Zaza Burchuladze über die Eier Gottes: „Wir sind Heuchler“

Der georgische Autor Zaza Burchuladze spricht im Interview über seinen Roman „Touristenfrühstück“, über seine Heimat und Tattoos.

ein Mann guckt durch einen Vorhang

„Ich bin ein First-Class-Second-Hand-Writer“: Burchuladze in seiner Wahlheimat Berlin Foto: Paul Toetzke

Das Parker Bowles am Berliner Moritzplatz. Minimalistisches Design, Holztische, darauf bunt gefüllte Schälchen. Im selben Gebäude befindet sich der Aufbau Verlag, dessen Imprint Blumenbar Zaza Burchuladzes beiden zuletzt erschienenen Bücher verlegt hat. Im Frühjahr erschien sein neues Buch „Touristenfrühstück“. Ein hagerer Mann betritt nun das Café, in der einen Hand ein iPhone, in der anderen eine Zigarette. Er winkt herüber. Zaza Burchuladze trägt ein T-Shirt in dunklen Tarnfarben, schwarze Brille, schwarze Kappe. Er wirkt etwas jugendlicher als erwartet. Nur die Augen sehen müde aus.

taz: Herr Burchuladze, Sie leben seit knapp vier Jahren in Deutschland. Fühlt sich das noch nach Exil an?

Zaza Burchuladze: Ich fühle mich immer, als wäre ich im Exil, egal wo ich bin. Dieses Gefühl verlässt mich nie. Das ist mein Charakter. Schon als Kind fühlte ich mich wie ein Ausländer, wie ein Fremder. Es ist angenehm, so von sich zu denken. Man redet sich ein, dass man anders als der Rest ist.

Also fühlen Sie sich wohl in ihrer Rolle?

Ich habe mir das selbst ausgesucht. Ich wollte nie ein einfaches Leben führen. Wenn alles gut läuft, werde ich unruhig. Dann erfinde ich Probleme und versuche sie zu lösen. Das bin ich.

ist in Tiflis geboren und aufgewachsen. Der 43-Jährige studierte Kunstwissenschaft und Malerei an der Akademie der Künste Tiflis. Seit 1997 veröffentlicht er Romane und Erzählungen und arbeitet zudem als Übersetzer. In seiner Heimat gewann er mehrere Literaturpreise. Religiöse Extremisten verbrannten dagegen seine Bücher, Burchuladze wurde von ihnen verfolgt und verprügelt. Der ehemalige georgische Präsident Michail Saakaschwili beschimpfte ihn in einer Nachrichtensendung als Teil einer verkommenen georgischen Generation. 2014 verließ der Autor deshalb Georgien und lebt seither in Berlin.

„Touristenfrühstück“ ist der zweite auf Deutsch vorliegende Roman Burchuladzes. In dem im Frühjahr veröffentlichten Roman beschreibt Burchuladze seine Berlin-Erfahrungen. Der Erzähler flaniert durch die neue Heimat ebenso wie durch die Gedankenräume der verlassenen alten Heimat.

Zaza Burchuladze: „Touristenfrühstück“. Aus dem Georgischen von Natia Mikeladse-Bachsoliani. Blumenbar Verlag, Berlin 2017, 176 Seiten, 18,50 Euro

Mit ihrer Heimat Georgien hatten Sie ein reales Problem, sodass das Land schließlich verlassen haben. Warum?

Ich wollte Georgien eigentlich nie verlassen. Aber irgendwann habe ich gesagt: Zaza, es reicht. Ich hatte ein Problem mit der aggressiven Religiosität in Georgien. Dieses Land ist eine Sackgasse für Künstler. Es gibt dort keinen Raum für die eigene Entwicklung. Überhaupt keinen Wettbewerb.

In „Touristenfrühstück“ erzählen von Ihrem neuen Leben in Berlin, gehen in Gedanken aber immer wieder zurück nach Tiflis.

Ich bin dabei, meinen Platz hier in Berlin zu finden. Aber es ist weder einfach, seine Heimat zu verlassen, noch, sie in sich zu behalten. Menschen wie ich, Flüchtlinge, sind Teil der Moderne, unserer Realität. Sie alle tragen ein Stück Heimat in ihren Herzen.

Hat Ihnen das Schreiben beim Ankommen geholfen?

Dieses Buch war und ist eine Art Therapie. Ich war voller Vergangenheit und hatte gleichzeitig Angst, dass mich die Erinnerungen verlassen. Ich wollte es aus mir herauslassen, wie eine Beichte für meine Seele. Ich wollte mir selbst vergeben.

Vergeben?

Ja. (Überlegt) Ich wollte mir vergeben, dass ich nicht mit Georgien zurechtkomme. Mit diesem ganzen „georgischen Bullshit“. Wir sind Heuchler, wir tragen Masken wie im japanischen No-Theater. Ich war und bin auch immer noch wie Hamlet. Aber es ist unvorstellbar, Hamlet im No-Theater auftreten zu lassen.

Was verstecken sie hinter den Masken?

Sich selbst.

In „Touristenfrühstück“ schrei­ben Sie auch über Freunde, Familie, Kollegen. Waren die schockiert, als sie ihre Namen gelesen haben?

Ich benutze immer reale Menschen in meinen Geschichten. Früher wurde ich oft angegriffen und gefragt: Warum komme ich in deinem Buch vor? Aber nach diesem Buch haben mich viele gefragt, warum sie nicht in meinem Buch vorkommen.

Ist „Touristenfrühstück“ Ihr persönlichstes Buch bisher?

Ja, wahrscheinlich. Es hat mich viel Zeit gekostet und es ist kurz. Ich möchte keine dicken Bücher schreiben. Wir leben im 21. Jahrhundert und die Menschen haben nicht viel Zeit zum Lesen. Unser Zeitverständnis hat sich verändert.

Darüber denken Sie nach, wenn Sie ein Buch schreiben?

Nein. Aber ein Schriftsteller ist nicht jemand, der einfach nur schreibt. Ein richtiger Schriftsteller ist jemand, der Dinge weglässt, ausradiert. Ich würde sagen, ich bin zuallererst ein Radierer und dann ein Schriftsteller. Ich schreibe viel, dann redigiere ich und streiche sehr viel wieder weg. Außerdem gebe ich vieles wieder, was schon gesagt wurde.

Sie nennen sich selbst „First-Class-Second-Hand-Autor“.

Genau. Ich habe diesen Schriftzug an dem Secondhandladen Humana gesehen und dachte, ich schaue in einen Spiegel. Ich dachte mir: das bin ich. „First-Class-Second-Hand-Autor“ klingt cool. Und ich bin lieber das als ein Second-Class-First-Hand-Autor.

Sie sind einer der schärfsten Kritiker der orthodoxen Kirche in Georgien. Was stört Sie genau?

Die Dummheit. 85 Prozent der Kirchgänger in Georgien sind gehirngewaschen, die sind wie Zombies. Der Patriarch der orthodoxen Kirche in Georgien ist viel mächtiger als die ganze Regierung zusammen. Und die Menschen glauben ihm alles. Er hat zum Beispiel einmal gesagt, georgische Frauen sollen nur für ihre Männer leben. Dass sie die Füße ihrer Männer waschen sollen. Das ist völlig normal, dass er so etwas sagt. Das muss man sich einmal vorstellen. Außerdem sind wir ein unglaublich homophobes Land.

Ist das ein georgisches Problem oder generell ein Problem der postsozialistischen Länder?

Klar, das betrifft andere östliche Länder auch. Aber bei uns ist das Patriarchale viel stärker ausgeprägt. Haben Sie jemals einen georgischen Trinkspruch erlebt?

Ja, ich musste sogar selbst einmal einen geben. Danach war ich ziemlich betrunken. Und verrückt fand ich auch, dass nur die Männer aufstehen durften, als auf das Wohl der Frauen getrunken wurde.

Ja, das ist eine der schlimmsten Traditionen. Sie sagen „Wir respektieren euch so sehr“ und so weiter, aber eigentlich meinen sie: „Wir respektieren euch, solange ihr unsere Füße wascht.“

Denken Sie nicht manchmal, dass sie zu streng mit ihrer Heimat sind?

Nein. Ich halte mich noch zurück.

Sie schreiben: Georgien ist wie Europa, nur umgekehrt. Heißt das, Georgien gehört nicht zu Europa?

Nein, Georgien ist nicht Europa. Ihr Europäer seid von Zeit umgeben. Ihr müsst etwas machen in dieser Zeit, um Spaß zu haben oder Geld zu verdienen. In Georgien ist es anders. Wir sind ein sonniges Land. Wir haben keinen Respekt vor der Zeit, lassen uns treiben. Ihr seid Macher, wir nur Verbraucher. Klar, haben wir hier auch Porsche, Mercedes und Bosch. Aber das heißt nichts. Wir sind nur Kunden.

Das Buchcover von „Touristenfrühstück“ sieht dem deutschen Reisepass sehr ähnlich. War das Ihre Idee?

Das ist eine lustige Geschichte. Zuerst wollte der Verlag das Buchcover wie einen Deutschen Reisepass mit dem Reichsadler gestalten. Aber das ist verboten. Die Designer haben daraufhin etwas Neues probiert, aber mir hat das nicht gefallen. Auch nach drei weiteren Versuchen war ich nicht zufrieden. Dann haben sie gesagt, ich solle einfach selbst etwas zeichnen. Und das ist dabei herausgekommen. Jetzt ist es ein Papagei oder Kakadu. Wenn man diese Vögel sieht, denkt man sofort an einen Käfig. Man stellt sich keinen frei lebenden Papagei oder Kakadu vor. Das gefällt mir.

Darf ich Ihnen zum Schluss noch eine persönliche Frage stellen?

Klar.

Ich sehe, dass Ihre Haare nachgewachsen sind. In „Touristenfrühstück“ schreiben Sie, dass Sie sie abrasiert haben, weil Sie psychisch labil sind. Heißt das, Sie sind geheilt?

(lacht laut). Nein, ich habe einfach beschlossen, sie wachsen zu lassen. Dann wollte ich wieder etwas anderes und habe sie in der Mitte abrasiert. Und vor ein paar Tagen habe ich mein erstes und letztes Tattoo machen lassen. (Er nimmt die Kappe ab. In der Mitte des Kopfes hat er eine Glatze, darauf tätowiert sind zwei, große, dunkel gefüllte Punkte) Auf dem Weg zum Tätowierer wusste ich überhaupt nicht, was ich wollte. Und dann kam ich auf diese zwei Punkte. Und ich dachte mir so: Oh, das ist wie eine Steckdose. Aber jetzt habe ich noch eine bessere Version. Ich sage, dass ich einmal so hoch gesprungen bin, dass ich Gottes Eier berührt habe.

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