Zirkus auf Brachfläche: Manege frei für alle

Der Zirkus Mond ist ein alternatives Ar­tis­t:in­nen­kol­lek­tiv in Prenzlauer Berg. Bei den Shows gibt es Akrobatisches, Ulkiges und Surreales.

Drei Menschen sitzen auf einem Sofa, davor schwenkt ein Mann im Astronautenkostüm eine Flagge.

Marlen Voigt, Max Mohr, Juan Magima Martinez und Zirkusastronaut Mau Aguilar Foto: Melanie Völker

BERLIN taz | „Is Circus Art? Is Art Circus? Let’s Find Out!“ – Kreativ ist die Show des Zirkus Mond unter dem Motto „Was ist Kunst?“ auf jeden Fall. Im bunten Zelt auf der verwunschenen Brachfläche nahe des S-Bahnhofs Greifswalder Straße gibt es jedes Wochenende eine furiose Mischung aus Akrobatischem, Ulkigem und Surrealem zu bestaunen.

Den Auftakt zur vergangenen Vorstellung macht ein Akrobatikduo, dessen Figuren von Slapstick Sounds aus dem Off begleitet werden. Danach führt eine wunderschöne Prinzessin einen einhörnigen Zentaur in die Manege. Er wiehert und bäumt sich auf, sein Horn, ein rosafarbener Gummidildo, wippt dabei auf und ab. Ein tollpatschiger Clown fängt Gabeln mit einem Apfel im Mund und ein Paar Roboterbeine, die einem Mad Max Film entsprungen sein könnten, tanzen stotternd übers metallene Parkett. Die Menge lacht und staunt, die Stimmung ist ausgelassen.

Das Kollektiv „Kinder des Mondes“ ist vor über 11 Jahren als loser Zusammenschluss aus Artist:innen, Kreativen und Freiheitsliebenden entstanden, die in unregelmäßigen Abständen die Bühnen und leeren Fabriketagen im Dunstkreis der Berliner Partyszene bespielten. Als sich vor drei Jahren die Möglichkeit bot, gemeinsam mit dem gerade aus Kreuzberg verdrängten Club und Kulturort Johnny Knüppel auf das Gelände des neugegründeten Vereins Disco Babel umzuziehen, schlug man zu. Ein Zelt wurde gekauft und der Zirkus Mond war geboren.

Zirkusdirektor Max Mohr erinnert sich, was für eine Arbeit es war, die Brache entsprechend herzurichten, 50 Tonnen Sand aufzuschütten, den aus einer Commerzbank recycelten Aluminiumboden zu verlegen. Als der Mitbegründer des Kollektivs sich nach dem Studium an einer Zirkusschule verletzte, wandte er sich mehr dem Organisatorischen zu. Heute fungiert er als Moderator, handelt Verträge aus, kümmert sich um den TÜV, der das Zirkuszelt abnimmt. Er ist so etwas wie die Mutter des Hauses.

Klassisches Varieté und Moderner Zirkus

Auch Mohrs langjähriger Partner, Creative Director Juan Migama Martinez, hat die Anfänge noch genau vor Augen: „Max rief mich damals an und sagte ‚Wir kaufen ein Zelt!‘“ Zu dieser Zeit befand sich der Spanier gerade in Kanada, war jedoch sofort Feuer und Flamme.

Infos unter zirkusmond.de. Nächste Shows am 6., 7. und 8. August

Heute wird im Zirkus Mond, zusätzlich zu zwei Gastshows, zwei Mal im Monat ein komplett neues Programm auf die Beine gestellt – das eine klassisches Varieté, moderiert vom Direktor, das andere moderner Zirkus mit Theatereinlagen und Skript von Martinez. Thematisch verarbeitet der professionelle Clown, der in Barcelona Soziologie studierte, politische und soziale Themen, interpretiert sie humoristisch.

In den Vorstellungen geht es zum Beispiel um „Digital Detox“, „Interview with the Atoms“ oder auch „Conspiracies“ – eine Satire auf Verschwörungserzählungen. Diese erlangte während der vergangenen Lockdowns, wohl auch wegen der tragikomischen Aktualität, erneute Beliebtheit als Stream. Das Onlineformat traf genau den Nerv der Zeit. 1.000 Zu­schaue­r:in­nen zählte die erste Livesendung – und das auf einem beinahe unbekannten Youtube-Channel.

Trotzdem war die Coronapandemie, wie bei allen Kulturbetrieben, auch bei den Zirkusleuten ein Balanceakt auf dem dünnen Drahtseil der öffentlichen Unterstützung und privaten Zuwendungen. Jedoch ermutigten besonders Letztere zum Weitermachen.

Einer von Berlins verbliebenen Freiräumen

Im Zirkus Mond dürfen sowohl eingefleischte Profis als auch blutige An­fän­ge­r:in­nen zeigen, was sie können. Während der Zauberer Timon Timon seine ersten Liveauftritte hier bestreitet, blickt die Schlangenfrau Anaelle Molinario schon auf Engagements beim Cirque Plume, einem der größten Zirkusse Frankreichs zurück. Ziel des bunten Teams ist, größtmögliche Qualität bei maximaler Inklusion zu erreichen. Der Zirkus lebt von Spontanität, Improvisation und einer guten Portion Selbstironie. Da macht es wenig, wenn beim Jonglieren mal ein Kegel daneben geht.

Marlen Voigt, die sich um den Empfang und alles was sonst so anfällt kümmert, ist eigentlich frisch gebackene Ärztin. Was sie am Zirkus Mond besonders schätzt ist die Freiheit, die der offene Raum allen Teil­neh­me­r:in­nen und Be­su­che­r:in­nen bietet. „Hier dürfen die Menschen sein, wer sie wollen und tun, was sie wollen“, sagt sie. Voigt wünscht sich, dass dieser Ort mehr Berlinerinnen und Berlinern zugänglich wird. Denn ob Kunst, Kabaret oder wahrscheinlich beides, in jedem Fall ist der Zirkus Mond einer von Berlins wenigen verbliebenen Freiräumen für alternative Kultur.

Nach einer Schwertschluckerin und Klamauk am Trapez endet die Vorstellung mit spektakulärer Seilakrobatik. Anschließend sitzen Schau­stel­le­r:in­nen und Publikum gemütlich beim Bier zusammen, man tauscht sich aus, es wird sogar ein wenig getanzt, die Grenze zwischen Manege und Rängen verschwimmt. Hier hat jeder das Gefühl mitzugestalten.

Für die Zukunft planen Voigt, Mohr und Martinez, das Programm weiter zu professionalisieren. Gerade wurde eine Förderung für eine neue Tribüne bewilligt. Außerdem sagen die drei, wäre es schön, die Ar­tis­t:in­nen noch etwas besser entlohnen zu können. Doch vor allem wünschen sie sich eines: so weitermachen zu können, wie bisher.

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