Zinswende im Euroraum: EZB fürchtet „holprigen Weg“
Als erste große Notenbank weltweit wagt die Europäische Zentralbank eine Zinssenkung. Dennoch sieht sie Risiken für die Geldstabilität.
Inflation und Preisdruck seien gesunken, die „Zuversicht ist in den vergangenen Monaten gestiegen“, begründete Lagarde die erste Zinssenkung seit fast fünf Jahren. Die Inflationsrate in der Eurozone war seit ihrem Höhepunkt im Oktober 2022 von damals 10,6 auf 2,6 Prozent im Mai gesunken. Im Kampf gegen die hohe Inflation hatte die EZB zuvor zehnmal in Folge die Zinsen erhöht.
Die Entscheidung hat Auswirkungen auf das gesamte Wirtschaftsleben: Kreditkund:innen, Unternehmer:innen und Anleger:innen kommen nun tendenziell günstiger an Kapital – deshalb stimulieren sinkende Zinsen grundsätzlich die Konjunktur. Sparer:innen hingegen bekommen weniger Rendite.
Expert:innen aus allen Lagern lobten den Schritt: Die Zinssenkung sei „sinnvoll“, weil sich die Inflation in Europa mittlerweile in Richtung der erwünschten Rate zurückentwickelt, erklärte der Chef des konservativen Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest. Die EZB strebt eine Teuerung von 2 Prozent für die 20-Länder-Gemeinschaft an – und glaubt, dieses Ziel bis Mitte 2025 zu erreichen. Auch Silke Tober, Geldexpertin beim gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung, nannte die Zinssenkung „richtig und überfällig“.
Frühestens im Sommer neue Ansagen
Lagarde wollte sich nicht auf Ansagen für weitere Zinssenkungen einlassen. Frühestens im Sommer werde es dazu kommen können, abhängig wahrscheinlich von den immer noch recht hohen Preissteigerungen im Dienstleistungssektor: Es stünde „noch ein holpriger Weg bevor“, sagte die EZB-Präsidentin. So hatten wichtige Wirtschaftsdaten zuletzt sogar eher eine Straffung der Geldpolitik signalisiert, sodass das Wachstum der Löhne in der Eurozone anzog. Kritiker des EZB-Kurses fürchten deshalb, dass die zuletzt hohen Lohnabschlüsse dazu führen könnten, dass Firmen die Preise erhöhen, um das abzufedern.
„Die Befürchtung der EZB, die Löhne könnten die Preise treiben, war von Anfang an unbegründet und ist es nach wie vor“, sagte dazu DGB-Vorstand Stefan Körzell. Dank der guten Tarifabschlüsse der letzten Monate wären die Löhne der Beschäftigten ordentlich gestiegen. Das sei „angesichts von deutlichen Reallohnverlusten in den letzten Jahren allerdings auch notwendig und von den Unternehmen ohne Weiteres finanzierbar, ohne dass diese zusätzlich die Preise anheben“. Lagarde ging auf die Lohnsteigerungen in Deutschland ein, etwa auf die gut 11 Prozent für die Angestellten der Länder im öffentlichen Dienst. Die Abschlüsse hätten hoch ausfallen müssen, weil es zuvor drei Jahre lang keine Gehaltssteigerung gegeben habe, sagte die Notenbankerin.
Ein weiteres Problem sieht die EZB in der volatilen Weltlage. Eine weitere Eskalation an den Krisenherden berge weitere Risiken für die Geldstabilität, sagte Lagarde. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine war es 2022 zu rasant steigenden Energie- und Transportpreisen gekommen. Die deutsche Wirtschaft trafen die Zinserhöhungen besonders hart.
Bauministerin Geywitz optimistisch
An den Börsen war die von den Notenbanker:innen immer wieder angedeutete Zinssenkung um einen Viertelprozentpunkt seit Monaten bereits eingepreist worden, die Kurse waren also in Erwartung günstigerer Finanzierungsmöglichkeiten kräftig angezogen. Aus demselben Grund sind die Kreditzinsen seit Anfang des Jahres gesunken. Sparer:innen bekamen statt 3,5 Prozent nur noch 3,3 Prozent fürs Guthaben. Anders bei Immobilienkrediten: Statt im Schnitt 4,4 Prozent sind derzeit nur noch etwa 3,7 Prozent für ein typisches Darlehen fällig.
Die Bauwirtschaft geht von einer stützenden Wirkung der Zinssenkung aus. In der vergangenen Phase steigender Zinsen waren die Finanzierungskosten für viele Vorhaben explodiert – die Branche litt. „Günstige Finanzierungen am Kreditmarkt sind enorm wichtig für den Wohnungsbau“, sagte Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD).
Die EZB gehört mit ihrer Lockerung der Zinspolitik zu den mutigeren Notenbanken weltweit: Während die US-Notenbank Fed und die britische Bank of England noch mit einer Zinssenkung warten, haben die Notenbanken in Kanada, der Schweiz und in Schweden bereits gehandelt.
Anm.: In einer früheren Version dieses Textes stand, dass Lagarde vor „Bomben auf der Straße“ warnte. Tatsächlich warnte sie vor einem „holprigen Weg“. Das englische Wort für Bomben („bombs“) klingt ähnlich wie das Wort für Delle („bumps“). Wir bitten um Entschuldigung.
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