piwik no script img

Zeuge belastet BundesinnenministeriumSchwere Vorwürfe im Fall Amri

Sollte ein Informant, der vor Attentäter Anis Amri warnte, mundtot gemacht werden? Ein LKA-Mann behauptet das – das Innenministerium widerspricht.

Akten im Bundestagsuntersuchungsausschuss zum Terroranschlag am Breitscheidplatz in Berlin Foto: Christian Ditsch/imago

Berlin taz | Das Bundesinnenministerium und der frühere Minister Thomas de Maizière (CDU) wehren sich gegen schwere Vorwürfe eines LKA-Kommissars im Fall Anis Amri. Dessen Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss zu dem Anschlag in Berlin seien nicht zutreffend, sagte ein Ministeriumssprecher am Freitag. „Wir haben einen völlig anderen Sachstand.“

Der Kriminalhauptkommissar des LKA Nordrhein-Westfalen hatte in dem Ausschuss am Donnerstagabend von einem Gespräch mit einem BKA-Beamten am 23. Februar 2016, am Rande einer Besprechung beim Generalbundesanwalt, berichtet. Dort habe ihn der BKA-Mann gesagt, der Informant des LKAs in der islamistischen Szene „mache zu viel Arbeit“. Diese Sicht werde auch „von ganz oben“ geteilt. Der Kommissar nannte auf Nachfrage einen leitenden Kriminaldirektor des BKA und den früheren Bundesinnenminister de Maizière. Er sei nach dem Gespräch „geschockt“ gewesen, so der LKA-Mann.

Das Bundesinnenministerium wies diese Darstellung zurück. Das Gespräch des LKA-Kommissars mit dem BKA-Beamten habe es so nie gegeben, demnach seien auch die Aussagen „weder wörtlich noch sinngemäß“ gefallen, sagte ein Sprecher. Auch sei auszuschließen, dass de Maizière oder andere Mitarbeiter des Innenministeriums die Weisung erteilt hätten, den Informanten ruhigzustellen. Dies könne man auch für die Leitungsebene des BKA ausschließen. Schließlich sei es auch falsch, dass es ein Ersuchen des nordrhein-westfälischen LKA an das BKA gegeben habe, den Fall Anis Amri zu übernehmen, welches abgelehnt wurde.

Auch Thomas de Maizière bestreitet die Vorwürfe. Er verwies auf taz-Anfrage auf die Stellungnahme des Bundesinnenministeriums.

Wenn es der Wille war, die Quelle, die als einzige belastbare Hinweise zu Anis Amri geliefert hat, mundtot zu machen, steht ein handfester Skandal im Raum.

Benjamin Strasser, FDP

Die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses stufen die Aussagen des LKA-Mannes dagegen als glaubhaft ein. Diese seien „klar und glaubwürdig“ gewesen, sagte FDP-Obmann Benjamin Strasser. „Wenn es der Wille war, die Quelle, die als einzige belastbare Hinweise zu Anis Amri geliefert hat, mundtot zu machen, steht ein handfester Skandal im Raum.“ Auch Linken-Obfrau Martina Renner nannte den LKA-Kommissar glaubwürdig. „Die Verhinderung von Terroranschlägen scheint dem BKA weniger wichtig gewesen zu sein als die Ausschaltung einer bis dato perfekt informierten Quelle.“

Die Abgeordneten wollen nun de Maizière als Zeugen in den Ausschuss vorladen. Dies sei „unumgänglich“, erklärte FDP-Mann Strasser. Ein Mitarbeiter von de Maizière sagte, sobald eine Einladung erfolge, „werden wir darüber entscheiden“.

Der Informant, um den es nun geht, war eine Top-Quelle des LKA in NRW – geführt als VP-01 oder „Murat“. Der Deutschtürke bewegte sich tief in der islamistischen Szene, unter anderem im Netzwerk von Abu Walaa, der als Vertreter des IS in Deutschland galt. Und „Murat“ traf auch Anis Amri, der sich anfangs in NRW aufhielt. Die Polizei warnte der Informant schon Anfang 2016: Der Tunesier schwärme von den Paris-Anschlägen, er wolle in Deutschland „etwas machen“ und suche nach Kalaschnikows. Das LKA NRW hielt „Murat“ für glaubwürdig, auch durch die jahrelange Zusammenarbeit.

