Zu Besuch in einem Kurs zu Konsens: Du und ich. Ja oder nein
Seit #metoo wird viel über Einwilligung zu Intimität geredet. Ein Workshop lehrt: Konsens ist wesentlich komplexer, als nur „ja“ oder „nein“ zu sagen.
Die heiße Szene dauert nur anderthalb Minuten. In der kurzen Zeit weist Prinzessin Leia Han Solo acht Mal verbal und körperlich zurück. Dennoch drängt er sie zum Kuss, bis sie schließlich nachgibt. In „Indiana Jones“ und „Blade Runner“ ist Harrison Ford kein Stück besser. Millionen Teenager sind mit diesen Rollen aufgewachsen: Männliche Helden müssen den Protest von Frauen überwinden, um zum Ziel zu gelangen. Das ist sexy. Oder war es mal.
Die feine Kunst des Flirtens ist in Verruf gekommen und braucht eine Generalüberholung, nicht nur für die Harrison Fords und Harvey Weinsteins auf der Welt. Seit der #MeToo-Bewegung ist Konsens – also gegenseitige Einwilligung zu jeder Form von Intimität und Berührung – ein Begriff, der viel diskutiert, aber selten verstanden wird. Denn öfter als böse Absichten führen falsche Erwartungen und Missverständnisse vom aufdringlichen Filmkuss zum „date rape“.
Die Verunsicherung ist groß. Daher melde ich mich für einen dreitägigen „Wheel of Consent“-Kurs im australischen Byron Bay an. Das „Konsensrad“ wurde vor elf Jahren von der amerikanischen Chiropraktikerin und ehemaligen Sexarbeiterin Dr. Betty Martin erfunden. Mehr als somatisches Lernmodell denn als Sicherheitsmaßnahme wird es zunehmend in Workshops und Berufen eingesetzt, wo es um Berührung geht – von Neo-Tantra bis Sexological Bodywork.
Keine Lust, Oma zu umarmen
Nicht nur Erwachsene auf der sexuellen Suche brauchen diese Umerziehung. Laut Eleanor Morrison sollte sie im Kindesalter beginnen. Die amerikanische Autorin schrieb das Kinderbuch „C is for Consent“: Der kleine Finn hat keine Lust, Oma zu umarmen – und fragt eine Freundin um Erlaubnis, bevor er deren Hand hält. Die Botschaft „my body, my terms“ (dt. „mein Körper, meine Bedingungen“) ist unabhängig vom Geschlecht: Autonomie über den eigenen Körper und Respekt vor dem der anderen. Das klingt anders als die uralte Parole, Mädchen zu schützen, indem man ihr Aussehen und Verhalten kontrolliert.
Eine neue Studie der Columbia Universität in New York belegt, dass Sexualerziehung mit dem Fokus, klar ja oder nein sagen zu lernen, vor späteren sexuellen Übergriffen im College schützt – das Predigen von Enthaltsamkeit dagegen nicht. An vielen Unis westlicher Länder werden mittlerweile Consent-Trainings auf der Webseite oder bei der Einführung der Erstsemester angeboten.
Seit den #MeToo-Vorwürfen gegen „House of Cards“-Schauspieler Kevin Spacey und andere Prominente hat Netflix „Anti-Belästigung“-Trainings eingeführt, damit man sich bei Dreharbeiten angemessen verhält: zum Beispiel keine zu langen Blicke oder Umarmungen, die nicht erwünscht sind.
Das Wheel of Consent wird rund um die Welt in verschiedenen Versionen angeboten: 20 mal in diesem Jahr mit 15 TrainerInnen und 40 weiteren in der Ausbildung, mit maximal 24 TeilnehmerInnen. Betty Martin unterrichtet den Kurs vom 30. Mai bis 2. Juni in Köln (ausgebucht) und Matthias Schwenteck und Robyn Dalzen vom 5. bis 9. Juni in Prag („Like a Pro“ - nur für Professionelle). Infos auf www.schoolofconsent.org.
Und die Konsens-Welle hat auch die Bühne erreicht. Am Ende von „Yes but No“, einem Stück des Gorki-Theaters in Berlin Ende letzten Jahres, wird das Publikum zu einem Workshop eingeladen. Es geht um „bewusstes Anfassen“. Ich bin dabei und frage mein Gegenüber zum Beispiel, ob ich ihr Haar streicheln dürfe. Sagt sie nein, bedanke ich mich artig dafür – das ist Teil der Übung. Ihre Verneinung ist keine Zurückweisung, lediglich eine Präferenz. Klarheit für sie wie für mich ist etwas Positives.
Dienen, nehmen, erlauben oder empfangen
Wenige Wochen später befinde ich mich beim „Wheel of Consent“-Workshop in Australien, um diese „conscious touch“-Philosophie zu vertiefen. Unsere Gruppe besteht hauptsächlich aus Frauen: Bodyworkerinnen, Therapeutinnen und eine Jura-Dozentin. Kursleiter Matthias Schwenteck stammt aus Berlin und führt uns in die tiefere Dynamik unserer Berührungen, Empfindungen und Begehren ein. Er malt einen großen Kreis auf die Tafel, unterteilt ihn.
Intime Begegnungen finden jeweils in einem bestimmten Viertel statt und haben den entsprechenden Gegenpol: dienen, nehmen, erlauben oder empfangen. Wer tut was, für wen, und warum ist das entscheidend? Bietet mir jemand eine Fußmassage an, weil er mich gerne anfassen will, dann gibt er nicht, sondern nimmt – ohne dazu zu stehen.
Auf Kissen im Kreis sitzend befühlen wir einen Gegenstand. Fünf Minuten lang ertaste ich das Äußere einer Muschel. Es geht lediglich darum, Genuss durch Berührung zu spüren, ohne persönlichen Bezug – wie ein Kind, das eine Katze streichelt. Es fühlt sich an, als ob meine Hände aufwachen. Sie genießen es. „Niemand kann uns Lust oder Wohlempfinden schenken“, sagt Schwenteck, der ein breites Lächeln und einen rasierten Schädel hat. „Ich kann es nur selber empfinden.“
Jeder Morgen beginnt mit dieser Übung. Es folgen viele andere, wie die „Bossy-Massage“, bei der ich alle paar Minuten präzise Anleitungen gebe, wie und wo genau ich gedrückt oder gestreichelt werden will. Ich lerne zu sagen, was ich will – und umgekehrt Grenzen einzuhalten. Wenn etwas unklar ist, frage ich nach. Es ist nicht einengend, sondern befreiend, sich anderen Körpern mit so viel Umsicht zu nähern. Denn wenn Sicherheit herrscht, blühen auch die Sinne auf.
Somatischer Stress im Nervensystem
„Lasst eure Haut die Arbeit machen“, ist Schwentecks Mantra: Das „Wheel of Consent“ sei kein mentales Konzept, sondern muss im Körper landen. Ausschlaggebend ist unser Nervensystem. Seit wir klein waren, sind wir von Eltern, Ärzten und später Liebhabern ohne Mitspracherecht berührt worden. Das Nervensystem reagiert mit somatischem Stress. Je mehr wir davon empfinden – im Extremfall PTSD, also posttraumatische Stresssymptome, zum Beispiel durch früheren Missbrauch – umso eher sind wir im „Freeze“-Modus, der unsere Sinne und unser Sprachvermögen regelrecht gefrieren lässt.
Selbst, wenn keine reale Gefahr besteht, ist der Körper auf Alarmstufe und das Hirn so überflutet, dass klare Gedanken kaum noch möglich sind. „Wir verlieren dann unsere Fähigkeit, uns verbal auszudrücken“, sagt Schwenteck. Es ist einer der Gründe, warum Betroffene sich einem Übergriff oft nicht widersetzen können.
Konsens, das lerne ich in den drei Tagen, ist wesentlich komplexer, als nur „ja“ oder „nein“ zu sagen. Wir müssen langsamer werden. Wenn wir den eigenen Körper kaum spüren können, weil wir beim Sex zu zielorientiert sind oder zu aufgeregt – oder innerlich durch Panik wie gefroren – dann können wir nicht ausdrücken, was wir eigentlich wollen. Oder erwarten, dass es jemand errät. Besser sind Abmachungen und ehrliche Antworten: „Darf ich dich umarmen?“ – „Kannst du mich umarmen?“
Nehmen ist verpönt
Zum Schluss üben wir das „Drei-Minuten-Spiel“, bei dem man sich abwechselnd in einem Teil des Konsensrads befindet. Nehmen ist bei den meisten von uns unterentwickelt und gesellschaftlich verpönt. Dabei ist es laut unserem Trainer die wichtigste Übung, um etwas zu spüren – unabhängig davon, was jemand mit uns macht.
Schwenteck, der den Kurs mit seiner Partnerin Robyn Dalzen auch in Europa unterrichtet, schlug ihr das Spiel beim ersten Kennenlernen auf Bali vor. „Die Erlaubnis zu haben, ihn nur für meinen Genuss anfassen zu können“, sagt sie mir nach dem Kurs, „war echt sexy.“ Harrison Ford könnte einiges von ihnen lernen.
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