Yücel-Anwalt über seinen Prozess: „Ich erwarte einen Freispruch“
Veysel Ok steht vor Gericht – wegen „Beleidigung“. Im Interview erklärt er, warum er damit erst jetzt an die Öffentlichkeit geht.
Dem Verteidiger des bis vor kurzem in der Türkei inhaftierten Welt-Korrespondenten und ehemaligen taz-Redakteurs Deniz Yücel drohen bis zu zwei Jahre Haft. Kritische Aussagen des 34-Jährigen über das Justizsystem in der Türkei in einem Interview in der Zeitung „Özgür Düşünce“ im Jahr 2015 sollen den Anlass für eine Strafanzeige geliefert haben.
Laut einem Bericht der „Welt am Sonntag“ stellten die Anwälte des Staatspräsidenten im Sommer 2016 Strafanzeige gegen Ok und den Journalisten Cihan Acar, der ihn interviewte. Erst im September 2017 eröffnete ein Istanbuler Gericht das Verfahren – also erst nachdem Ok prominente Journalisten als Mandanten vertrat. Der Prozesstermin am kommenden Mittwoch ist bereits die vierte Gerichtsverhandlung in diesem Verfahren.
taz: Herr Ok, am Mittwoch stehen Sie vor Gericht. Das Verfahren läuft aber bereits seit letztem Jahr. Warum erfahren wir erst jetzt von dieser Anklage?
Veysel Ok: Bisher wollte ich mich nicht zu dem Verfahren äußern. Aber in der derzeitigen Lage, in der sich die Türkei befindet, fand ich es angemessen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.
Erst ein Jahr nach Erscheinen des Interviews in der Zeitung Özgür Düşünce wurde das Verfahren durch das Büro des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan eingeleitet. Dann dauerte es nochmal ein Jahr, bis es zum Prozess kam. Ist das nach türkischem Recht zulässig?
Nach türkischem Presserecht kann solch ein Verfahren innerhalb von vier Monaten eröffnet werden, gerechnet ab dem Erscheinungsdatum des Interviews. Mit einer Sondergenehmigung kann man diesen Zeitraum bei Anwälten um zwei Monate verlängern. Aber auch dafür kommt die Anklage zu spät.
Ist es das erste Verfahren, das gegen Sie eröffnet wurde?
Ja. Nach Paragraph 301 des türkischen Strafgesetzbuches lautet die Anschuldigung „Beleidigung der Institutionen des Staates und der Justiz“.
Könnte Ihre Aussage im Interview denn als Beleidigung aufgefasst werden?
Ich habe die Justiz nicht beleidigt. Als Anwalt bin ich Teil dieser Justiz. Unabhängig und gerecht kann das Rechtssystem erst werden, wenn es öffentlich bemängelt werden kann. Und ich habe von meinem Recht Gebrauch gemacht, auf Mängel hizuweisen. In dem Interview habe ich gesagt, dass die Richter der Strafgerichte mit einer Stimme sprechen und nicht unabhängig sind. Die immergleichen zwölf Richter verhängen die Haftstrafen für die Journalisten.
Sie sind geschulter Medienanwalt. Seit 10 Jahren vertreten Sie prominente Fälle wie die Altan-Brüder oder Şahin Alpay vor Gericht. Können Sie absehen, was für ein Urteil Sie und den Journalisten Cihan Acar am Mittwoch erwartet?
Ein Freispruch. Ich habe die Justiz nicht beleidigt. Cihan Acar hat mich als Journalist interviewt und es waren meine Worte. Ich stehe hinter meiner Aussage.
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