Zentralasiens Blick auf Russland: Angst vor dem großen Nachbarn
Viele in den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens schauen ängstlich auf Russland. Sie fragen sich, ob sie Putins nächstes Kriegsziel werden.
N ur wenige haben es bisher laut ausgesprochen, aber viele hier verstehen, dass wir nach der Ukraine als Nächstes dran sein könnten. Jetzt hört man immer häufiger: Wenn die Russen mit ihrer so genannten „Spezialoperation“ fertig sind, greifen sie als nächstes die Länder Zentralasiens an.
Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.
Die Menschen, die das verstehen, sympathisieren in jeder Hinsicht mit den Ukrainern und versuchen zu helfen. Wenn nicht materiell, dann doch wenigstens moralisch. Es wird viel über Ähnlichkeiten der Kulturen und der Mentalität gesprochen. Auch wir Kirgisen sind ein freiheitsliebendes Volk. Wir haben nicht nur mehrere Machtwechsel überstanden, wir sind es auch nicht gewohnt, unterdrückt zu leben.
Zur zentralasiatischen Region gehören fünf Staaten: Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan. Zwischen einigen dieser „Nachbarn“ gibt es noch ungelöste Grenzprobleme. Aber seit dem 24. Februar haben vor allem die Fragen nach den Beziehungen zu Russland wieder an Bedeutung gewonnen. Als die kasachische Regierung etwa offiziell erklärte, Russlands Handeln in der Ukraine nicht zu unterstützen, waren sie die Ersten, die offene Drohungen erhielten.
Vom ersten Kriegstag an haben Experten und Politiker immer wieder gesagt, dass die heutigen Gebiete der zentralasiatischen Länder ein „Geschenk Russlands“ seien. Darüber hat man schon lange vor Kriegsbeginn gesprochen. Die Rhetorik ist also nicht neu. Aber seit Beginn der Kriegshandlungen in der Ukraine wurde sie noch verstärkt. Immer häufiger kann man jetzt Aussagen über die Wiederbelebung der Sowjetunion hören.
Angesichts der Ereignisse in Karakalpakstan, einer autonomen Republik im Westen Usbekistans (dort protestierten Anfang Juli die Menschen gegen den Verlust ihrer Autonomie nach einer Verfassungsänderung; d. Red), hat der Präsident von Belarus Alexander Lukaschenko noch einmal daran erinnert: „Zentralasien ist, wie auch wir, zwischen zwei Feuern. Auf der einen Seite die Europäer und Amerikaner, und auf der anderen China, das Zentralasien sehr stark hilft. Und dieser Kampf wird in Zentralasien stattfinden. Das können Sie sich bald anschauen.“
aus Bishkek ist stellvertretende Chefredakteurin des Nachrichtenportals 24.kg
Sind das Drohungen, Warnungen oder Hinweise? Experten schließen nicht aus, dass Lukaschenko und Putin frühere Beziehungen wiederherstellen wollen, um so die Sowjetunion wiederzubeleben. Aber nicht wirtschaftlich, sondern politisch, mit einem einzigen Territorium, ähnlich dem der UdSSR.
Und wie ein Politologe sagte: „Es ist offensichtlich, dass zwischen den Ländern Zentralasiens und Russlands eine neue Ära der Beziehungen begonnen hat. Es ist klar, dass Russland nicht vorhat, seinen Einfluss in der Region aufzugeben. Er wartet dabei auf die Unterstützung von Verbündeten. Und wenn er die nicht bekommt, wird er versuchen, diesen Einfluss mit eigener Kraft zu erzwingen.“
Aus dem Russischen von Gaby Coldewey
Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.
Einen Sammelband mit den Tagebüchern bringt der Verlag edition.fotoTAPETA im September heraus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit