ZKM-Kurator Serexhe über Überwachung: „Wir leben im smarten Totalitarismus“
Die Ausstellung „Global Control and Censorship“ zeigt Arbeiten zu Überwachung und Zensur weltweit. Ein Gespräch mit dem Kurator Bernhard Serexhe.
Bernhard Serexhe sitzt in seinem Büro und erinnert sich. Ein junger Mann, keine 30 Jahre alt, arbeitet in einem kleinen Ort an der Mosel als Lehrer an einer Schule. An diesem Nachmittag zeichnet sich ab, das sein bisheriges Leben ein Ende finden wird. Ein Kriminalkommissar klingelt. Er berichtet dem jungen Mann Details aus dessen Leben und dem seiner Freundin und Mutter, die aus Indien stammen.
Es ist Serexhe Leben das dort ausgebreitet wird, seine Privatsphäre. Denn er war an die falschen Orte gereist - Saudi-Arabien, Pakistan, Afghanistan - und so ins Netz der Rasterfahndung wegen der Ermordung von Hanns Martin Schleyer geraten. Der Beamte war auf ihn angesetzt. „Wenn sie verbeamtet werden wollen denken sie daran, dass sie beim BKA nachfragen. Es gibt über sie eine Akte.“
Serexhe beauftragt einen Rechtsanwalt. Dem teilte das BKA mit, es existiere keine Akte. Sechs Wochen später erfährt Serexhe vom Kultusministerium, dass seine anstehende Verbeamtung nicht stattfinden könne.
„Ich bin damit zum Schulleiter gegangen und der war ganz erstaunt, weil ich das beste Zeugnis hatte. Er sagte, er habe in Mainz einen Freund. Etwa eine Woche später rief er an und sagte: ‚Sie haben eine Akte beim BKA‘, er könne mich nicht einstellen. Daraufhin bin ich wieder zu meinem Anwalt und das BKA teilte ihm mit, es gebe keine Akte. Ich war damals 29 Jahre alt und ich habe meinen Beruf gewechselt.“
Serexhe, Soziologe, Pädagoge und Kunsthistoriker, leitet heute das Medienmuseum des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe. Am kommenden Wochenende eröffnet seine Ausstellung „Global Control and Censorship“.
taz: Herr Serexhe, wie lassen sich globale Überwachung und Demokratie vereinbaren?
Bernhard Serexhe: Für mich ist das keine Demokratie, sondern eine Form des smarten Totalitarismus. Jeder darf ein Smartphone benutzen und kommunizieren, mit dem er will – das schon. Jeder gibt seine Daten preis. Offensichtlich ist es so, dass sich viele keine Gedanken mehr darüber machen, was sie dafür in Kauf nehmen: dass die Demokratie abgeschafft wird. Sie wissen es zwar, aber das ist halt so, ich habe ja nichts zu verbergen ist die Haltung.
Der Titel: "Global Control and Censorship"
Die Eröffnung: 3. Oktober ZKM Karlsruhe
Der Inhalt: Video- und Toninstallationen, Filme, Fotoarbeiten, Skulpturen und Collagen von rund 80 Künstlern, Informatikern und Aktivisten sind zu sehen und zu hören, die das Thema Überwachung und Zensur weltweit beleuchten.
Bereits beim Eintritt in die Ausstellung wird das Smartphone der Besucher ausgelesen und die Aufenthaltsorte und Gespräche der letzten 100 Stunden dokumentiert. Ausgestellt sind die Reste des Computer, auf dem die Reporter des Guardian die Snowden-Dokumente kopiert hatten und der im Beisein des britischer Behörden zerstört werden musste.
Eine Videoinstallationen des schlafenden Salman Rushdie ist zu sehen sein, die in Frankreich zensiert wurden.
Die Kooperation mit Behörden: Bei der Arbeit "Codenames" von Travor Paglen werden die Namen von tausenden amerikanischen Geheimdienstoperationen an die Außenfassade des ZKM projiziert. Die Generalbundesanwaltschaft, die gegenüber residiert, lehnte es ab, ihr Gebäude zur Verfügung zu stellen.
Der BND-Präsident untersagte den Abdruck von Bildern von Martin Schlüter, der die Zentrale in Pullach fotografiert hatte. Die Arbeit ist in einem Buch veröffentlicht, zudem zieht die Zentrale nach Berlin.
Der Kurator: Bernhard Serexhe studierte Soziologie, Pädagogik und Kunstgeschichte.-Er ist Hauptkurator des ZKM und leitet das Medienmuseum der Einrichtung.
Das ZKM befindet sich in einer ehemaligen Munitionsfabrik, die von Stahl, Beton und Glas getragen wird. Wissenschaftler, Studenten, Kuratoren und Künstler erzeugen hier einen Hybrid aus Kunst und Forschung, der die digitale Gegenwart greifbar machen will. Seit 1994 beschäftigt Serexhe die Digitalisierung.
Nicht nur Texte und Bilder verwandelten sich in Nullen und Einsen; Sensoren tasten in Fabriken Arbeitsprozesse ab, Geodaten aus Milliarden Handys verorten uns, Fernseher zeichnen Gespräche auf, Kühlschränke registrieren Essverhalten, Postings von 1,5 Milliarden Facebook-BenutzerInnen verwandeln die Welt in eine Zahlenmatrix, die wie Soziogramme lesbar sind. Uns umgibt eine künstliche erzeugte Atmosphäre, die Peter Weibel, Vorstand des ZMK, die „Infosphere“ nennt. Im Erdgeschoss hat er dazu eine eigene Ausstellung.
Wie verändert die permanente Echtzeitüberwachung unsere Gesellschaft?
Das konnte man in „1984“ und „Brave New World“ nachlesen. Menschen dienen nur bestimmten Funktionen. Man muss sie zufriedenstellen, damit sie nicht aufmüpfig werden. Das System muss funktionieren. Ein kybernetisches System. Es kontrolliert jede Bewegung, jeden einzelnen Teil, es hält alles in einem gewissen Gleichgewicht.
Der ehemalige technische Direktor der NSA, William Binney, sprach im NSA-Untersuchungsausschuss von einem kybernetischen System zur Steuerung der Gesellschaft. Dazu diene die globale Überwachung. Sie teilen das?
Binney eröffnet auch die Ausstellung. Ich denke, dieses kybernetische System ist mittlerweile sehr mächtig geworden – ohne ihm jetzt eine personale Eigenständigkeit zuzusprechen. Es ist als funktionierendes System mit einer eigenen Dynamik ausgestattet, die zwar veränderbar ist, die aber bedingungslos funktioniert.
Ein System, das sich selbst kontrolliert?
Es funktioniert noch nicht autonom. Aber es funktioniert weitgehend selbststeuernd. Und es gibt noch bestimmte Eingriffe. Die können das System aber nicht grundsätzlich verändern, sondern nur in einzelnen Aspekten in eine anderen Richtung bringen.
Es geht um Metadaten, die Menschen heute permanent erzeugen. Ist das Thema Datenschutz da ausreichend?
Ich glaube Datenschutz ist eine Nummer zu klein. Wir können von den Amerikanern oder Engländern verlangen, dass sie das bitte nicht tun. Wenn andere Staaten uns bitten würden, dass der BND seine Überwachungsaktivität im Ausland einstellt, dann würden wir auch freundlich nicken und trotzdem weiterspionieren. Es ist ein Grundprinzip, an das wir mittlerweile gar nicht mehr rankommen. Die Überwachung ist zu umfassend geworden.
Bohrmaschinengeräusche, Mitarbeiter öffnen Holzkisten, verlegen Kabel, mit Plastikfolie umhüllte Skulpturen, ein Beichtstuhl aus Plexiglas – transparent. Der Aufbau der Ausstellung dauert an. An einer Wand steht eines der zentralen Kunstwerke. Ein schwarzer Quader. Ein Zitat von Stanley Kubricks Film „Odyssee 2001“.
In der Anfangsszene schlägt ein Affe einem anderen den Schädel mit einem Knochen ein - der Beginn der Zivilisation. Hier wie auch tausende Jahre später, auf einem anderen Planeten, taucht der schwarze Monolith auf. Die Arbeit des Chinesen Aaajiao heißt „Gfwlist“ – die Liste der „Great Firewall“. Serexhe drückt auf einen Schacht, der auffährt und den Rechner und Drucker sichtbar macht.
„Etwa auf Brusthöhe kommt aus einem Schlitz ein Papierstreifen heraus. Und auf diesem Streifen stehen die aktualisierten und in China gerade verbotenen Webseiten.“
Etwa 100.000 Zensoren kontrollieren in China das Internet.
Überwachung bedingt Zensur.
In China sollen Menschen künftig Punkte für ihr Surfverhalten bekommen, die als Sanktionsinstrument funktionieren.
Ähnliches passiert schon. Wenn ich am Flughafen ankomme, muss ich zur Einwanderungsbehörde. An dem Pult, hinter dem der Beamte sitzt, gibt es drei Druckknöpfe, mit denen ich diesen Beamten beurteile. Er weiß nicht, welchen Knopf ich drücke.
Doch wenn immer die schlechte Bewertung gedrückt wird, ist es wahrscheinlich, dass er zu einer Schulung muss, bestraft wird oder seinen Job verliert. Das passiert auch hier, für jeden, der einen Kredit bekommen möchte. Es ist heute für einen Kredit ungünstig, in einem armen Stadtteil zu wohnen.
Konzerne und Regierungen überwachen uns gleichermaßen.
Die Überwachung ist innerhalb des kapitalistischen Systems nur logisch. Wir wollen alles über unsere Kunden wissen. Wenn wir wissen, dass eine Frau ein Kind erwartet, dann schicken wir ihr die passende Werbung. Dies Art des Aufbrechen der Privatsphäre geschieht, ohne, dass wir das gestatten oder verhindern können. Staatlicherseits gebilligt.
Wird zumindest die Kunst besser, wenn die Zeiten schlechter werden?
Nicht besser, aber weniger elitär. Sie ist in einem heute vielleicht veralteten Sinne demokratischer, indem sie sich nicht mit den Dingen befasst, die für eine bestimmte Elite wichtig sind, sondern mit den Dingen, die für alle wichtig sind. Es ist eine andere Sprache und ein anderes Analysesystem, dass das Thema Überwachung für manche Menschen verständlicher macht, weil es nicht nur um kognitive Prozesse geht, sondern auch um emotionale und sensitive Eigenschaften in der Erfassung von Zuständen der Gesellschaft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau