für einen stinknormalen Olympiareporter aus Deutschland ist es nicht so einfach, sich einem chinesischen Sportler zu nähern. Das ist eigentlich auch nicht vorgesehen. Die Journalisten aus aller Welt werden vor den Rennen den Nationen zugeordnet, aus denen sie kommen. Russische Journalisten sollen Russen befragen und bekommen eine eigene Nische in den Interviewzonen am Rande der Wettkampfstätten.
Seelenloser Blick auf chinesische Athleten
Der deutsche Journalist soll sich hinter dem Schild postieren, auf dem groß „GER“ prangt, und besonders viel Raum wird meistens den Reporterinnen aus den USA freigeräumt, weil für die Staaten besonders viele Medien aus Peking berichten. Mehr Platz wird nur für die chinesischen Medienhäuser frei gehalten. Die Sprachbarriere tut ihr Übriges und so passiert es, dass über chinesische Athleten wie Gao oft merkwürdig seelenlos berichtet wird, als seien sie nichts weiter als Marionetten im Propagandaspiel der Kommunistischen Partei.
Immerhin wird die Pressekonferenz der Medaillengewinner gedolmetscht. Dort sitzt Dao mit Maske vor den Pressevertretern. Ob er bei seinen Antworten lächelt, mal sauer dreinschaut, ob er sich über eine Frage ärgert, wundert oder freut, ist ihm nicht anzusehen. Und dann ist er auch noch wortkarg! Ob er nach seiner Karriere weiterstudieren wolle? „Ja.“ Ob es etwas Besonderes für ihn gewesen sei, hier in der Heimat Gold für China zu gewinnen? „Ja, schon.“ Ob er aufgeregt gewesen sei. „Ja.“ Was er zu seiner Zeit von 34,32 Sekunden zu sagen habe, das sei schließlich olympischer Rekord. „Wenn man Gold holen will, muss man so schnell laufen.“ Dann endlich eine Frage, mit der der coole Kerl da auf dem Podium ein wenig geknackt wird. Er sei ein so zurückhaltender Typ, wie er ausgerechnet zum Sprint auf dem Eis gekommen sei. „Ich mag die Geschwindigkeit und liebe das Geräusch des Windes in meinen Ohren, wenn es schnell wird.“ Was für ein Satz!
Dann erzählt er noch, dass er sich gefreut habe, einen Song von Jay Chao zu hören, als er in die Arena gekommen ist. Jay Chou? Wieder tut sich eine kulturelle Mauer vor dem deutschen Sportreporter auf. Der Popstar aus Taiwan, der überall in China verehrt wird, hat es auch Gao Tingyu angetan. Wer sich über den Sound dem Sieger nähern möchte, wird auf Spotify fündig. Dort geht es arg verschmust zu. Sagt das etwas über den neuen Olympiasieger über 500 Meter? Vielleicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe