Zeitungssterben in den USA: Das Geisterhaus von McKeesport
Während die großen Zeitungen am Dauerstreit mit Trump gesunden, gehen die Lokalzeitungen in den USA ein. Das hat fatale Folgen.
Die McKeesport Daily News hat vor drei Jahren geschlossen, am 31. Dezember 2015 verließ die letzte Ausgabe das Haus, 1.000 Exemplare waren es. Anfang des Jahrtausends wurden in der Kleinstadt am Monongahela River im Westen Pennsylvanias noch 25.000 Exemplare am Tag gedruckt. Aber McKeesport schrumpft, von 30.000 auf 20.000 Einwohner in den letzten zehn Jahren. Zuletzt war die Daily News mit 1,50 Dollar den meisten Leuten zu teuer. Also schloss die Zeitung, die 50 Angestellten wurden arbeitslos.
Das Gebäude ist heute leer, Eingangshalle und Redaktion sind ein Geisterhaus. Was vom Inventar der Zeitung noch übrig ist, hat Bürgermeister Jim Brewster in einem kleinen Raum im zweiten Stock gesammelt. Alben mit alten Titelseiten, Druckplatten, ein Gemälde des Gründers, eines Industriellen aus Pittsburgh, stehen in der Ecke. „Die Leute haben als Erstes die Todesanzeigen vermisst“, sagt Brewster.
Inzwischen lohnt es sich wirtschaftlich kaum noch, in mittleren und kleinen US-Städten Redaktionen zu betreiben. Dieses Problem betrifft McKeesport ebenso wie die nahe gelegene Stadt Pittsburgh. Noch vor wenigen Jahren erschienen in der Metropolregion täglich drei Zeitungen. Die Post-Gazette, die Tribune-Review und die McKeesport Daily News. Tribune-Review und Post-Gazette gibt es noch, allerdings konzentrieren sich beide Häuser auf schnelle Online-Texte, die vom Newsdesk aus entstehen, und sparen am Reporterpersonal.
Zeitungskrise geht weiter
Das äußert sich besonders dann, wenn sich Pennsylvanias Wähler*innen ein Bild über das politische Personal machen müssen, so wie in diesen Tagen, kurz vor den Kongresswahlen. „Die Zeitungen recherchieren immer seltener selbst zu den Kandidat*innen“, sagt Andrew Conte, Leiter einer journalistischen Non-Profit-Organisation in Pittsburgh. Über den republikanischen Herausforderer für die Senatswahl zum Beispiel, Lou Baretta, finden sich auf der Webseite des Tribune-Review fast ausschließlich Agenturtexte, die von der Associated Press übernommen wurden.
In der Ära Trump können sich große US-Zeitungen über Abozuwachs freuen. Aber im Rest des Landes geht die Krise weiter. Was bedeutet das Zeitungssterben für die Demokratie? Und wer springt ein? Vier Folgen über die Zukunft der Vierten Gewalt.
Die Recherche wurde unterstützt durch ein Stipendium des American Council on Germany in New York.
Auch die Autorentexte enthalten keine Eigenrecherchen, sie verweisen auf Pressemitteilungen, Fernsehberichte oder Onlinevideos. „Früher hätten Tribune-Review und Post-Gazette beide mindestens eine tiefgründig recherchierte Geschichte über jeden Kandidaten gemacht“, sagt Conte. Conte befürchtet, dass aus dem Westen Pennsylvanias bald werden könnte, was man in den USA „News Desert“ nennt – eine Nachrichtenwüste. Denn so wie der Region Pittsburgh ergeht es den meisten lokalen Zeitungsmärkten in den USA. Während die New York Times und die Washington Post an der Dauerfehde mit Donald Trump gesunden, geht im Rest der USA die Zeitungskrise weiter. Das Journalismusinstitut der Columbia University in New York hat im vergangenen Jahr eine Karte mit den „Nachrichtenwüsten“ veröffentlicht. Darin verzeichnet sind die Countys, in denen nur noch eine oder gar keine Tageszeitung existiert.
Emily Bell, Professorin an der Columbia, beobachtet den Rückzug des Journalismus aus den mittleren und kleineren Städten der USA. „Die Folge ist, dass die Menschen dort keine unmittelbare Beziehung mehr zu den Medien haben“, sagt Bell. „Sie müssen sich vorstellen, dass diese Menschen keine Reporter*innen mehr kennen, die aus ihrer Gegend oder zumindest in ihre Gegend kommen.“ Das ist eine Entwicklung, die populistische und pauschalisierende Einstellungen gegen „die Medien“ fördern kann.
Das Ende der Daily News in McKeesport wäre womöglich zu verkraften, wenn die Lage in der benachbarten Großstadt Pittsburgh noch so wäre wie vor zehn Jahren. Damals hatte die „Steel City“ für eine mittelgroße US-Stadt einen erstaunlich diversen Nachrichtenmarkt. Industrielle hatten Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in große Zeitungsverlage investiert: zum Teil aus Philanthropie, zum Teil, um sich eine politische Stimme zu geben. Die „Große Depression“ in den 30ern politisierte die Bevölkerung, die Nachfrage nach täglichen Nachrichten wuchs. Verblieben sind die Post-Gazette oder PG, mehrfache Pulitzerpreisträgerin sowie der Tribune-Review, oder Trib. Beide sind in den letzten zehn Jahren extrem zusammengeschrumpft.
Teure Reporter*innen loswerden
Damit ist Pittsburgh, die ehemalige Stahlstadt im Herzen des Rostgürtels, in deren Metropolregion rund 2,3 Millionen Menschen leben, seit diesem Jahr die größte US-Stadt ohne eine tägliche gedruckte Zeitung. Es ist ein entmutigendes Signal in einer Stadt, die mit dem Übergang ins postindustrielle Zeitalter kämpft.
Die meisten Stahlfabriken gibt es längst nicht mehr, die Stadt versucht, sich mit den Dienstleistungsbereichen Medizin und Bildung ein neues Profil zu schaffen. Die Zeitungen sind riesige Verlustgeschäfte geworden und verlieren jährlich Millionenbeträge im oberen zweistelligen Bereich. Also wird nur noch gespart. Um noch möglichst viel über Onlineanzeigen einzunehmen, konzentrieren sich beide Zeitungen im Digitalen auf schnellen, meist woanders abgeschriebenen Content – für Klicks. Reporter*innen, die Tage oder Wochen für einen Text recherchieren, finden in diesem Modell keinen Platz.
„Das Ziel der Verlage ist es, die teureren Reporter*innen loszuwerden“, sagt Andrew Conte. „Also diejenigen mit der meisten Erfahrung, dem höchsten Gehalt, mehr Urlaubstagen. Viele von ihnen bekamen eine Abfindung. Wenn sich nicht genug darauf einließen, gab es Entlassungen.“
Obwohl also die Redaktionen weiterhin täglich massenweise Content produzieren, ist der Westen Pennsylvanias in Sachen Nachrichten unterversorgt. Es ist ähnlich wie in Deutschland, wo immer mehr Lokalredaktionen zusammengelegt werden, wo Inhalte oft gar nicht mehr aus der Region selbst kommen. Die Folge: Anstatt News und Geschichten aus allen Ecken ihres Einzugsgebiets zu sammeln und zentral zu verarbeiten, senden Medien Informationen von den Zentren in die Peripherie. Ereignisse werden nur noch dann abgebildet, wenn diese überregional relevant sind. Stimmungen werden falsch eingeschätzt. Im Jahr 2016, nach der Präsidentenwahl, mussten die Journalist*innen an der Küste genau das eingestehen.
Mangel an Eigenrecherchen
Es ist nicht die gedruckte Zeitung, die fehlt. Auch die Menschen von McKeesport bekommen auf einer ehrenamtlich geführten Webseite wieder Todesanzeigen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die Krise äußert sich vielmehr in einem Mangel an Eigenrecherchen über das politische und wirtschaftliche Geschehen. Das sogenannte Muckraking, das „Wühlen im Dreck“, wie investigativer Journalismus in den USA liebe- und ehrfurchtsvoll genannt wird, ist zu zeit- und kostenaufwendig. Eine Reporterin, die wochenlang in Archiven verschwindet und womöglich mit leeren Händen zurückkehrt, ist wirtschaftlich gesehen eine Belastung.
Die Recherche auf den lokalen Ebenen von Politik und Wirtschaft wurde immer hauptsächlich von Zeitungsredaktionen geleistet. Lokale Fernsehsender, von denen es nach wie vor sehr viele gibt, beschäftigen sich lieber mit bildstarken Ereignissen wie Wetter, Verkehr, Kriminalität. Politische Geschichten übernehmen sie von den Zeitungen, sobald sie groß sind. Die nationalen Blätter und TV-Networks an der Ostküste verfahren ähnlich – sie setzen jemanden in den Flieger, wenn die Story schon da ist, oder wenn eine Präsidentschaftswahl anders ausgeht als vermutet.
Und so kehrte der Journalismus auch einmal noch kurz nach McKeesport zurück: Im November 2016 gewann Donald Trump die Wahl zum Präsidenten, unter anderem hatte er überraschend die Mehrheit im Bundesstaat Pennsylvania erhalten. Also schickten die Redaktionen in den Küstenmetropolen ihr Personal ins Hinterland auf die Suche nach dem frustrierten weißen Industriearbeiter – und landeten unter anderem in McKeesport. Die Reporter*innen und Kamerateams aber verschwanden wieder so schnell, wie sie gekommen waren. Ein paar Monate später lud Andrew Conte die Menschen von McKeesport zu einer Diskussionsveranstaltung ein. Conte will aus dem alten Daily-News-Gebäude ein Zentrum für Bürgerjournalismus machen. Was wünschen sich die Leute von einem solchen Ort, wollte er fragen? Niemand kam. Die Leute, die Conte später fragte, sagten, sie hätten einfach die Nase voll von Journalisten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin