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Zu wenig MPX-Impfstoff im Hotspot BerlinAusgebuchte Impftermine

Berlin ist der Hotspot für Infektionen mit den sogenannten Affenpocken. Experten fordern schnell erheblich mehr Impfstoff.

Mangelware: Von dem MPX-Impfstoff Imvanex gibt es nicht nur in Deutschland viel zu wenig Foto: Francisco Seco/AP/dpa

Berlin taz | Als der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Tedros Ghebreyesus auf einer Pressekonferenz am vergangenen Samstag angesichts der Ausbreitung des MPX-Virus den internationalen Gesundheitsnotstand verkündete, muss er auch die Situation in Berlin vor Augen gehabt haben. Denn Berlin ist einer der globalen Hotspots, in denen sich das in Deutschland meist Affenpocken genannte Virus schnell verbreitet. Von den weltweit knapp 21.000 bekannten Infektionsfällen vermeldete das RKI am Donnerstag 1.310 allein in der Stadt. Damit wurde jede 16. Infektion in Berlin registriert. Im Bundesvergleich weist Berlin mehr als die Hälfte der bekannten Infektionen aus. Der ausgerufene Notstand ist deshalb auch ein direktes Signal an die Berliner Gesundheitspolitik.

Denn die Erkrankung breitet sich bisher vor allem in der Community schwuler und bisexueller Männer aus, die wechselnde Geschlechtspartner haben. In Berlin sind dem RKI bisher nur zwei weibliche Infizierte bekannt. Berlins große queere Community ist dementsprechend besonders gefährdet. Deshalb hat hier – allerdings erst vor zwei Wochen – die Impfkampagne gegen MPX begonnen. Das Bundesgesundheitsministerium hatte Ende Juni über 40.000 Impstoffdosen besorgt, von denen 8.000 Berlin zugeteilt wurden. Weitere 200.000 Dosen sind für das dritte Quartal 2022 angekündigt, wobei Verteilung und Liefertermin noch nicht feststehen.

„Wichtig ist jetzt, dass der Impfstoff schnell und unbürokratisch verimpft wird und möglichst viel davon für Erst­impfungen eingesetzt wird,“ sagt Holger Wicht, Sprecher der Deutschen Aidshilfe, der taz. Der Impfstoff Imvanex des dänisch-deutschen Herstellers Bavarian Nordic wird in zwei Dosen in einem Abstand von mindestens vier Wochen verabreicht.

Das soll in Berlin an insgesamt 30 Impfstellen passieren, von denen eine die Praxis City Ost in Friedrichshain ist. Dem dort niedergelassenen Arzt Dr. Heribert Hillenbrand wurden 300 der in Berlin verfügbaren 8.000 Impfdosen geliefert. Alle Impftermine seien schon bis Ende dieser Woche vergeben, sagt Hillenbrand: „Berlin hätte mindestens die Hälfte der 40.000 Impfdosen gebraucht, denn die Nachfrage ist riesig.“ Momentan müsse bei den Impfungen stark priorisiert werden. Aktuell werde danach entschieden, ob der Patient HIV-positiv und in der Praxis schon in Behandlung sei. Außerdem wird berücksichtigt, ob die Person eine HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) zu sich nimmt, ein Medikament, das die Ansteckung mit HIV verhindern kann. Dabei werden bei der Ver­impfung keine Dosen für die Zweitimpfung zurückgehalten: Man setzt auf die versprochenen Nachlieferungen.

Die hohe Nachfrage bestätigt ein gerade geimpfter Patient, der anonym bleiben möchte. „Einer unserer Bekannten ist zwar auf PrEP, aber an keine der bekannten Schwerpunktpraxen angebunden. Deshalb bekommt er momentan einfach keinen Termin.“ Gerade in der schwulen Community sei das Wissen über sexuell übertragbare Krankheiten groß, weshalb die Impfbereitschaft hoch sei. Das Problem sei aber der fehlende Impfstoff, den er scherzhaft „Goldstaub“ nennt.

Davon, dass mittelfristig unbedingt weiterer Impfstoff besorgt werden muss, ist auch Holger Wicht überzeugt. Dabei kritisiert er die bisherigen Berechnungen. „Die Zahl der laut RKI für eine Impfung in Frage kommenden 130.000 Menschen ist mit Blick auf die kommenden Monate zu niedrig angesetzt. Wir gehen davon aus, dass wir in Deutschland etwa 1.000.000 Impfdosen für 500.000 Menschen brauchen werden.“

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