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Zerwürfnis beim PEN BerlinDen Fokus verloren

Julia Hubernagel
Kommentar von Julia Hubernagel

Hin und her und her und hin: Der Schriftstellerverband PEN Berlin ist dabei, sich aufgrund des Konflikts im Nahen Osten selbst zu zerlegen.

„Komplett aus dem Blick geraten ist die eigentliche Aufgabe eines PEN: sich für verfolgte Au­to­r:in­nen einzusetzen“ Foto: Novo Images/DEEPOL/plainpicture

S eit über einer Woche befindet man sich beim PEN Berlin im Streit, der immer neue Schleifen zieht. Mehrere offene Briefe und lautstark vollzogene Austritte später ist der Nahostkonflikt immer noch nicht gelöst.

Man muss die Schleifen an dieser Stelle einmal auflösen. Vor beinahe zwei Wochen veröffentlichte der Schriftstellerverband eine Resolution, die auf den Schutz von Jour­na­lis­t:in­nen und Schrift­stel­le­r:in­nen im Krieg in Gaza pochte. Dass die Resolution vereinsintern überhaupt angenommen wurde, war äußerst knapp. 83 Stimmen votierten für, 82 gegen die Erklärung, die von Anfang an Kompromiss war. Entwürfe, die jeweils näher an der israelischen beziehungsweise an der palästinensischen Seite waren, wurden abgelehnt.

Im Nachhinein problematisierte man den Kompromiss aus zwei Richtungen. Zunächst distanzierte sich eine Gruppe, zu der unter anderem Yevgeniy Breyger, Stephan Wackwitz und Ronya Othmann zählten, von der Erklärung, da diese sich mit Au­to­r:in­nen solidarisiere, die „als Pro­pa­gan­dis­t:in­nen des Terrors von Hamas und Hisbollah tätig waren“. Genannt wird etwa der Autor und Hamas-Funktionär Mustafa Al-Sawwaf, der sich den Plänen widersetzte, „den Holocaust in den palästinensischen Schul-Lehrplan aufzunehmen“. Ob man diesen als „Kollegen“ aufführen müsse, fand man zu Recht fragwürdig. Austritte waren mit der schriftlichen Distanzierung nicht verbunden.

Ungleich dramatischer äußerte eine andere Gruppe ihr Missfallen mit der Resolution. Von einem „windelweichen Kompromissantrag“ ist da die Rede, „der nicht Nein zu einer exzessiven Kriegsführung sagen kann, ohne ein gequältes ‚Aber die Hamas hat angefangen‘ hinterherzuschieben“. Warum das Weglassen von Tatsachen der Sache dienlich wäre, wird nicht weiter erörtert. Es folgen seltsame Formulierungen, wie, dass der Austritt aus dem PEN Berlin für die Unterzeichnenden ein „Gebot der geistigen und moralischen Hygiene“ sei. Überhaupt, so ist man einigermaßen arrogant überzeugt, sei eben dieser Austritt ein „Abschiedsgeschenk“ an den Verband. Unterzeichnet haben unter anderem Fadi Abdelnour, Susan Neiman, Deborah Feldman und Per Leo.

Komplett aus dem Blick geraten ist, was eigentlich Aufgabe eines PEN ist: sich für verfolgte Au­to­r:in­nen einzusetzen

Hört man Letzteren reden, so könnte man meinen, der PEN Berlin sei durch die 25 Austritte seiner gesamten intellektuellen Sprengkraft beraubt. Im Deutschlandfunk legte der Historiker seine Sicht der Dinge dar. Wäre die Debatte um eine Resolution über die Lage in Gaza und im Libanon von der Führungsebene des PEN Berlin angestoßen worden und hätte diese dann verschiedene Stimmen innerhalb des Vereins eingeholt und dann auch noch versucht, einen Kompromiss zu finden, ja, dann hätte man diesen Kompromiss womöglich sogar akzeptiert. Stattdessen ging die Initiative von einer kleinen Gruppe aus, ja, seiner nämlich, die dann ständig mit Korrekturwünschen konfrontiert gewesen sei. Lieber wäre es Leo gewesen, so scheint es, wenn diese kleine Gruppe einfach für den ganzen Verein gesprochen hätte.

