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Zoff in der Ampel, Gaza-KriegThe Banshee of Sommerinterview

Das Motto der US-Demokraten ist Hoffnung. In Deutschland herrscht eher Grabesstimmung. Vielleicht sollte sich die Ampel mal auf einem Friedhof umschauen.

Das Grab von Marlene Dietrich in Berlin Foto: Schöning/imago

I ch streife gern über Friedhöfe. Das ist kein Ausdruck morbider Züge. Vielmehr haben Friedhöfe etwas Hoffnungsvolles, Tröstendes an sich. Zu sehen, wie etwas aus dieser vermeintlichen Endstation wächst und blüht und wie sich Angehörige dieser weltlichen Ersatzkörperschaften annehmen, sie pflegen und gießen, all das nährt eine Art Urvertrauen in die Menschen um mich herum. Außerdem entdecke ich hier oft Unverhofftes. In dieser Woche zum Beispiel in Berlin-Friedenau das Grab von Marlene Dietrich („Hier steh ich an den Marken meiner Tage“), oder zwei Parzellen weiter das des Fotografen Helmut Newton (kein Text, nur ein schwarzer Stein mit einem Loch in der Mitte – eine Lochkamera).

Dass Friedhöfe Hoffnung geben können, ist sicher auch ein Privileg. Es gibt Orte, da würde ich gerade lieber keinen Streifzug um die Totengräber machen. In der Ukraine zum Beispiel, auch in Russland, Sudan, Myanmar, Israel und im Gazastreifen sowieso. Dem Sterben in Letzterem ein Ende setzen zu wollen, ist aus unerfindlichen Gründen unpopulär; westliche Regierungen wie Deutschland bemühen sich zwar um diplomatische Lösungen, scheuen sich aber, die Regierung Netanyahus wirkungsvoll unter Druck zu setzen.

Diesem Umstand wollten Ak­ti­vis­t*in­nen in den USA ein Ende setzen, indem sie vor dem Parteitag der Demokraten protestierten und „ihrer“ Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris die Loyalität verweigern. Sicherlich gibt es am US-Ableger berechtigte Kritik, aber die Pro-Palästina-Bewegung ist die einzige Bewegung außerhalb Israels, die sich für ein Ende des sehr einseitigen Sterbens im Nahen Osten einsetzt. Ihr Druck auf die Demokraten ist wichtig. Gleichzeitig muss allen klar sein, dass ein Präsident Donald Trump das Schlimmste ist, was der Region passieren könnte.

Harris ritt auf dem Parteitag ihre erste Euphorie-Welle und machte damit allen Zweifler*innen, die nach Hillary Clintons Niederlage vor wenigen Jahren noch meinten, der Grund dafür sei das Aufstellen einer Frau als Kandidatin gewesen, klar, dass sie falsch lagen.

The Banshee of Ampelkoalition

Grabesstimmung herrscht dagegen in der deutschen Politik, genauer, in der Regierungskoalition. In der irischen Mythologie gibt es die Figur der Banshee, eine Todesfee, die den baldigen Tod einer Person ankündigt. Die Banshee selbst trifft dabei keine Schuld, sie ist lediglich die Überbringerin der Nachricht. Mehr noch: Dank ihrer rechtzeitigen Warnung haben die Angehörigen genug Zeit, sich zu verabschieden und Vorbereitungen zu treffen.

Wie die Banshee trifft auch Nouripour und die Grünen nicht die Schuld. Zumindest nicht die Hauptschuld.

Als Banshee der Ampelkoalition trat diese Woche Grünen-Vorsitzender Omid Nouripour im ZDF-Sommerinterview auf. Er zeichnete ein hoffnungsloses Bild der Ampel-Regierung, die er „Übergangsregierung“ nannte. Übergang in den Untergang? So nah am Koalitionsbruch wie in dieser Woche schien die Ampel noch nie; die ewige Pfennigfuchserei des Finanzministeriums im Haushaltsstreit trieb sie dorthin. Und nicht nur das: Kurz vor der Wahl in Thüringen muss sogar die SPD um den Einzug in den Landtag bangen – ganz zu schweigen von ihren beiden Juniorpartnern.

Wie die Banshee trifft auch Nouripour und die Grünen nicht die Schuld. Zumindest nicht die Hauptschuld. Es ist die FDP, an der die meisten klima-, sozial- und wirtschaftspolitischen Vorhaben der Regierung scheitern. Aber gerade diese „harten“ Themen sind es, in denen die Politik die entscheidenden Weichen stellen muss.

Der Kleister der Koalition

Als die Ampel einst antrat, vermittelte sie den Eindruck, die Differenzen könnten überbrückt werden, indem man sich auf „weiche“ Themen konzentriert. Die vergleichsweise progressiven Positionen in gesellschaft­lichen Themen sollten der Kleister der Koalitionäre werden. Knapp drei Jahre später ist davon nicht viel übrig. Der Paragraf 218 steht noch immer im Strafgesetzbuch.

