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Wort des JahresWhat the postfaktisch?

Die Gesellschaft für deutsche Sprache kürt „postfaktisch“ zum Wort des Jahres 2016. In Diskussionen gehe es zunehmend um Emotionen statt Fakten.

„Postfaktisch“ soll das Wort des Jahres sein? Alles Lüge!!1!!!11! Foto: dpa

Wiesbaden dpa | Der Begriff „postfaktisch“ ist zum „Wort des Jahres“ 2016 gekürt worden. In politischen und gesellschaftlichen Diskussionen gehe es zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten, erklärte die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) am Freitag in Wiesbaden. Insofern stehe das Wort für einen tiefgreifenden politischen Wandel.

Immer größere Bevölkerungsschichten seien aus Widerwillen gegen „die da oben“ bereit, Tatsachen zu ignorieren und sogar offensichtliche Lügen zu akzeptieren. Die Entscheidung der Jury sei einstimmig ausgefallen, sagte der Vorsitzende der Gesellschaft, Professor Peter Schlobinski.

Die Gesellschaft wählte das „Wort des Jahres“ erstmalig 1971 aus, seit 1977 sucht die Jury alljährlich aus Tausenden Vorschlägen Wörter und Wendungen heraus, die das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben sprachlich besonders bestimmt haben. 2015 lag der Begriff „Flüchtlinge“ ganz vorn.

„Postfaktisch“ hatte es vor kurzem in der englischen Übersetzung „post-truth“ schon zum „International Word of the Year“ 2016 gebracht.

Auf Platz zwei der Liste der Gesellschaft landete das Kunstwort „Brexit“, mit dem der geplante Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) bezeichnet wird. Das dem Brexit vorangegangene Referendum sei zugleich ein „Triumph postfaktischer Politik“ gewesen, denn die Befürworter seien mit zum Teil gezielten Fehlinformationen vorgegangen.

Signifikanz, Popularität und sprachliche Qualität

Auf Platz drei wählten die Experten den Begriff „Silvesternacht“, mit dem nach den massenhaften Übergriffen auf Frauen vor allem in Köln nun neue, unerfreuliche Assoziationen verbunden seien.

Für die Auswahl entscheidend ist der Sprachgesellschaft zufolge nicht die Häufigkeit eines Ausdrucks, sondern vielmehr seine Signifikanz, Popularität und sprachliche Qualität.

Die Berliner „Lichtgrenze“ zum Mauerfall-Jubiläum war das „Wort des Jahres“ 2014. Den sprachlichen Nerv der Zeit hatten in den Jahren zuvor – nach dem Urteil der Jury – die Abkürzung GroKo für Große Koalition (2013), die Rettungsroutine (2012) und der Stresstest (2011) getroffen.

Eine andere Jury aus Sprachwissenschaftlern und Journalisten kürt zudem jedes Jahr ein „Unwort“. Am 10. Januar wird die Entscheidung für 2016 bekanntgegeben.

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3 Kommentare

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  • Postfaktisch, das Wort des Jahres. Super.

     

    Gleich mit hinterher geschoben ,der Erziehungsgedanke.

  • DIE WELT ALS WILLE UND VORSTELLUNG

    (Aspekte der Zuhandenheit, überbetont.)

     

    „Es heißt ja neuerdings, wir lebten in postfaktischen Zeiten. Das soll wohl heißen, die Menschen interessieren sich nicht mehr für Fakten, sondern folgen allein den Gefühlen.“

     

    (A. D. Merkel)

     

    Postfaktisch. Nicht-Wort des Jahres. "Die Wahrheit, im Lichte der Fakten gesehen, tritt offen zu Tage." Dem ist nicht so. Das Sein ist nicht präsent. Die Abwesenheit, das Verborgene, muss immer auch in eine Unverborgenheit überführt werden. Die Fakten, ein hergestelltes, sind dabei zuhanden. Gefühle sind jedoch ebenso etwas Gemachtes, man spricht von Gefühlsarbeit; diese müssten empört aufschreien, mit dem Postfaktischen in einem Atemzug genannt zu werden. Sie sind nämlich: ein Faktum der Affekte. Die Welt als Wille und Vorstellung. Dabei wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, wie man sehen kann. Ein neues Betätigungsfeld von Postdoktoranden: philosophisches Lektorat im Kanzleramt; vielleicht auch bei der Gesellschaft für deutsche Sprache.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Unwort - hätte besser gepasst.