Kritik am Führungsstil

Ob und warum eine Resolution überhaupt notwendig ist, ist dabei gerade im Kontext des PEN Berlin interessant zu fragen. Ursprünglich im Streit über den Ukrainekrieg aus dem PEN Zentrum Deutschland herausgegangen, stritt sich der junge Schriftstellerverband vor ziemlich genau einem Jahr darüber, ob man nicht besser eine Erklärung verfasst hätte, die sich nach dem Attentat der Hamas mit den Israelis solidarisch erklärt hätte. Auch damals waren Austritte die Folge.

Damals wie heute führten die Austretenden noch einen weiteren Kritikpunkt mit ins Feld: den Führungsstil der PEN-Berlin-Vorsteher:innen. War das im letzten Winter neben Deniz Yücel noch Eva Menasse, die den scheidenden Mitgliedern den Wunsch nach „15 minutes of fame, um einem jungen Verein zu schaden“ unterstellte, steht dem Welt-Journalisten seit Kurzem die Autorin und Moderatorin Thea Dorn zur Seite. Interessant ist dabei auch, wie die aktuelle Debatte neue Allianzen zustande bringt, was an sich nicht gegen die Akteure spricht. Wie auch die Tageszeitung nd anmerkt, hatte etwa Marion Detjen ihren Historikerkollegen Per Leo 2021 noch kritisiert, als der in seinem Buch „Tränen ohne Trauer“ an der Singularität des Holocausts, nun ja, „rüttelte“. Nun steht Detjens Name neben dem Leos auf der Liste der Austretenden.

Ähnlich, aber anders, verhält es sich mit Eva Menasse und Susan Neiman. Beide vertreten die Ansicht, Kritik an Israel sei in Deutschland nur begrenzt möglich. Neiman brachte den Begriff des McCarthyismus aufs Tapet, Menasse klassifizierte Antisemitismus einmal als „Meinung“. Ausgetreten ist nun nur Neiman. Menasse wiederum gehört zu denen, die einen weiteren offenen Brief unterzeichnet haben: „Wir bleiben“, spricht er schon im Titel das Offensichtliche aus. Doch der Impuls ist richtig: Denn der „gigantische Wirbel“, der sich in der Debatte um die Kompromiss-Resolution entzündet hat, „ist Außenstehenden längst nicht mehr zu vermitteln“. Und: „Weder die eine noch die andere Seite, die sich in Deutschland zu Unterstützern der Konfliktparteien in Nahost formiert haben, (hat) auf diesen schrecklichen Krieg irgendeinen Einfluss.“ Stimmt.

Komplett aus dem Blick geraten ist in der Debatte, was eigentlich Aufgabe eines PEN ist: sich für verfolgte Au­to­r:in­nen einzusetzen. Wenn nun eine Gruppe ihren PEN verlässt, weil man zum Gespräch mit Andersdenkenden nicht mehr bereit ist, fragt man sich, wie man sich das vorgestellt hat, inhaftierte Schrift­stel­le­r:in­nen aus den Fängen repressiver Regime herauszuverhandeln. ­Najem Wali, Writers-in-Prison-Beauftragter des anderen deutschen PEN, hatte kürzlich bei einer Solidaritätslesung für den inhaftierten algerischen Schriftsteller Boualem Sansal in Leipzig erzählt, wie vorsichtig man gezwungen sei, mit Diktatoren zu sprechen. Dass es keinen Spaß macht, brutalen Machthabern die Hand im Samthandschuh zu reichen, ist klar. Dass es nötig ist, wenn es um Leben und Tod geht, ebenso.

