Wachsende Berge von Altkleidern: Nicht das Label interessiert
Die Secondhandbranche und das Textilrecycling sind in der Krise. Auch hier werden durch Corona die Systemfehler sichtbar.
Die Zeit des erzwungenen Zuhauseseins aufgrund von Covid-19 hat offensichtlich viele Leute auf die Idee gebracht, ihre Kleiderschränke und Keller auszumisten. Ungeliebte oder längst vergessene Kleidungsstücke wurden in Säcke verpackt und in die Altkleidercontainer entsorgt. Julia Breidenstein, Nachhaltigkeitsbeauftragte der Humana Kleidersammlung GmbH, beobachtet, dass seit März dieses Jahres deutlich mehr Kleider in die Container der Firma geworfen wurden als in vergleichbaren Zeiträumen.
Ähnliches berichtet der Dachverband Fairwertung, dem rund 130 gemeinnützige Organisationen vornehmlich aus kirchlichen Kreisen angehören, aber auch Oxfam Deutschland. In manchen Landkreisen seien bis zu 35 Prozent mehr Kleider abgegeben worden, so Fairwertung. „Das Textilrecycling steht vor dem Kollaps“, meldete sich Ende Juni Martin Wittmann vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse) alarmiert zu Wort. Die Preise für Altkleider sollen bis zu 80 Prozent gesunken sein.
Corona funktioniert auch in der Welt der Textilien wie ein Brennglas und zeigt, wie wenig nachhaltig der derzeitige Handel mit Secondhandkleidung und das Textilrecyling tatsächlich sind. In normalen Zeiten werden die eingesammelten Kleider über Verwertungsunternehmen vor allem nach Osteuropa, Afrika und Asien exportiert, aus Deutschland belief sich der Wert dieser Altkleider laut der UN-Datenbank Comtrade 2019 auf 368 Millionen US-Dollar.
Importverbot für Altkleider
Diese Vertriebswege sind nun verschlossen. Sehr wahrscheinlich werden sie in ihrer bisherigen Form auch nicht wieder aufgebaut werden können. Da die lokale Textilindustrie etwa in Afrika durch den Altkleiderimport fast zum Erliegen gekommen ist, hat die East African Community (EAC) ein Verbot des Imports von Altkleidern, Schuhen und Lederwaren beschlossen. Es sollte bis 2019 durchgesetzt werden, bislang wurde es freilich nur in Ruanda umgesetzt. Nun könnte sich das ändern.
Gleichzeitig bringen gemeinnützige Vereine und Firmen wie etwa Humana ihre Gewinne für Entwicklungshilfeprojekte ein, die nun durch den Gewinneinbruch gefährdet sind. In Hinblick auf die Situation im globalen Süden, wo es nur schwach ausgebildete Gesundheitssysteme und kaum Strukturen einer sozialen Absicherung gibt, spricht die Humana-Beauftragte Julia Breidenstein von einer völlig unzureichenden internationalen Antwort.
Ihr zufolge wäre für die Zeit nach Corona angesichts des Klimawandels und seiner Ursachen eine Förderung der Secondhandbranche sehr sinnvoll. Da diese allerdings europaweit wie auch global überwiegend aus Klein- und Kleinstunternehmen besteht, muss hier die Politik tätig werden. Nur die Politik kann auch den Druck auf die internationale Textilkwirtschaft aufbauen, der nötig ist, sie zum Umdenken hinsichtlich ihrer Produkte im weiteren Warenkreislauf zu bewegen.
Die Materialangaben studieren
„Kleidung aus billiger Chemiefaser oder gar Fasermixen eignen sich weder als Secondhandware noch für die Weiterverwendung“, sagt Martin Wittman vom bvse. Oft können diese Stoffe nicht einmal mehr zu Putzlappen verarbeitet werden.
Der Anteil der Altkleider, die nur noch verbrannt werden können, hat sich nach Brancheninformationen zuletzt denn auch um fast ein Achtel erhöht. Würde statt aufs Label auf die Materialangaben geachtet, würde nach Naturstoffen geschaut und der ganze Polyesterkram verschmäht, wäre also schon viel gewonnen.
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