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Zerstörte Beweismittel zum NSU-UmfeldUngestraftes Aktenschreddern

Das Schreddern des Verfassungsschutzes bleibt folgenlos: Die Staatsanwaltschaft lehnt Ermittlungen ab, die Vernichtung ist nun verjährt.

Angehörige der NSU-Opfer sind enttäuscht von der Arbeit der Ermittlungsbehörden Foto: dpa

Berlin taz | Das Aktenschreddern des Verfassungsschutzes direkt nach Bekanntwerden des NSU bleibt folgenlos. Die Generalstaatsanwaltschaft Köln teilte mit, dass sie dazu nicht mehr ermitteln wird. Damit ist die Vernichtung seit Freitag verjährt.

Am 11. November 2011 – der Tag, an dem der NSU öffentlich bekannt wurde – hatte im Bundesamt für Verfassungsschutz der Referatsleiter mit dem Decknamen Lothar Lingen angeordnet, sieben V-Mann-Akten zu schreddern – allesamt aus Thüringen, dem Heimatland der Rechtsterroristen. In der Folge trat der damalige Verfassungsschutzchef Heinz Fromm zurück.

Lingen behauptet bis heute, ihm seien bei einer Durchsicht der Akten nach einem NSU-Bezug Löschfristen aufgefallen. Zu den Rechtsterroristen habe dort nichts gestanden. Jüngst aber wurde noch eine Aussage Lingens vor der Bundesanwaltschaft bekannt. Dort räumte er ein: Er habe auch Schreddern lassen, damit bei der Vielzahl an Thüringer V-Leuten „die Frage, warum das BfV von nichts gewusst hat, vielleicht gar nicht auftaucht“. Die Familie des NSU-Opfers Mehmet Kubaşık stellte daraufhin Strafanzeige wegen Strafvereitelung.

Eine Sprecherin der Kölner Generalstaatsanwaltschaft nannte eine Vertuschungsabsicht „unbegründet“. Bereits zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Köln neue Ermittlungen abgelehnt: Die Aussage Lingens vor der Bundesanwaltschaft ändere nichts. Dieser habe ja von vornherein eingeräumt, es sei ihm auch um Arbeitsersparnis gegangen. Hauptmotiv für das Schreddern aber seien die Löschfristen gewesen. Zu diesem Schluss waren die Staatsanwälte schon nach ersten Ermittlungen gegen Lingen gekommen, die sie 2013 eingestellt hatten.

Kritik von der Opposition

Linken-Innenexpertin Petra Pau reagierte empört. „Es ist eine Schande“, sagte sie am Freitag in einer Bundestagsdebatte zum fünften Jahrestag des NSU-Bekanntwerdens. Die Justiz halte ihre „schützende Hand“ über den Verfassungsschutz. „Die Betroffenen werden ein weiteres Mal verhöhnt“, kritisierte Pau. Bis heute werden zum NSU-Terror, der mindestens zehn Menschenleben kostete, „geschwiegen, geleugnet und vertuscht“.

Auch die Grüne Irene Mihalic monierte, von den Reformen der Behörden nach dem NSU sei „ganz viel Kosmetik, ganz viel Bestandspflege“. Sie forderte von Kanzlerin Angela Merkel, „ein unmissverständliches Wort“ an den Verfassungsschutz, sein Mauern in der Aufklärung aufzugeben.

Die Union verteidigte dagegen die bisherige Aufarbeitung. Der CSU-Innenexperte Armin Schuster verwies auf die bundesweit bisher zwölf Untersuchungsausschüsse und den NSU-Prozess in München: Dies sei ein „einmaliger Reform- und Aufklärungsmarathon“.

Enttäuscht äußerte sich dagegen Gamze Kubaşık, Tochter des 2006 vom NSU in Dortmund erschossenen Mehmet Kubaşık, zu den ausbleibenden Ermittlungen gegen Verfassungsschützer Lingen. „Ich bin wirklich erschüttert. Soll das jetzt etwa die rückhaltlose Aufklärung sein, die uns versprochen wurde?“

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5 Kommentare

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  • Verjährt?

     

    Könnte die Verjährung der Strafverfolgung nicht auch einfach nur gehemmt sein, wenn diverse staatliche Institutionen gemeinschaftlich zielgerichtet eine Strafverfolgung verhindert haben?

     

    Sofern das Schreddern der Akten u. a. und die Verfolgungsverhinderung durch gezielte Verschleppung als Einheit betrachtet werden können, sehe ich keinen Grund, die Einrede der Verjährung zuzulassen.

  • "Die Staatsanwaltschaft lehnt Ermittlungen ab, die Vernichtung ist nun verjährt."Zitat

    Mmein lieber Scholli kmmt mir das bekannt vor!

    Kann noch jemand was mit dem Namen EDUARD DREHER anfangen,der so raffiniert 1968 das "Gesetz über Ordnungswidrigkeiten"durch den Bundestag schleuste?Es sorgte dafür, dass..."Dementsprechend reduzierte sich auch das für dieses Delikt vorgesehene Strafmaß und – anders als heute § 78 – die damit verknüpfte Verjährungsfrist von 20 Jahren auf 15 Jahre. Da man aber Taten mit einer Höchststrafe von 15 Jahren am 8. Mai 1960 hatte verjähren lassen, waren die Verbrechen sämtlicher Nazi-Mordgehilfen auf einen Schlag rückwirkend seit 1960 verjährt."Ja so können gewiefte Juristen mit brauner Vergangenheit und Zukunft immer wieder ihren Kameraden,oder auch ganzen Armeen von Kameraden,aus der Patsche helfen.

  • Ich habe die großmäulige Eloge bzw. Selbstbeweihräucherung des Abgeordneten und Co-Obmanns Schuster, was der NSU-Untersuchungsausschuss alles "bewegt" habe, live auf Phoenix verfolgen dürfen, ebenso sein Gestänkere gegen die zuvor geäußerst abweichende Sicht der Co-Obfrau Petra Pau. Der Mann ist wirklich dreist.

     

    Ganz deutlich wird an diesem Vorgang, dass der Verfassungsschutz, ob Bund oder Land, auf recht arrogante Weise ein Eigenleben führen darf - der Verdacht einer braunen Durchseuchung ist da nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Jedenfalls ist unerträglich, dass Mitarbeiter dieser ineffizienten Schlapphut-Gilde nicht zur Aussage vor Gericht gezwungen werden dürfen.

  • Jetzt haben wir es amtlich: Es gibt einen "Tiefen Staat" in Deutschland; wenn es mächtigen Interessen widerspricht, werden Verbrechen nicht aufgeklärt.

     

    Wo kann man die verantwortlichen Behörden abwählen?

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Eklig.

    Da haben sich ja die richtigen Freunde gefunden. Die Thüringer Verfassungsschützer mit ihren Spezln und die Generalstaatsanwaltschaft Köln und die pünktliche Verjährungsfrist am 11.11.2016.

    Es gibt Leute, die noch ans Christkind glauben und es gibt Leute, die an eine Aufklärung des Rechtsextremismus um den NSU herum glauben. Euch ist zu sagen, daß es beides nicht geben wird. Es gab kein Christkind und es wird keine Aufklärung des Rechtsextremismus in Deutschland geben.

    Sehr starke Kräfte in Deutschland wollen das nicht, daß diese Verbrechen und Machenschaften aufgeklärt werden.