Zionismuskritik an Kunsthochschule in Berlin: Zoff um Antisemitismus-Vorwurf
Ein Projekt von jüdisch-israelischen Studierenden steht wegen vermeintlicher BDS-Nähe unter Druck. Die Gelder sind gestrichen, ein Prof wehrt sich.
Der Bundestag hat 2019 beschlossen, dass mit staatlichen Geldern keine Veranstaltungen finanziert werden, in denen ein Boykott Israels befürwortet wird. Manchmal reicht schon der Verdacht der BDS-Nähe, um die Nutzung städtischer Räume zu verbieten. Bei dem Projekt „School for Unlearning Zionism“, organisiert von jüdischen Studierenden der weißensee kunsthochschule berlin ist das, folgt man Volker Beck, der Fall.
Das Forschungsministerium erklärte eilig, dass man den Anti-BDS-Beschluss sehr ernst nehme und es keine finanzielle Unterstützung des Projekts gebe. Auch die weißensee kunsthochschule berlin beteuerte, sich an an den Anti-BDS-Beschluss zu halten, entfernte die website der Veranstaltungsreihe und Kunstinstallation „School for Unlearning Zionism“ und strich die Gelder.
Mathias Jud (46), Schweizer Künstler und derzeit Gastprofessor an der Kunsthochschule, war erstaunt, dass die Finanzierung des von ihm betreuten Projekts plötzlich gesperrt war. Niemand habe mit ihm davor gesprochen. „Das ist ein direkter Eingriff in die Freiheit der Lehre“, so Jud zur taz. Das BDS-Argument leuchtet ihm nicht ein. Der BDS-Beschluss des Bundestags richte sich doch gegen einen Boykott „israelischer WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen“ – hier werde dieser Beschluss nun als Vorwand genutzt, „um ein Projekt von jüdisch-israelischen StudentInnen zu boykottieren, die sich mit ihrem Staat, Religion und Geschichte beschäftigen“, so Jud.
„Wir lassen uns nicht stumm schalten“
Angesichts der pauschalen Absage, das Projekt zu finanzieren, und der Abschaltung der Website könne „man hier von Boykott reden“, so Jud. Volker Beck argumentiert hingegen, dass „die Veranstaltung nicht verboten werden soll“. Der Protest richte sich gegen die staatliche Unterstützung.
Die Finanzierung des Projekts war Jud zufolge zugesichert. Nun hat die Hochschule sie entzogen. Jud will sich damit nicht abfinden. „Für mich ist es klar, dass dieses Programm von der Hochschule bezahlt werden muss.“ Das Gesamtbudget für die Installation und die elf Onlinevorträge und Debatten liegt unter 2.000 Euro.
Yehudit Yinhar, Kunststudentin und Aktivistin, hat das Projekt „School for Unlearning Zionism“ und die Veranstaltungsreihe „October Program“ mitorganisiert, die in Hebräisch und Englisch stattfinden. „Unlearning Zionism“ bedeute, so Yinhar, „Macht und Privilegien der eigenen Gruppe sichtbar und sich das eigene hegemoniale Narrativ bewusst zu machen“. In der Onlinereihe treten unter anderem kritische jüdische Israelis auf, wie der israelische Historiker Ilan Pappe, Iris Hefets und Shir Hever, beide im Vorstand der Berliner „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden“.
Yinhar, die seit 2010 in Berlin lebt, kritisiert, dass sich deutsche Institutionen anmaßen, jüdische Aktivisten als Antisemiten zu sanktionieren. Die Botschaft sei: „Wir sollen staatskonform sprechen, sonst bekommen wir keine Gelder. Das gilt nicht nur für uns, sondern auch für andere marginalisierte Gruppen.“ Kritik an Zionismus mit Antisemitismus zu identifizieren und „ja oder nein zu BDS zum Rahmen des gesamten Diskurses zu machen“, hält die 35-jährige für den Versuch, kritische Stimmen mundtot zu machen. Die Veranstaltung finden weiterhin statt. „Wir lassen uns nicht stumm schalten“, so Yinhar.
Die Amadeu Antonio Stiftung, eine antirassistische NGO, führt das Projekt „School for Unlearning Zionism“ inzwischen in ihrer Chronik antisemitischer Vorfälle auf. Dort wird es direkt neben Nazischmierereien in Leipzig genannt. Yinhar, in Israel in einem Kibbuz aufgewachsen und Enkelin einer 1938 aus Berlin geflohenen deutschen Jüdin, macht das fassungslos. „Wie kann man uns und unsere Arbeit in einem Atemzug mit Neonazis nennen? Wollen deutsche Institutionen so Rassismus und Antisemitismus bekämpfen?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn