Youtube-Sensation Barenghi: Der Gott am Buntstift

Ein Italiener verzaubert sein Publikum mit fotorealistischen Chipstüten, 3D-Täuschungen und „göttlichem Talent“. Ist er der neue Bob Ross?

Die Assoziation zu M.C. Escher ist hier durchaus gewollt: Marcello Barenghi erzeugt eine dreidimensionale Täuschung, ein Trompe-l’œil. Screenshot: youtube

Leider legt Youtube nicht offen, wie hoch die Werbeeinnahmen seiner Channel-Betreiber ausfallen können. Sonst stünde einleitend eine Zahl hier, die Marcello Barenghis Einkünfte aus der vergangenen Woche beziffert. Allein sein Clip, der im Zeitraffer die Entstehung einer leeren Chipstüte auf Papier zeigt, wurde in neun Tagen fast eine halbe Million mal angesehen. Für einen Popstar mag das unterdurchschnittlich sein - für einen Grafiker ist es der Wahnsinn.

Barenghi zeichnet Alltagsgegenstände wie einen Riegel Snickers, einen zerknüllten 50 Euro Schein, manchmal auch Wikingerhelme. Kleinformatig, auf Papier, in Mischtechnik. Die Materialien – Buntstifte, Feinliner, Filzstifte – stellen keine soziale Barriere dar. Das hat fast jeder zu Hause und könnte es ihm gleichtun. Wäre da nicht das Handwerk – Marcello zeichnet hyperrealistisch.

In seinen Videos wird der mehrstündige Arbeitsprozess auf wenige Minuten verkürzt dargestellt. Das macht ihn transparent und die einzelnen Schritte nachvollziehbar. Das Publikum ist beeindruckt. Die präzise, dreidimensional wirkende Darstellung, ob nun fotorealistisch, super- oder hyperrealistisch, die mit Buntstiften umgesetzt wird, kann ihnen nur eins bedeuten: göttliches Talent. Oder 800 Jahre Übung. Oder beides. Tatsächlich handelt es sich hier um solides Handwerk – der Illustrator und Grafiker Barenghi studierte einst am Polytechnikum Mailand Architektur.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Zu seinen Tätigkeitsfelder zählt neben Illustration, politischer Karikatur und Comic auch die Kopie. In der Auswahl der kopierten Werke lässt sich der eigene Anspruch an seine Arbeit ablesen: Jan van Eycks „Arnolfini Hochzeit“, umwerfend detailgetreu für Eycks Zeitgenossen und uns Gegenwärtige setzte Barenghi in nahezu identisch in Materialität und Maßen um – deutlich anders ist aber der Duktus. Barenghi ist eben kein Kopist, kein italienischer Konrad Kujau, sondern ein Kind seiner Zeit: So zählen zu seinen Vorbildern weder die Fotorealisten Chuck Close und Ralph Goings, sondern Derek Riggs, der wegen seiner Gestaltung der Albumcover von Bands wie Iron Maiden bekannt ist.

Ein Vakuum füllen
Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Laut Legende malte Barenghis Landsmann und „Meister aller Meister“ Giotto zum Beweis seines Talents einen vollkommenen Kreis. Alle flippten darüber völlig aus. Trotzdem verbrachte er den Rest seines Lebens keinesfalls damit, ausschließlich vollkommene Kreise zu zeichnen. So hält es hoffentlich auch Barenghi: Er darf sich nicht auf der Begeisterung des Publikums ausruhen.

Es gibt ein Vakuum, das er füllen könnte: Die Stelle des von allen geliebten Lehrers, dessen Fehlerfreiheit uns beim Zusehen das Gefühl gibt, selbst auch ganz toll malen zu können. Bob Ross, verstorbener Kitsch-Papst und Vorreiter der Tutorial-Kultur aus der Zeit der VHS-Kasette, war so einer. Er gab dem Publikum Rückhalt und stetige Ermutigung („Es gibt keine Fehler – seht, der Klecks ist jetzt ein Vogel!“) und pries ununterbrochen die Schönheit der Natur und die Freude des Malens. Marcello Barengi – wir zählen auf Dich!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.