In dieser Woche ging die FDP dann doch noch eines dieser vielversprechenden Ampelthemen an: die Kriminalisierung der Eizellspende endlich abzuschaffen. Vielleicht hat die Koalition ja doch noch nicht fertig. Und vielleicht findet sich dann sogar die ein oder andere Person, die am Ende ihre Blumen gießt.

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Redakteur Meinung
Gesellschaft, Klimapolitik & politisches Klima
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7 Kommentare

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  • Rot und Grün haben versucht, gemeinsam mit der FDP zu regieren. Das Experiment ist derart krachend gescheitert, dass man es für mindestens eine Generation nicht nochmal versuchen sollte. Der Politikbereich, wo man die FDP als progressiv bezeichnen kann, liegt bei unter 5%.



    Sozial geht mit der FDP bekanntlich seit über 40 Jahren nicht mehr, neu ist, dass Umweltschutz, Klimaschutz und Investitionen in die Zukunft mit der FDP nicht möglich sind.



    Und dass man mit einer Partei nicht koalieren kann, die alles zwecks eigener Profilierung in die Öffentlichkeit bringt, versteht sich von selbst.

  • Deutschland bemüht sich um diplomatische Lösungen? Hin und wieder ein paar leere Worte zu äußern und immer wieder das Mantra der Zwei-Staaten-Lösung zu wiederholen, dabei aber die Realität vor Ort auszublenden, eine Realität bei deren Schaffung man kein unbeteiligter Beobachter sondern bedingungsloser Unterstützer war, ist für mich das Gegenteil von Lösungssuche, man ist Teil des Problems. Man verschließt seit Jahrzehnten die Augen vor dem was in Israel und den besetzten Gebieten vor sich ging. Man kann nicht immer wieder sagen, dass die Siedlungen ein Haupthindernis für Frieden sind aber dann nichts gegen diesen mehrfachen Völkerrechtsbruch unternehmen. Bei anderen Staaten gab es Waffenembargos oder Sanktionen. Eine Anklage wegen Völkermord, die inzwischen unzählige Gelehrte, auch israelische und jüdische, und Organisationen (Lemkin Institut, GenocideWatch) unterstützen, Anträge auf Haftbefehle vom ICC gegen Netanjahu und Gallant, ein Gutachten des ICJ das bestätigt das Israel in den besetzten Gebieten gegen das Verbot von Segregation und Apartheid verstößt, hat zu keinerlei Veränderung in der dt. Außenpolitik geführt. Nichts! Wertegeleitet? Feministisch? Fehlanzeige!

  • Ob die Todesgesänge der Presse da helfen, ist die Frage. Es ist ein Agesang der einzig den Populisten hilft. Ich liebe die taz - aber so geht guter Journalismus nicht, der Demkraie helfen würde.

  • Ich fürchtete einen Lifestyle-Artikel, es war dann doch eine politische Analyse, danke.

    Nein, mit Lifestyle-weichen Themen à la Cannabis macht man keine Koalition. Es ist die Verteilungsfrage, die Klimafrage, die Fortschrittsfrage, wo es darauf ankommt.

    Es ist die FDP, die stehend tot ist, ausgesaugt von Lindners Akzeptanzwunsch bei den Villennachbarn. Die Grünen werden gespeist von der immer zentraleren Klimafrage, so sehr die Springerpresse auch alle Geschütze auffährt.

    • @Janix:

      Man darf gespannt sein, wie die FDP als stehende Leiche bei einer Unionskoalition agiert. Ob Friedrich Merz genau so viel Spaß am Regieren bekommt, wie er sich wünscht?

  • Dem Sterben in Letzterem ein Ende setzen zu wollen, ist aus unerfindlichen Gründen unpopulär

    Die Gründe sind nicht unerfindlich: Netanjahu und Konsorten haben von Anfang an auf eine entmenschlichende Rhetorik gesetzt, und das hat voll und ganz eingeschlagen. Das wird kombiniert mit dem verlogenen Narrativ, Israel sei ein "unschuldiges Opfer" - eine Erzählung, die spätestens seit dem Rechtsgutachten des IStGH ins Reich der Legende entsorgt werden kann, Israel ist sehr wohl Täter.



    Die Gemengelage reicht allerdings aus, daß im Westen gänzlich unverfroren den palästinensischen Zivilisten die Schuld für ihren Tod durch Israels rücksichtslosen Krieg im Zuge klassischen Victim Blamings selbst vorgeworfen wird.

    • @HaMei:

      Leider zutreffend.



      Und diese Denkvereinfachung, Israel wäre irgendwie gleich die Juden und müsse (daher?) immer "gut" sein, ist häufiger anzutreffen.



      Besser nüchtern analysieren.