ZDF-Film „Ein namensloser Tag“: Ein Krimi ohne Spannung
Volker Schlöndorff verfilmt einen Krimi von Bestsellerautor Friedrich Ani. Der erste Versuch als Kriminalfilmer gelingt ihm nur mäßig.
Beim ZDF freuen sie sich natürlich wie Bolle: „Volker Schlöndorff ist bekannt für seine Literaturverfilmungen. Man denke nur an ‚Die Blechtrommel‘ nach Günter Grass oder ‚Homo Faber‘ nach Max Frisch. Wenn solch ein Regisseur und Drehbuchautor sich eines preisgekrönten Krimis von Bestsellerautor Friedrich Ani annimmt, dann verspricht das Qualität und Unterhaltung at its best! ‚Der namenlose Tag‘ ist ein Coup …“
Tatsächlich kommt Krimiautor Friedrich Ani auch bei Literaturkritikern regelmäßig gut weg. Seine Nähe zum Fernsehen belegen bald ähnlich viele Drehbücher wie Romane, etwa für mehrere München-„Tatorte“. Er hätte sich selbst adaptieren können, aber Volker Schlöndorff ist eben ein Autorenfilmer. Und das heißt, dass er seine Drehbücher selbst schreibt. Selbst wenn es nur ein Krimi ist.
Aber was heißt hier „nur“? Hans-Christian Schmids gerade zweifach mit dem Deutschen Fernsehpreis gewürdigte Krimi-Miniserie „Das Verschwinden“ war mit das Beste, was es 2017 bei den Öffentlich-Rechtlichen zu sehen gab. Und selbst Christian Petzold, Klassensprecher der „Berliner Schule“, hat bereits seinen dritten „Polizeiruf“ mit Matthias Brandt abgedreht. Er hat die TV-Krimi-Konventionen dabei auf die Probe gestellt, das Genre aber nicht verraten. Zu Petzolds lässig-distanziertem Spiel mit dem Genre gehört beispielsweise, sein Personal über die Kriminalromane eines Garry Disher oder die Kriminalfilme eines Jean-Pierre Melville reflektieren zu lassen, beide hochverehrt. Und apropos Melville: Bei Melville hat einst Volker Schlöndorff seine Filmkarriere als Regieassistent begonnen. Er hatte den denkbar besten Lehrer. Wie also schlägt sich Volker Schlöndorff als (Autoren-)Kriminalfilmer?
Mit viel Moral
Gewohnt brummbärig-bräsig, diesmal jedoch in sich ruhend, stoisch statt cholerisch, spielt der „Mann aus der Pfalz“ Thomas Thieme den Pensionär Jakob Franck, früher bei der Polizei der „Todesbote“, dafür zuständig, Angehörigen die Nachricht vom Tod eines ihrer Lieben zu überbringen. Das ist ein sehr sensibles Unterfangen, man darf nicht „zu plumper Nüchternheit oder zu falscher Anteilnahme“ neigen. Auf seiner hoch entwickelten Empathiefähigkeit beruht auch die spezielle Ermittlungsmethode des Kommissars a. D. – die „Gedankenfühligkeit“: „Um die Wahrheit zu erkennen, durfte ich nicht mehr Kriminalist sein. Ich musste versuchen, mein erlerntes Wissen zu vergessen. Meinen Sinnen zu vertrauen.“
Dieser supersensible Franck wird also von einem Mann (Devid Striesow als akkurat gescheitelter Kleinbürger) behelligt, dessen Frau er vor zwei Jahren (im Buch sind es 20) die Nachricht vom Tod der 17-jährigen Tochter überbracht hat: Suizid durch Erhängen. Oder doch Mord? Nachdem der Kleinbürger nun auch noch seine Frau am Baum vor dem Haus baumelnd vorgefunden hat, beschuldigt er Franck – bekniet ihn, den Tod der Tochter noch einmal aufzurollen. Der brummt erst mal, Krimi-Standardsatz: „Die Toten soll man ruhen lassen.“ Hielte er sich daran, wäre der Film hier schon vorbei.
5. Februar, 20.15 Uhr, ZDF
Vorsichtig formuliert: Spannung steht bei diesem Whodunit nicht hoch im Kurs. Eher scheint es Ani/Schlöndorff um Psychologie und um das zu gehen, was man gesellschaftliche Abgründe nennt. Und so scheint zumindest Schlöndorff ständig Gefahr zu laufen, dass die biedermännische Belanglosigkeit der vorgeführten Lebensläufe auf seinen Film überspringt. Noch mal vorsichtig formuliert: Ein Petzold-Krimi kommt inspirierter daher. Und weniger moralisierend.
Ein interessanter Nebenaspekt: Im November erst sah sich Schlöndorff veranlasst, den Schauspieler Dustin Hoffman gegen „#MeToo“-Anschuldigungen in Schutz zu nehmen. Die fraglichen Ereignisse sollen sich einst bei den Dreharbeiten zu „Tod eines Handlungsreisenden“ (1985) zugetragen haben. In seinem neuesten Werk nun lässt er die Hauptfigur selbst übergriffig werden in einer Kneipensituation. Später wähnt sich eine junge Frau durch Francks Frage an sie gleich als „Schlampe“ diffamiert und knallt ihm an den Kopf: „Mehr Respekt, Herr Kommissar! Sonst lesen Sie morgen etwas über sich in der Zeitung – und es wird Ihnen keine Freude bereiten.“ Schlöndorff hat das im vergangenen Frühjahr so gedreht – vor Weinstein und Hoffman und Wedel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!