Als Amri seinen Lebensmittelpunkt nach Berlin verlegte, brach der Kontakt zu „Murat“ ab. Auch das LKA NRW übergab den Fall an der Berliner LKA. Dort ließ man eine Observation im Sommer 2016 schließlich auslaufen, weil man Amri nur noch für einen Drogendealer hielt. Eine fatale Fehleinschätzung.

Der LKA-Kommissar aus NRW sagte, Polizeibeamte aus seinem Bundesland hätten in den Monaten vor dem Anschlag mehrfach Druck in Berlin gemacht, wo Amri nur „relativ nachlässig“ überwacht wurde. Eine weitere Beamtin des nordrhein-westfälischen LKA sagte am Donnerstag im Ausschuss, sie habe Amri „durchaus als gefährlich eingeschätzt und als unberechenbar“. Als sie später erfahren habe, dass Amri in Berlin nicht mehr so engmaschig beobachtet wurde, sei bei ihr ein „ungutes Gefühl“ entstanden.

Am 19. Dezember 2016 schließlich erschoss Amri einen Lkw-Fahrer in Berlin und fuhr mit dessen Fahrzeug in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Dabei starben 11 Menschen, rund 60 wurden verletzt. Es war der bisher schwerste islamistische Anschlag in Deutschland. (mit dpa)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • und? das die Polizei unterbesetzt ist - ist bekannt, das das föderale System durch menschliche Schwächen insgesamt schwächer ist als ein zentrales.

    Aber egal wer da Mangel verwaltet hat, sich profilieren wollte und wer da irgendwelche illegalen Praktiken gedeckt hat oder Versagen vertuscht hat, bleibt eines:

    selbst wenn alles optimal gelaufen wäre, wäre es maximal 50:50 das man solche Anschläge hätte verhindern können.

  • “ „Wir haben einen völlig anderen Sachstand.“

    Ach was!

    Erinnert noch jemand den Polizisten - der Erftstadt-Liblar Zum Renngraben 8 - vor der Etagentür stand Ohr an Ohr mit Peter-Jürgen Boock - hinter der sich der entführte Schleyer befand.



    “ Ein örtlicher Polizist vermutete, dass Schleyer in dem Haus gefangen gehalten werde, da das Appartement zahlreiche Kriterien erfüllte, die für Wohnungen der RAF typisch waren: das Haus lag in Autobahnnähe, hatte eine Tiefgarage und mehrere Mietzahlungen erfolgten bar im Voraus. Er meldete dies dem zuständigen Krisenstab in Köln, der dieser Meldung aber nicht nachging, da sie von einem Beamten in eine falsche Ablage gelegt wurde.…“ sehr getunt!!



    Wer die spätere Abrechnung des Polizisten mit den Öberschten inne Zeitung (welche?) noch auf dem Schirm hat: nix falsch abgelegt - “…er solle mal nicht so rumtönen - sich interessant machen!“

    So geht das.

    unterm——2



    Na mal wie sich unser paste&copy-freak



    FrozenThomas “…das Glasauge blickte menschlicher“ de Misère - rauszuwinden sucht.



    Wünsche alles Schlechte.

  • In solchen Lagen schlägt brisant sicherheitsrelevant durch, dass BKA, Staatsanwaltschaften, Generalbundesanwalt, BND, Verfassungsschutzämter, MAD politisch weisungsgebunden sind, trotz letzter Anmahnung 2017 von Interpol u. a. supranationaler Sicherheits Organisationen, bis zur Änderung dieser obrigkeitsstaatlichen Verhältnisse in Deutschland, in Bund, Ländern, die Zusammenarbeit mit Deutschland zu Nachrichtenlagen ausgesetzt,, Deutschland aus Breaking News Netzwerken ausgeschlossen haben.



    Abhilfe wurde bis heute nicht geleistet, selbst aus dem Groko Vertrag 2018 sind solche Veränderung Intentionen n. m. E. nicht ersichtlich. Was ist da los?

    Zu Thomas de Maisière sei an dessen Wort erinnert, weitere Hintergrund Information kann ich ihnen nicht geben, weil die die Bevölkerung beunruhigen könnten.

  • Es ist wirklich erschreckend. Ich kann mir leider nur zu gut vorstellen, dass das genau so passiert ist, wie der Zeuge ausgesagt hat.

