Zivilgesellschaft in Tunesien: Kompromisslos gegen Kritiker*innen
Tunesien lässt vermehrt Kritiker*innen verhaften. Vor laufender Kamera hat es nun eine prominente Anwältin getroffen. Proteste sind geplant.
„Nicht einmal während des Ben-Ali-Regimes haben es Sicherheitskräfte gewagt, in unser Gebäude einzudringen und das Recht so offensichtlich zu brechen“, sagt ein sichtlich geschockter Anwalt der taz wenige Momente nach dem Sturm. Auch der Kameramann von France 24 wurde kurz festgehalten. Als die Beamten die Herausgabe der Speicherkarte seiner Kamera einforderten, wurde ihnen klar, dass die ganze Aktion live übertragen worden war.
Die für regierungskritische Kommentare landesweit bekannte Dahmani hatte mit ihren Anwälten und einigen Aktivist*innen zu einem Protest gegen das laufende Verfahren der Staatsanwaltschaft aufgerufen. Ihr droht nun eine mehrjährige Haftstrafe für das Verbreiten von Falschinformationen.
Offensichtlich geht den Anhängern von Präsident Kais Saied mittlerweile selbst vorsichtige Kritik zu weit. Wie viele weibliche Stimmen der tunesischen Zivilgesellschaft fordert Dahmani gesellschaftliche Reformen und ein Ende der Gewalt gegen Migrant:innen und Andersdenkende.
Aufruf zu landesweitem Streik
Die täglich über Libyen und Algerien kommenden Migrant:innen seien Teil eines Ansiedlungsplans dunkler Mächte, erklärt Präsident Kais Saied. Mit Beginn der verstärkten Kooperation zwischen der EU und Tunesien wurden tausende Migrant:innen und Flüchtlinge verhaftet und an den Landesgrenzen ausgesetzt. Kritik an dieser Praxis und der Verhaftung von mehr als 60 Politiker*innen, Journalist*innen und Saied-Gegner*innen wagten bisher nur wenige.
Die Verhaftung vor laufender Kamera könnte dies nun ändern. Der Verband der Rechtsanwälte rief am Sonntag zu einem landesweiten Streik auf. Verschiedene der zuletzt inaktiven Menschenrechtsorganisationen planen für diese Woche Protestaktionen.
Die Justiz gibt sich derweil kompromisslos. Die Journalist*innen Bsaies und Zeghidi bleiben in Haft, wurde am Montag entschieden. Zeghidi hatte auf sozialen Medien seinen Kollegen Mohammed Boughalleb verteidigt, der wegen „Diffamierung eines Offiziellen“ zu sechs Monaten Haft verurteilt worden war.
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