Zirkusschimpanse Robby ist tot: Letzter Applaus
Fast sein ganzes Leben musste der Zirkusschimpanse Robby mit dem Celler „Circus Belly“ durch Norddeutschland tingeln. Nachruf von seinem Biografen.
„Wir sind untröstlich“, greinen die Betreiber des in Celle ansässigen und von dort aus durch Norddeutschland tingelnden „Circus Belly“ daher. „Wir haben unser Liebstes verloren.“ Gemeint ist: „Am 11. November 2022 ist unser geliebter Robby plötzlich und unerwartet im hohen Alter von 51 Jahren friedlich und für immer eingeschlafen.“
Robby war Zirkusschimpanse, der berühmteste und zugleich letzte seiner Art hierzulande. Zu seinem genauen Alter machte der Zirkus seit je widersprüchliche Angaben: Man habe ihn Anfang, vielleicht aber auch erst Mitte oder Ende der 1970er im Alter von drei, vielleicht auch von fünf Jahren von einem anderen Zirkus übernommen. Einer anderen – und plausibleren – Erzählung zufolge wurde er in den ausgehenden 1970ern dem Tierhandelszoo Neuwied abgekauft. Als später offiziell festgestelltes Geburtsjahr gilt 1975 – Robby wurde also 47 Jahre alt.
Von frühester Kindheit an musste Robby im „Circus Belly“ den Manegenclown geben. Man steckte ihn für die Vorstellungen in eine schwarz-weiße Livree, in der er – immer mit einer am Hals befestigten Leine – auf einem Tretroller durch die Manege fahren, auf Stelzen laufen oder mit Gummibällen jonglieren musste. Wie alte Plakate des Zirkus zeigen, galt er jahrzehntelang als dessen Hauptattraktion. Damit er auch über seine Pubertät hinaus einsetzbar sein würde, wurde er zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt kastriert.
Auch wenn Robby nach veterinäramtliche Weisung die letzten Jahre nicht mehr vor Publikum auftreten musste, fristete er sein Leben wie seit je in einem umgebauten Lkw-Hänger. In diesem Hänger wurde er von einem Gastspielort zum nächsten gekarrt, wobei an den jeweiligen Standplätzen – und auch dies erst auf behördliche Anordnung hin – seit ein paar Jahren eine Art Freiluftkäfig für ihn aufgebaut wurde. Die meiste Zeit saß er beschäftigungslos in seinem Hänger herum, während des Auf- und Abbaus der Zeltstadt und während der Transporte rund um die Uhr.
Free Robby
Jahrelanges Engagement verschiedener Tierschutzorganisationen, um Robby aus dem Zirkus befreien, bewirkte nichts: Der zuständige Landkreis Celle erteilte fortlaufend verlängerte Haltungsgenehmigungen. Das änderte sich erst, nachdem es im Spätherbst 2015 – wieder einmal – zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Mitarbeitern des „Circus Belly“ und Tierschützern gekommen war.
Colin Goldner leitet den deutschen Ableger des „Great Ape Project“ (GAP). Die internationale Initiative setzt sich dafür ein, dass bestimmte Grundrechte auch für Menschenaffen gelten. Er ist Autor der Bücher „Lebenslänglich hinter Gittern. Die Wahrheit über Gorilla, Orang Utan & Co in deutschen Zoos“ (2014) und „Robby, der letzte Zirkusschimpanse“ (2021).
Ein Sohn von Direktor Klaus Köhler brach einem der Tierschützer, die am Rande des Zirkusgeländes eine behördlich genehmigte Mahnwache abhielten, mit dem Schlag einer Schaufel einen Arm, den dieser schützend über seinen Kopf gehalten hatte. Der Zirkusschläger wurde später zu neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, ausgesetzt zur Bewährung gegen Zahlung eines Bußgeldes.
Vor dem Hintergrund nicht abebbender Proteste ordnete die zuständige Celler Behörde letztlich zum Jahresende 2015 die Abgabe Robbys an eine „für die Resozialisierung von Schimpansen spezialisierte Einrichtung“ – gemeint war die holländische „Stichting AAP“ – an.
Direktor Köhler erhob umgehend vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg Klage gegen die Abgabeverfügung mit dem Argument, Robby sei zu alt für einen Umzug, er würde das nicht überleben. Tatsächlich gelang es Köhler, im Wege eines Eilverfahrens die Verfügung des Landkreises Celle vorläufig außer Kraft zu setzen. Robby blieb im Zirkus.
Der Zirkus hatte obsiegt
Fast eineinhalb Jahre später entschied das Verwaltungsgericht, dass Robby tatsächlich an die Stichting AAP abgegeben werden müsse. Die Entscheidung basierte auf den Gutachten zweier renommierter Menschenaffenexperten. Selbst die britische Verhaltensforscherin Jane Goodall hatte sich für Robby eingesetzt. Auch dagegen legte Direktor Köhler sofortige Berufung ein.
Ziemlich genau drei Jahre nach der behördlichen Abgabeverfügung kam das Oberverwaltungsgericht Lüneburg zu einem endgültigen Urteil. Obwohl der Schimpanse „wegen der nicht artgerechten Einzelhaltung eine schwerwiegende Verhaltensstörung“ aufweise, werde die Anordnung des Landkreises Celle und damit die Entscheidung der vorhergehenden Gerichtsinstanz aufgehoben.
Eine rechtlich nachvollziehbare Begründung gab es nicht, Revision ausgeschlossen. Da der Landkreis Celle keine Beschwerde einlegte, wurde das Urteil zum 20.12.2018 rechtskräftig (Az.:11LB34/18). Der Zirkus hatte obsiegt.
Nach weiteren vier Jahren tierschutzwidriger Isolationshaltung ist der „letzte Zirkusschimpanse“ nun verstorben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links