ZDF-Doku „37°: Einsatz im Wüstensand“: Rosenmontagsumzug mit Panzern
Fünf Monate lang begleitet ein Filmteam einen Bundeswehr-Offizier bei seinem Einsatz in Mali. Kritische Nachfragen? Fehlanzeige.
Da hat das ZDF jetzt also Sam Mendes’ „Jarhead“ neu verfilmt. Das Drama eines US-Marines (Jake Gyllenhaal) in Zeiten der Automatisierung des Kriegshandwerks, dessen Einsatz im Irakkrieg nur aus langweiligem Warten besteht und der am Ende nach Hause zurückkehrt, ohne einen einzigen Schuss abgefeuert zu haben.
Im deutschen Remake wird der Soldat von Matthias Lehner gegeben. Fünf Monate dauert sein Minusma-Einsatz in Mali, am Ende wird es auch über ihn und seine Kameraden heißen: „Einen Schuss haben sie nie abgegeben.“ Das mit Mauer und Stacheldraht bewehrte Lager haben sie nur gepanzert und schwer bewaffnet für gelegentliche Patrouillenfahrten verlassen. Dialoge zwischen den Soldaten gingen so: „Was machst du heut noch? Nichts, ne?“ „Nö. Wie immer. Nee, keine Ahnung. Und heut Abend würd ich eigentlich nur chillen, nix machen.“
Nur einmal wurde es plötzlich doch noch brenzlig, beinahe: Ein Panzer ist auf eine Sprengfalle gefahren. Der Fahrer schwer verletzt. Lehners Soldaten leisten erste Hilfe. Mitten in der Wüste lässt der Zugführer den Ernstfall proben. In einer anderen Szene stehen die Soldaten auf ihrem Radpanzer und bewerfen die umstehenden Kinder mit Süßigkeiten, als wär’ Rosenmontag: „Für Matthias Lehner und seine Soldaten sind es diese Momente, die ihnen Sinn und Halt geben in einem Einsatz, der oft wie eine ziellose Reise durch den Wüstensand wirkt.“ Aus dem Off ertönt die vertraute Stimme von Schlagerstar Freddy Quinn: „Brennend heißer Wüstensand …“
Nein, stopp, so nicht. Aber außer Freddy Quinn stimmt alles – und das ZDF meint das natürlich furchtbar ernst. Das „Jarhead“-Remake ist eine Dokumentation (der Autoren Daniel Moj und Jörg Stolpe) aus der Reihe „37°“. Da geht es um „Menschengeschichten“. Das stellt bereits der Vorspann unmissverständlich klar – der mit Mainzelmännchen davor und danach auch als Werbespot eines Lebensversicherers funktionieren würde.
Kein Nachhaken
Die erste und die letzte Einstellung zeigen einen Babybauch in Großaufnahme. So darf der Zuschauer annehmen, dass Matthias Lehner seinen Castingerfolg nicht allein seinem feschen Aussehen und seinem artikulierten „Pflichtbewusstsein“ verdankt. Er lässt während seines Einsatzes eine schwangere Frau zurück. Dass die sich sehr sorgt, wenn der Mann im Krieg ist, versteht sich. Nicht so der Erkenntnisgewinn, sie genau das immer wieder in die Kamera sagen zu lassen. Es liegt wohl am Konzept der Reihe, ein jedes Thema auf diese (penetrant) menschelnde Weise erschließen zu wollen. Egal, wie komplex das Thema ist. Dabei wäre es hier so einfach gewesen, einmal nachzuhaken.
Während der Mann sich in Mali langweilt, legt die Frau in München nämlich gerade ihre erste juristische Staatsprüfung ab. Und wer ein bisschen vor ihr, in den späten 90er Jahren, einmal Jura studiert hat – als die rot-grüne Bundesregierung die Bundeswehr in den Kosovo-Krieg geschickt und Joschka Fischer dafür einen roten Farbbeutel abbekommen hat –, der musste sich noch sehr wundern, wie historisch das damals in den Rechtsbibliotheken zu Artikel 24 Absatz 2 Grundgesetz verfügbare Schrifttum plötzlich war, dessen Wortlaut doch eigentlich nur von der Einordnung in ein „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ erzählt.
"37°: Einsatz im Wüstensand", 22.15 Uhr, ZDF
Jahrzehntelang hatten deutsche Soldaten in der Gewissheit gelebt, dass sie erst dann wieder Krieg erleben würden, wenn die Bundesrepublik oder eine anderes Nato-Mitglied direkt angegriffen würde. Also wahrscheinlich nie. „Irgendwer muss es machen“, sagt der heimgekehrte Matthias Lehner am Ende des Films, nachdem das ZDF die Idylle der inzwischen dreiköpfigen Familie am Fuße des Obersalzbergs bebildert hat. Was für ein kapitaler Irrtum.
Es gibt ja in der Tat gute – politische wie juristische – Argumente, die für die „humanitären“ Einsätze der Bundeswehr sprechen. Zwingend sind sie nicht. Es gibt auch gute Argumente, die dagegen sprechen.Diese Argumente zu kennen und zu nennen; sie immer wieder gegeneinander abzuwägen, neu zu gewichten; diese Einsätze ein ums andere Mal infrage zu stellen – nicht weniger möchte man von Soldaten, die sich als „Bürger in Uniform“ verstanden wissen wollen, erwarten dürfen. Und vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit seinem Programmauftrag übrigens auch.
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