Zapatistas in Mexiko: Kaum eine Straße ist noch sicher
Die Zapatistische Befreiungsarmee (EZLN) schließen vorübergehend ihre zivilen Selbstverwaltungsstrukturen. Die Lage wird zunehmend schwierig.
Ohne explizit einen Zusammenhang herzustellen, beschreibt die Zapatistische Befreiungsarmee (EZLN) in ihrer Stellungnahme zugleich die schwierige Lage im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas angesichts der zunehmenden Gewalt und der Präsenz krimineller Organisationen. „Die wichtigsten Städte von Chiapas befinden sich im kompletten Chaos“, schreibt Moises. Es gebe Straßenblockaden, Überfälle, Entführungen, Schutzgelderpressungen, Zwangsrekrutierungen und Schießereien.
Knapp 30 Jahre nachdem die EZLN im Januar 1994 mit einem bewaffneten „Aufstand der Würde“ weltweit Aufmerksamkeit erregte, suchen die Rebell*innen angesichts der Entwicklungen neue adäquate Formen, um ihre Gemeinden autonom zu regieren. Seit Langem ist bekannt, dass Dörfer in vielen Regionen mit der organisierten Kriminalität zu kämpfen haben. Bereits vor zwei Jahren erklärten die Indigenen, Chiapas befinde sich „am Rande eines Bürgerkriegs“. Im Mai wurde ein zapatistisches Dorf attackiert und mehrere Menschen verletzt.
Organisierte Kriminalität im ganzen Bundesstaat
Doch nicht nur in den von der EZLN kontrollierten Gebieten hat der kriminelle Terror zugenommen. Kaum eine Straße in dem Bundesstaat ist noch sicher. Paramilitärs und Selbstverteidigungsgruppen liefern sich Auseinandersetzungen, in die oft auch staatliche Kräfte involviert sind. Immer wieder müssen Menschen aus ihren Gemeinden flüchten, Aktivist*innen werden angegriffen. Die Menschenrechtsorganisation Frayba geht davon aus, dass die bewaffneten Gruppen die Gewalt benutzen, um ihre soziale, politische, wirtschaftliche und territoriale Kontrolle zu sichern und zugleich in staatlichem Interesse Widerstandsbekämpfung zu betreiben.
Diözese der Provinzhauptstadt San Cristóbal de las Casas
An der Grenze zu Guatemala, wo täglich Migrant*innen nach Mexiko einreisen, kämpfen die größten mexikanischen Mafiaorganisationen, das Sinaloa- und das Jalisco-Kartell, um die Hoheit. Im September konnten deshalb über Wochen hinweg 280.000 Einwohner*innen die Region nicht verlassen. Weder Lebensmittel noch Benzin gelangten in die Dörfer. Menschen wurden gezwungen, sich an den Blockaden des Sinaloa-Kartells zu beteiligen und den Kriminellen für Promotionsvideos zuzujubeln. Tausende mussten schon vorübergehend flüchten. Vergangene Woche schwammen mehrere in Plastiktüten verpackte Leichen den dort gelegenen Grenzfluss Rio Suchiate hinunter.
Untätigkeit der Behörden gefährdet Menschenleben
„Chiapas ist zerrissen vom organisierten Verbrechen“, erklärt die Diözese der Provinzhauptstadt San Cristóbal de las Casas und erhebt Vorwürfe gegen die Regierung: „Das Schweigen der Behörden zeugt von einem gescheiterten Staat, in dem lokale und regionale Staatsanwaltschaften, Bürgermeister sowie bundesstaatliche und föderale Regierung von kriminellen Gruppen unterwandert sind oder überholt wurden.“
Nach Meinung der EZLN sind Rathäuser von „legalen Auftragsmördern“ und dem „desorganisierten Verbrechen“ besetzt. Unter anderem macht sie den Gouverneur des Bundesstaates, Rutilio Cruz Escandón der Morena-Partei des Präsidenten Andrés Manuel López Obrador, und den Staatschef für die Eskalation verantwortlich. Das Militär und Polizeieinheiten in Chiapas schützen nicht die Zivilbevölkerung, heißt es im Kommuniqué. „Sie sind nur hier, um die Migration einzudämmen.“
Nach gescheiterten Friedensverhandlungen mit der Regierung in den 1990er Jahren kümmerten sich die Zapatist*innen vor allem darum, eigene Projekte wie Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser aufzubauen. Sie schufen jene eigenen Selbstverwaltungsstrukturen, die nun geschlossen werden. Den 30. Jahrestag ihres Aufstands vom 1. Januar 1994 will die EZLN trotzdem mit ihren Verbündeten feiern. Von Weihnachten bis Neujahr sollen die Feste stattfinden.
Hinweis: In einer früheren Version des Artikels wurden die auf dem Foto abgebildeten Personen als Zapatistas bezeichnet. Das trifft nicht zu, es handelt sich um Otomís in Mexiko Stadt. Wir haben den Fehler korrigiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken