„Ylegate“ beim finnischen Rundfunk: Grundkurs in Pressefreiheit
Finnlands öffentlich-rechtlicher Rundfunk umschmeichelt seit Jahren die Politik. Nun muss Chefredakteur Jääskeläinen zurücktreten.
Jääskeläinen personifizierte, was seit Monaten unter dem Stichwort „Ylegate“ die finnische Mediendebatte beherrscht: eine schwere Vertrauenskrise, in die der Journalismus der öffentlich-rechtlichen Anstalt gerutscht war. Es hatte sich herausgestellt, dass die redaktionell Verantwortlichen führende PolitikerInnen vor unbequemen Fragen schützten, anstatt über deren Aktionen zu informieren und sie zu kontrollieren.
Ylegate hatte im November letzten Jahres als „Sipilägate“ begonnen. Die Yle-Chefredaktion wies damals die RedakteurInnen an, das Thema der Verwicklung des Regierungschefs Juha Sipilä und seiner Familie in private Geschäfte mit einem vom Staat vor dem Konkurs geretteten Unternehmen nicht weiterzuverfolgen. Bereits weitgehend fertig produzierte Beiträge wurden nicht mehr ausgestrahlt. Multimillionär Sipilä, der als Quereinsteiger in die Politik gekommen war und dem mehrere Kommentare das Etikett „Finnlands Trump“ angehängt haben, hatte höchstpersönlich interveniert. Und das offenbar erfolgreich.
Mitte Mai kritisierte ein von Yle selbst in Auftrag gegebener Rapport die Eingriffe der Chefredaktion in die damalige Berichterstattung, zumal diese weder fehlerhaft noch journalistisch angreifbar gewesen sei. Insgesamt konstatiert diese Untersuchung, es sei notwendig, die Unabhängigkeit von Yle zu stärken und zu verdeutlichen. Und sieht offenbar Veranlassung, an Selbstverständliches zu erinnern: Statt Redakteuren einen Maulkorb zu verpassen, müsse man sie ausdrücklich ermuntern, jeden Fall einer Einflussnahme auf ihre Arbeit öffentlich zu machen.
Yle abhängig von der Politik
Gleichzeitig macht nun ein von ehemaligen Yle-JournalistInnen verfasstes Buch deutlich, dass der Eingriff in die Berichterstattung über den Ministerpräsidenten offenbar kein Einzelfall gewesen war. Bei Yle, so der Vorwurf, herrsche seit Jahren eine Kultur, die von einer außerordentlichen Vorsicht geprägt sei, wenn es darum gehe, einflussreiche Politiker genauer unter die Lupe zu nehmen. Berichterstattung, die diesen gefährlich werden könnte, sei systematisch gestoppt worden. Womöglich hänge dies damit zusammen, dass die Finanzierung von Yle vom Wohlwollen und von Beschlüssen genau dieser Politiker abhängig sei.
Schon im März hatte die dem deutschen Presserat vergleichbare finnische Ethikkommission für Massenmedien konstatiert, bei Yle sei man offenbar für politischen Druck empfänglich und lasse die Berichterstattung davon beeinflussen. Auf diese Kritik angesprochen, hatte Atte Jääskeläinen in einem am Sonntag in der Tageszeitung Helsingin Sanomat veröffentlichten Interview angekündigt, Yle könne diese Kommission verlassen, wenn diese „weiterhin so eine andere Einschätzung unseres Journalismus hat“.
Vielleicht sei es für den Sender besser, ein eigenes Überwachungsorgan zu gründen. Ein wahnwitziger Vorschlag, der dnm Chefredakteur – auch wenn er ihn am gleichen Tag als „Fehler“ zurücknahm – endgültig den Posten gekostet haben dürfte.
Strukturveränderungen notwendig
Ein bloßer Führungswechsel bedeute natürlich nicht automatisch, dass sich etwas bessert, sagt Anu Kantola, Medienprofessorin an der Universität Helsinki: Dazu bedürfe es vermutlich umfassender Strukturveränderungen. Jussi Erhohnen, eine von drei JournalistInnen, die im Zusammenhang mit der im Fall Sipilä ausgeübten Zensur bei Yle gekündigt hatten, hofft aber, „dass nun die Pressefreiheit wieder schwerer wiegen wird als der Schutz von Politikern vor als zu kritisch empfundener Kontrolle“.
Jedenfalls hat Ylegate erst einmal dazu geführt, dass Finnland im April seinen langjährigen Spitzenplatz auf dem von „Reporter ohne Grenzen“ (RoG) erstellten jährlichen „Pressefreiheitsindex“ verloren hat. Was laut RoG–Generalsekretär Christophe Deloire das „wichtigste Einzelergebnis“ auf der diesjährigen Rangliste war. Verwunderlich sei das nicht, sagt Ilkka Nousiainen, Vorsitzender der finnischen RoG-Abteilung: Zu Recht würden Eingriffe in die Arbeit einzelner Journalisten in Finnland und international als Einschränkung der Pressefreiheit bewertet.
Wie man in Finnland damit umgegangen sei, beweise allerdings auch, dass die Meinungsäußerungsfreiheit funktioniere: „Aber sie muss täglich neu erkämpft werden.“ Helsingin Sanomat hat in diesem Zusammenhang einen konkreten Vorschlag: „Spendiert allen Politikern einen Grundkurs zum Thema Pressefreiheit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!