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Julia Hubernagel
Kulturredakteurin
Studium der Geschichte und deutschsprachigen Literatur in Bochum und Berlin. Redakteurin im Kulturressort.
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6 Kommentare

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  • Bei dem Ganzen geht es wohl vorrangig um die eigene moralische Selbstvergewisserung. Leider ist die in diesem Konflikt nicht zu haben. Es gibt kein Schwarz-Weiß und jeder Aspekt ist relevant. Sowohl die kritikwürdige Reaktion Israels als auch der als eliminatorisches Programm gekennzeichnete antisemitische Pogrom der Hamas.

  • Mehr Spaltung wagen! Das ist die linke Kernkompetenz schlechthin: Sich selbst zu atomisieren und zu zerlegen bis in alle Einzelteile und die totale Bedeutungslosigkeit. Bevorzugt in Zeiten, in denen starke Bündnisse benötigt werden. Ein Untergang im selbst gelegten Fegefeuer der Eitelkeiten.

  • "Letztlich erklären sie ihre arabischen Kollegen für vogelfrei, bloß weil sie ihren Vorstellungen von Unschuld nicht entsprechen."

    "Ich kann nicht mit Leuten in einem Club sein, von denen ich sicher weiß, dass sie sich nie für mich und meinesgleichen einsetzen würden."

    Aus der Austrittserklärung von Stefan Weidner, Übersetzer aus dem Arabischen

    Wenn ich mir die Mitgliederliste angucke (Wikipedia), dann finde ich nur wenige Schriftsteller, aber viele Wissenschaftler, Publizisten, Ideologen, Journalisten, Campaigner und sogar Berufspolitiker in diesem angeblichen "Club der Poets, Essayists, Novelists" (=PEN).

    Tatsächlich keine Solidargemeinschaft, sondern eine Weltanschauungsgemeinschaft.

  • Man muss es ganz klar sagen: Wer das Hamas Massaker vom 07.10. gutheißt, verteidigt oder verharmlost unterstützt einen versuchten Völkermord.



    Wer die Kriegsführung der Israelischen Armee und die Besatzung im Westjordanland gutheißt, verteidigt oder verharmlost, unterstützt einen gemächlich vollzogenen Völkermord.



    Ich muss zugestehen, dass es auch mir schwer fällt, mit auch nur einer von beiden Fraktionen etwas zu tun haben zu wollen.



    Jede(r), der/die unter eine dieser Kategorien fällt, sollte das eigene Weltbild mit Blick auf Humanismus und Menschenrechte mal ernsthaft hinterfragen.



    Von daher kann ich schon nachvollziehen, warum es einige Organisationen derzeit zerreißt. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, wie man diese Massenmorde in irgendeiner Weise gutheißen kann oder als notwendig erachtet, während man sich selbst als moralische Person erachtet.

    • @TeeTS:

      Manche Menschen versuchen eben, die Geschehnisse in einen Kontext zu stellen / politisch einzuordnen oder verstehen sich als Anwält:in der einen oder anderen Seite.



      Und das finde ich überhaupt nicht verwerflich.



      Eine äquidistante Haltung ist im nicht von Gewalt betroffenen Deutschland natürlich einfach... ich finde es eigentlich gut, wenn es politischen Streit, auch über den Nahost-Konflikt gibt, er müsste anders ausgetragen werden.

      Schade, dass das Schicksal von Boualem Sansal darüber untergeht, es ist viel Solidarität für ihn nötig!

    • @TeeTS:

      Volle Zustimmung.

      Ich kann mich ebenfalls mit keiner Seite identifizieren und nach anfänglicher Unsicherheit wurde mir klar, dass man das nicht muss.



      Beide Seiten (also die Exekutiven) sind schuldig und es ist kaum zu bewerten, wer mehr und wer weniger schuldig ist, weil diese Kategorien nur formale Dimension haben.

      Beider Parteien Sympathisanten-und Feindeslager sind mir ein Gräuel und nützen niemandem.