Yücel zu Gast bei Maybrit Illner: Deniz gucken mit Deniz
Der Auftritt von Welt-Korrespondent Deniz Yücel im ZDF wurde voraufgezeichnet. Zusammen mit Freunden guckt er die Sendung im Hotel. Ein Protokoll.
Nach 367 Tagen Haft in einem Hochsicherheitsgefängnis in der Türkei und rund zwei Monaten in Freiheit ist es das erste lange Fernsehinterview mit Deniz Yücel. „Aus Sicherheitsgründen voraufgezeichnet“, wird die Moderatorin Maybritt Illner später sagen, bevor sie die Talkrunde – ohne Deniz Yücel – vorstellt. Claudia Roth (B90/Die Grünen), Norbert Röttgen (CDU) und Zeit-Redakteurin Özlem Topçu schauen auf die Zukunft des deutsch-türkischen Verhältnisses.
Auch diese Runde wurde kurz vor Sendebeginn aufgezeichnet. Özlem Topçu hat die Schuhe ausgezogen und lehnt am Hotelbett. Deniz reicht Weißwein. Erstaunlich guten Tafelwein aus Ösiland. Özlem will lieber Bier. Dilek angelt in der Minibar nach einer Flasche für sie.
Deniz: „Ich nuschel die ganze Zeit.“
Özlem: „Aber die Frisur sitzt.“
Deniz Yücel spricht gerade im Fernsehen davon, dass er sich gewünscht hätte, dass deutsche Unternehmen, die in der Türkei produzieren, seine Haft und die Menschenrechtssituation lauter kritisierten.
Deniz (springt auf und läuft im Zimmer umher) „Das hätte was gebracht! Siemens, Bosch, Hugo Boss aber … (er muss lachen) – im Boss-Anzug Boss kritisieren. Hat was.“
Özlem: „Was, Du trägst Boss? Ich dachte H&M.“
Deniz: „Immer Zara, nichts anderes. Bis jetzt.“
Dilek schaut auf ihr Handy, Özlem fragt, ob sie mal auf Twitter schauen soll, was so über die Sendung geschrieben wird.
Alle: „Nein.“
Özlem scrollt auf twitter den Hashtag #illner durch und legt das Handy mit einem Seufzer wieder auf den Schreibtisch.
Deniz Yücel im Fernsehen spricht über die Liebes- und Freundschaftsbekundungen, die ihn während seiner Haft rührten. Deniz auf dem Hotelbett umarmt Dilek. Irgendwie haben alle Pipi in den Augen oder sind kurz davor. Jetzt: Roth, Röttgen und Topçu am Tisch mit Maybritt Illner. Frau „Toppschuh“ wie Maybritt Illner sie anspricht, argumentiert für ein vernünftiges Nato-Verhältnis mit der Türkei.
Özlem: „Ich bin aber echt realpolitisch unterwegs.“
Deniz: „Du sprichst wie der linke Flügel der UETD.“ (AKP-Lobbyverein in Deutschland, Anm. d. A.)
Die Autorin muss lachen und kriegt dafür einen Rüffel von Frau Toppschuh.
Herr Röttgen drängt Frau Roth in der Runde gerade dazu, sich zu einem möglichen Nato-Austritt der Türkei zu äußern. Özlem nennt ihn „Dirty Norbert.“
Deniz: „Sag mal, der war das doch mit ‚Kinder statt Inder‘, oder?“
Deniz ist fest davon überzeugt, dass es Röttgen war. 2000 oder so. Özlem meint, nein, das wäre jemand anders gewesen. Beide wetten erst, dann googeln sie. Dilek geht eine rauchen.
Deniz: „Ah, Rüttgers war's.“
An der großen Wand hinter den Talkgästen werden abwechselnd Fotos des türkischen Staatspräsidenten und rote Fahnen eingeblendet. Während bei Illner über die türkische Wirtschaft gesprochen wird, holt Deniz das Knabberzeug raus: „So, für Özlem, Mandeln in Meersalz mit belgischer, weißer Schokolade und Karamell. Hier für das Proletariat die Chipsletten (er reicht mit die Dose, die er vorher sachte öffnet) und für unseren Gast aus Malaga (keine Ahnung, warum er sie so nennt, d. A.), für Dilek, die Pistazien.“
Alle futtern. „Ahhaha, dostum!“ und „Dostlar in Goslar!“ (Übersetzt: Freunde in Goslar) werden die Bilder des türkischen Außenministers Çavuşoğlu kommentiert, als er auf dem Hamburger Botschaftsgelände im letzten Jahr in das Meer aus roten Fahnen winkt. Deniz, der noch entspannt auf dem Bett rumlag, springt plötzlich auf. „Man müsste die Wahlen hier verbieten.“
Özlem: „Jetzt sprichst du wie der Ortsverband der CDU.“
Deniz: „CSU, Ortsverband Kreuzberg.“
Deniz grämt sich immer noch, dass er im Interview seiner Meinung nach zu schnell gesprochen habe. Dilek nimmt sein Gesicht in beide Hände und sagt, dass es wirklich gut war, auch wenn er, ja, etwas zu schnell gesprochen habe. Alle finden das Interview prima. Bis auf Deniz. Nach den Schlussakkorden von Illner fällt Deniz ein, dass er ja noch eine Flasche Champagner für uns hat, beim Minimarkt nebenan erstanden. Alle prosten sich zu: Auf die Freiheit!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“
Von wegen Untergang des Liberalismus
Wird der Wahlkampf eine nationale Katastrophe?