piwik no script img

Zahlen zu BehandlungsfehlernWenn der Tupfer im Körper bleibt

Fehler bei einer Operation oder einer sonstigen Behandlung passieren immer häufiger. Das zeigt eine Statistik. Auch bei der Diagnose können Ärzte schon falsch liegen.

Da sollte nichts schiefgehen – kann aber. Bild: dpa

BERLIN dpa | Patienten und Angehörige haben im vergangenen Jahr bei ihren Krankenkassen häufiger einen Verdacht auf Behandlungsfehler geltend gemacht. In 155 Fällen starben die Patienten laut den Gutachtern im Kassen-Auftrag an den Folgen eines Fehlers oder damit zusammenhängenden Komplikationen. 1.294 Patienten erlitten einen Dauerschaden. Das teilte der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) am Mittwoch bei der Präsentation seiner Fehlerstatistik 2014 in Berlin mit.

Die Zahl der MDK-Gutachten wegen eines Verdachts auf Fehler stieg binnen eines Jahres um rund 80 auf 14.663 an. Ein Drittel der Vorwürfe bezog sich auf Orthopädie und Unfallchirurgie, gefolgt von allgemeiner Chirurgie, innerer und Zahnmedizin. In 3796 Fällen erkannten die Gutachter einen Behandlungsfehler, durch den die Patienten geschädigt wurden. Ein Drittel der Fehler passiere bei einem operativen Eingriff – ein Viertel bereits bei der Erhebung des Befundes. „Es ist mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen“, betonte die MDK-Ärztin Astrid Zobel.

„Die Zahlen sprechen dafür, dass von einer Entwarnung keine Rede sein kann“, sagte Vize-Geschäftsführer Stefan Gronemyer. Was bekannt sei, sei nur die „Spitze eines Eisberg“. Zählt man die Vorwürfe dazu, die Patienten bei Gutachterstellen der Ärzteschaft geltend machen, kommt man auf rund 6.000 bestätigte Fehler im vergangenen Jahr, wie ein Sprecher der Bundesärztekammer bestätigte. Diese Zahlen liegen aber noch nicht komplett vor. Nicht gezählt werden Fälle, bei denen sich Patienten direkt an Gerichte oder Haftpflichtversicherungen wenden.

Behandlungsfehler sind nach MDK-Darstellung in der Regel kein Verstoß einzelner Ärzte zum Beispiel wegen Unfähigkeit – sondern sie passieren in komplexen Abläufen vor allem im Krankenhaus. Dabei komme es durchaus immer wieder zu drastischen Fällen. So seien in 34 Fällen Tupfer, abgerissene Drainage-Stücke oder Führungsdrähte im Patienten zurückgeblieben. In 67 Fällen kam es zu einem vermeidbaren Druckgeschwür.

Insgesamt gab es in Deutschland laut Krankenhaus-Statistik zuletzt knapp 19 Millionen Klinikbehandlungen im Jahr.

Der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn verwies darauf, dass die Koalition bereits bewirkt habe, dass Kassen ihre Versicherten aktiv beratend unterstützen müssen, wenn es einen Verdacht auf einen Behandlungsfehler gebe. Seine Linke-Kollegin Kathrin Vogler hingegen warf der Koalition vor, zu wenig gegen die immer weiter passierenden Fehler zu tun. „So kommen die meisten Behandlungsfehler weiterhin nicht ans Licht und geschädigte Patienten erhalten kein Recht“, sagte sie.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • 6G
    64457 (Profil gelöscht)

    Gefahr sehe ich ebenfalls in der Fehl-Psychosomatisierung bzw. Psychiatrisierung körperlicher Erkrankungen. Wer wg. Virusinfekt (Entzündungswerte springen nicht an, also psychisch), Hormon- (kein Budget zum bestimmen bzw. FA-Termin erst in 1 Jahr) oder Elektrolytmangel eine Depression verpasst bekommt und in der Psychiatrie landet, hat das im erweiterten Führungszeugnis stehen. Und das bei dem gegenwärtigen Rummel um Berufsverbot für Depressive. Langwierige und teure Widerspruchsverfahren folgen, die sich nicht jeder leisten kann. Gerade ging durch die Presse, dass bspw. Autoimmunerkrankungen wesentlich mehr als gedacht einem jahreszeitl. Rhythmus folgen. Werden jetzt alle DRV-Akten derer überprüft, die deswegen als psychosomatisch oder Hypochonder eingestuft wurden?

  • Dass in Sachen Ärzte-Pfusch "mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen [ist]", scheint mir ausgemacht zu sein. Vor allem deshalb, weil die aller meisten Fehler vermutlich nicht da passieren, wo bildgebende Verfahren eine Beweisführung sehr erleichtern und die Folgen (Tod oder lebenslange starke Schädigung des Patienten) ganz besonders drastisch sind. Die aller meisten Fehler passieren wahrscheinlich abseits orthopädischer, chirurgischer oder internistischer Praxen und außerhalb von Krankenhäusern. Leute, deren be- bzw. misshandelnder Arzt beispielsweise Psychiater ist, können keinerlei Beweise vorlegen und werden sich schon deswegen nicht an irgendwelche Gutachterstellen oder Gerichte wenden, weil man ihnen dort nicht glauben würde. Klage führen werden auch diejenigen nicht, deren Immunsystem sich irgendwann mühsam allein beholfen hat, oder die den Kampf nach zermürbenden Jahren des Schmerzes aufgegeben bzw. aufgrund des Zwangs zur Priorität gar nicht erst angetreten haben. Sie alle finden einfach nicht statt in der offiziellen Statistik. Ihre Abwesenheit aber verzerrt das Bild und wird im besten Fall zu mehr oder weniger falschen Lösungsansätzen führen.

     

    Nein, dass Behandlungsfehler vor allem auf der fachlichen Inkompetenz der Ärzte beruhen, glaube auch ich nicht. Sie beruhen eher auf der Unfähigkeit der Gesellschaft, die Fähigkeiten ihrer Mitglieder optimal zu nutzen - und zwar nicht nur zum finanziellen Vorteil weniger starker Einzelner, sondern zum Wohl und Nutzen Aller, auch der Schwächsten unter uns.