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Zahl der FirmeninsolvenzenBald so viele Pleiten wie zur Zeit der Finanzkrise

2024 stieg die Zahl der Insolvenzen deutlich. In manchen Monaten wurden neue Höchststände verzeichnet. Die Gründe liegen auch in der Vergangenheit.

FTI Touristikbüro Foto: imago

Halle/Berlin dpa/taz | Die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland liegt nach Einschätzung des Insolvenzforschers Steffen Müller in etwa auf dem Niveau zu Zeiten der Finanzkrise 2009. „Wir sind in der Größenordnung, wo einzelne Monate durchaus 20-Jahres-Hochs abgeben“, sagt der Leiter der Insolvenzforschung am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Steffen Müller. Damit hat sich der bereits vor einem Jahr beobachtete Trend fortgesetzt.

„Wir hatten zu Zeiten der Finanzkrise 2009 um die 1.400 insolvente Personen- und Kapitalgesellschaften pro Monat. Jetzt haben wir das Niveau wieder erreicht.“ Damals sei aber noch in etwa die gleiche Zahl an insolventen Kleinstunternehmen dazugekommen. Derzeit seien es nur noch etwa 500. Aufgrund der jetzt größeren Unternehmen gehe verstärkt wirtschaftliche Substanz in die Insolvenz.

Nach einem Bericht der Wirtschaftsauskunftei Creditreform aus dem Dezember erreichte die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland im abgelaufenen Jahr den höchsten Stand seit 2015. Insgesamt wurden 2024 rund 121.300 Insolvenzverfahren registriert, einschließlich Verbraucher- und sonstiger Insolvenzen. Dies entspricht einem Anstieg von 10,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Insolvenzen sind nicht unbedingt gleichbedeutend mit zeitweisen oder endgültigen Firmenschließungen. Viele Unternehmen nutzen die Erklärung zur Zahlungsunfähigkeit auch, um sich – in Eigenregie oder mit einem von außen bestellten Insolvenzverwalter – neu aufzustellen. Je nach Bedeutung für den Standort kann auch eine Rettung mit Unterstützung der Politik in Frage kommen. Trotzdem haben Insolvenzen in der Regel Auswirkungen auf die Mitarbeitenden, die bis zu Massenentlassungen gehen können.

Auch für 2025 als Trend absehbar

Bezogen auf die Jahreszahlen sah Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung, das Niveau der Finanzkrise noch nicht erreicht, aber in Sicht: „Damit könnten bald wieder Insolvenzzahlen nahe an den Höchstwerten der Jahre 2009 und 2010 in Sichtweite kommen, als über 32.000 Unternehmen in die Insolvenz gingen“, sagte er bei der Veröffentlichung im Dezember.

Ein Teil der Insolvenzen sei auf Nachholeffekte zurückzuführen, erklärt Müller vom IWH. Auch die Coronazeit spiele dabei noch eine Rolle. Gemeint sind damit unter anderem Fälle wie etwa die des Reisekonzerns FTI Touristik, der während der Pandemie mit staatlichen Hilfen von fast 600 Millionen Euro vorläufig gerettet worden war. Im September hatte das Unternehmen sich aber doch für insolvent erklärt.

Einen ähnlichen Effekt hätten die höheren Zinsen gebracht. „Unternehmen, die sich früher für wenig Geld finanzieren konnten, kommen jetzt durch steigende Zinsen unter Druck.“ Allerdings hat die Europäische Zentralbank bereits begonnen, den Satz für die Leitzinsen abzusenken. Der IWH-Experte sagte aber auch, aus Sicht der Gesamtwirtschaft seien Insolvenzen einfach auch „eine Marktbereinigung“.

Langfristige Prognosen seien allerdings schwierig. „Selbst bei einer wirtschaftlichen Erholung könnten steigende Insolvenzzahlen auftreten, wenn der Rückstau noch nicht abgearbeitet ist.“

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1 Kommentar

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  • Das ist doch nicht verwunderlich. Im Moment erwischt es Firmen, die mit Strategien arbeiten, die bei EZB-Zinsen von über 2% nicht mehr funktionieren und die die Inflation nicht vollständig an die Kunden weitergeben können. Das sind insbesondere Firmen mit wenig Eigenkapital und vergleichsweise hoher Verschuldung. Es gibt dabei allerdings einen Hysterese-Effekt, denn weil es diesen Firmen bis 2021 relativ gut ging, dauert es eine Weile, bis sie zahlungsunfähig sind, nämlich ca. 2-3 Jahre, manchmal auch länger (siehe Subprime-Krise). Die Konsequenzen sind 1) Arbeitsplatzverluste, die zu einer höheren Anzahl von Privatinsolvenzen beitragen, 2) Kaufkraftverluste, die zu einem zurückgehenden Konsum (insbesondere nicht notwendiger Waren) führen und damit weitere Insolvenzen begünstigen, 3) zurückgehende Investitionen, die z. B. die Bauwirtschaft und die Automobilhersteller treffen. In dieser Gemengelage könnte der Staat (frei nach Keynes) durch Investitionen die Rückgänge der Investitionsbereitschaft in der Wirtschaft ein wenig auffangen - wenn er denn bereit wäre, dafür viel Geld zur Verfügung zu stellen. Wenn der Staat zur gleichen Zeit spart wie die anderen, wird das natürlich nichts.