Zerstörtes Wasserkraftwerk im 2. Weltkrieg: Nach Drehbuch Hitlers und Stalins
Im Zweiten Weltkrieg wurde am Dnipro ein Wasserkraftwerk sowohl von sowjetischer als auch von deutscher Seite zerstört. Es gibt Parallelen zu heute.
Die Tragödie von Nowa Kachowka ist ein Déja-vu. Im Zweiten Weltkrieg wurden in der Ukraine zwei der größten Zerstörungen im Rahmen der Kriegstaktik der verbrannten Erde ins Werk gesetzt: die Zerstörung des historischen Stadtzentrums von Kyjiw und die Sprengung des Wasserkraftwerks DniproHES im Jahr 1941. Beide Sabotageakte wurden von Pionieren der Roten Armee verübt.
Die Sowjet-Propaganda beschuldigte in beiden Fällen den Gegner. Obwohl das nicht stimmte, hinterließen die Nazis später an beiden dieser Orte ebenfalls ihre Spuren: Nach einem Befehl Hitlers ließen Himmlers Leute 1941 die mittelalterliche Uspenski-Kathedrale im Kyjiwer Höhlenkloster sprengen. Und die Wehrmacht zerstörte Ende 1943 erneut das DniproHES, das zuvor von den deutschen Besatzern mühsam wieder aufgebaut worden war.
Die erste Sprengung des Kraftwerks führte der Ingenieur Oberst Boris Epow aus. Er erinnerte sich: „Am 14. August wurde ich vom Chef der Armeeingenieure, Generaloberst Leontij Kotljar, vorgeladen und beauftragt, am Morgen mit einem Sonderflugzeug nach Saporoschje zu fliegen, um die geplante Zerstörung vorzubereiten. Am Abend des 18. August kamen die Deutschen auf das rechte Dnjepr-Ufer und begannen, das linke Ufer zu beschießen. Der Regimentskommandeur, der sich zusammen mit dem Verbindungsoberstleutnant Petrowski zurückzog, gab den Befehl, die Zerstörung des Kraftwerks durchzuführen.“
Die Sprengung führte zu einer Überschwemmung, die flussabwärts lebende Dorfbewohner und am Dnipro stationierte Rotarmisten mit sich riss. Tausende Menschen starben. Boris Epow wurde wegen Sabotageverdachts verhaftet, kam aber auf Anweisung Stalins wieder frei. Das Ziel der Sprengung war erreicht: Ein Durchbruch der Wehrmacht auf das östliche Ufer des Dnipro wurde verhindert. Epow beteiligte sich danach an den Vorbereitungen für die Sprengung Moskaus für den Fall, dass es von den Deutschen eingenommen würde.
Beim ihrem Rückzug verminte und sprengte die Wehrmacht erneut den Damm des Stausees des Wasserkraftwerks – zwar nicht in dem Umfang, wie die sowjetische Armee es zwei Jahre vorher getan hatte, dafür aber präziser, da sie versuchte, die Pontonübergänge der Roten Armee flussabwärts des Dnipro mit der durch die Wasserabflüsse entstehenden beschleunigten Strömung zu zerstören.
Das DniproHES wurde schrittweise bis 1950 wiederhergestellt.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär