Zähe Regierungsbildung in Frankreich: Macron disqualifiziert die Linke
Frankreich hat noch immer keinen neuen Premierminister oder eine Premierministerin. Präsident Macron spielt weiter auf Zeit und will mehr Gespräche.
Dabei schließt er nach den bisherigen Gesprächen eine Linksregierung der Neuen Volksfront (NFP), einer Wahlallianz von Sozialisten, Grünen, Kommunisten und La France insoumise, explizit von vornherein aus. Die von der NFP als Premierministerin vorgeschlagene Lucie Castets kommt für ihn absolut nicht in Frage. Sein Argument: Eine Regierung von Castets würde in kürzester Frist unweigerlich durch ein Misstrauensvotum der anderen Fraktionen gestürzt. Er wünsche sich eine „stabile“ Regierung.
Die NFP sieht in dieser Haltung einen Affront und weigert sich, an weiteren Treffen mit Macron teilzunehmen. Um den Druck auf den zögernden Präsidenten zu verstärken, haben die Linksparteien für den 7. September eine große Mobilisierung auf der Straße angekündigt, damit er endlich das Ergebnis der Wahlen und den demokratischen Volksentscheid akzeptiere.
Das linke Bündnis ist als Siegerin aus den Parlamentswahlen hervorgegangen und reklamiert deshalb die Regierungsmacht für sich. Mehr einer Tradition folgend als einem zwingenden Gesetz hätte Macron der vereinten Linke, die in der Nationalversammlung freilich nur über 197 von 577 Sitze verfügt, als stärkster politischer Kraft den Auftrag zur Regierungsbildung geben müssen. Die Verfassung ermächtigt ihn aber, zu ernennen, wen er will und wann er will.
Je länger das Warten dauert, desto ratloser wirkt Macron
Macron nimmt sich alle Zeit. Da in dieser Woche die Paralympischen Spiele beginnen und danach eine zweitägige Reise nach Serbien auf der Agenda des Präsidenten steht, kann nicht vor kommender Woche mit dem Namen eines neuen Premiers gerechnet werden. Je länger das Warten dauert, desto mehr entsteht der Eindruck einer gewissen Ratlosigkeit des Staatschefs.
Seine frühere Regierung mit Gabriel Attal als Premier reichte am 16. Juli im Gefolge der Wahlniederlage der Macronisten den Rücktritt ein, doch mehr als 40 Tage später hat Frankreich noch immer keine neue Regierung. Macron konnte sich bisher nicht entschließen, jemanden mit der Regierungsbildung zu beauftragen.
Das Ministerkabinett von Ex-Premier Attal führt daher, wie dies für solche Situationen vorgesehen ist, die „laufenden Geschäfte“ weiter. Was genau das heißt und wo die Grenzen der Zuständigkeiten für die Interimsminister*innen liegen, hat die Verfassung nicht definiert. Die Ministerien und der ganze Staatsapparat müssen weiter funktionieren, ein Machtvakuum soll nicht entstehen. In den letzten Wochen aber intervenierten Attal und die meisten Mitglieder der Rücktrittsregierung so aktiv wie vorher.
Für Frankreich ist diese Situation ohne offizielle und ernannte Regierung einmalig, sie vermittelt den Eindruck einer Regierungskrise oder einer Ratlosigkeit des Staatschefs, der sich offenbar nicht für eine der möglichen Varianten entscheiden kann oder will.
Drei politische Lager blockieren sich gegenseitig
Die Ausgangslage ist allerdings kompliziert. Keiner der drei Blöcke in der neugewählten Nationalversammlung hat eine absolute Mehrheit (289 von 577) oder auch nur eine ausreichende relative Mehrheit, die es für eine Regierungstätigkeit braucht. Und keiner der drei Blöcke kann sich eine Koalition mit einem der beiden anderen vorstellen.
Der NFP steht der Block der extremen Rechten aus Marine Le Pens Rassemblement National (RN) und der zu den Rechtspopulisten übergelaufenen Les Républicains (LR) unter Ex-Parteichef Eric Ciotti gegenüber. Sie verfügen zusammen über 142 Sitze. Dazwischen stehen die Macronisten mit 166 und der Rest der konservativen LR-Fraktion (47).
Auch mithilfe eventueller Absprachen mit den Abgeordneten der restlichen kleinen Fraktionen könnte keiner der drei großen Blöcke eine ausreichende Mehrheit bilden.
Setzt Macron auf Zermürbungstaktik?
Macron scheint indes gewillt zu sein, mit seiner Zermürbungstaktik die Parteien so weit zu bringen, dass sie über ihren Schatten springen und sich mit politischen Gegnern einigen.
Präzedenzfälle oder Vorbilder für eine Große Koalition vergleichbar mit Deutschland oder Österreich gibt es in der französischen Geschichte nicht. Das französische Mehrheitswahlrecht verfestigt vielmehr die bestehenden Wahlallianzen.
Das erklärt, warum beispielsweise ein Teil der französischen Sozialisten, die sich mit Macronisten auf ein minimales Regierungsprogramm einigen könnten, schon wegen der bevorstehenden Kommunalwahlen von 2026 lieber an der Einheit der NFP festhalten.
Mit seinem von der gesamten Linken als „arrogant“ empfundenen Ablehnung von Castets als Premierministerin hat Macron den Zusammenhalt der NFP nur noch weiter verstärkt.
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