  • Fakten-Check :

    - 10 V-Leute hatten Kontakt zu Amri . Mind. 1 davon vom BKA , Rest von BfV & LKA´s . www.heise.de/tp/fe...950.html?seite=all , de.wikipedia.org/wiki/Agent_Provocateur

    - Mind. 1 V-Mann hat laut dessen Aussagen BKA , BfV & LKA über Amri informiert . taz.de/Zeuge-belas...isterium/!5642370/

    - Amri wurde von V-Mann nach Berlin gefahren . www.spiegel.de/pol...lin-a-1129993.html

    - Amri fertigte ein Video vor dem Anschlag an , welches dem BND vorliegt dessen Quelle/en BfV , BKA & LKA war . www.merkur.de/poli...s-zr-11791646.html

    - Amri erhielt eine Waffe des Typs welchen auch die NSU nutzte , aus bislang nicht nachgewiesener ( ggf. Schweizer ) Quelle . www.welt.de/politi...n-Amris-Waffe.html www.welt.de/politi...istolenmodell.html

    - Die zuständigen Ministerien auf Bundesebene wurden zum damaligen Zeitpunkt folglich nachweislich informiert . ( Und wollen angebl. Nicht reagiert haben ? ) de.wikipedia.org/w...te_Abstreitbarkeit

    - Amris Observierung wurde ( nachweisl. auf Anordnung der Generalbundesanwaltschaft ) eingestellt, weil laut Generalstaatsanwaltschaft Berlin „die umfangreichen Überwachungsmaßnahmen ( des LKA , BKA & BfV ) trotz Verlängerung ( laut LKA , BKA & BfV ) keine Hinweise erbracht hatten , um den ursprünglichen Vorwurf zu verifizieren oder diesen oder einen anderen staatsschutzrelevanten Tatvorwurf zu erhärten, so dass keine Grundlage für eine weitere Verlängerung der Anordnungen zur Überwachungsmaßnahmen mehr bestand“. de.wikipedia.org/w...in_Friedrichshafen

  • Innenminister Jäger, NRW, samt Hannelore Kraft hatten die Verantwortung. Plus die Ausländerbehörde in Kleve, die einen Fehler nach dem anderen machte - Anweisung an das AG Ravensburg, Amri freizulassen. Habe noch alles gespeichert.

  • Alles was nicht beweisbar ist, ist juristisch wertlos, wenn es um eine Verurteilung gehen sollte.



    Es sei denn beide Gesprächspartner bezeugen das Gespräch nahezu gleichlautend und der interne Informant gibt seine Quellen preis...wie wahrscheinlich ist das bitte?

    Alles andere kann über eine grosse Empörung nicht hinausgehen - wen juckt's? Maiziere ist nicht mehr im Job und was nicht beweisbar ist wird auch keine Auswirkungen auf irgendwelche anderen Jobs haben.

  • Jetzt wird immer deutlicher, warum Pegida-Bachmann schon eine Stunde nach dem Attentat und lange der Polizei wusste, dass der Weihnachtsmarkt-Attentäter ein Tunesier und nicht der Pakistani ist, den man bis zum Mittag des folgenden Tages verdächtigte.

    • @robby:

      Warum?

      • 7G
        7363 (Profil gelöscht)
        @Mitch Miller:

        naja weil ja somit möglich wäre dass rechtsextreme menschen im innenministerium bzw verfassungsschutz, bka u co die sache haben passieren lassen um politisch zu agitieren.

        • @7363 (Profil gelöscht):

          Ah, ok...mein Reden. Abgesehen von grosser Imkompetenz halte ich es auch für durchaus wahrscheinlich, dass man "mal was passieren lassen wollte", um die Eskalationsleiter raufgehen zu können bzw. eine Bestätigung für restriktive Maßnahmen erzeugen wollte.

          D.h., die Annahme hier ist, dass rechte Kreise mit internen Connections zusammengearbeitet haben.

          Und der Maiziere hat sich vielleicht nach Bachmanns prahlerischem "ichweisswaswasihrnichtwisst" an den Kopf gefasst "jetzt plaudert der Idiot Interna aus, das darf der doch offziell gar nicht wissen".

          Mja...hat eine gewisse Logik.