Wolodimir Selenski in den USA: Es geht um die Zukunft der Ukraine
Der ukrainische Präsident hat vor dem Ausbleiben weiterer US-Militärhilfen gewarnt. Die Republikaner im US-Kongress blockieren sie.
Grund für die Reise ist der schwächelnde Rückhalt für die Ukraine im US-Kongress. Ein von Biden gefordertes zusätzliches Hilfspaket über knapp 106 Milliarden US-Dollar, welches mehr als 61 Milliarden Dollar für die Ukraine bereitstellen würde, steckt im Kongress fest. Neben Geld für die Ukraine beinhaltet das Ausgabenpaket auch Mittel für Israel, die Sicherung der US-mexikanischen Grenze und humanitäre Zwecke. Doch Republikaner und Demokraten haben es bislang nicht geschafft, sich auf einen Kompromiss zu einigen.
Mark Harkins, Kongress-Experte an der Georgetown University
Und nun rennt die Zeit davon. Denn wie das Weiße Haus bereits vergangene Woche erklärte, werden spätestens Ende des Jahres die bereits verabschiedeten Finanzmittel für die Ukraine aufgebraucht sein. Dass Selenski die Reise nach Washington auf sich nimmt, zeigt, wie wichtig die Unterstützung durch die USA für sein Land ist, erklärte Mark Harkins, Kongress-Experte an der renommierten Georgetown University, im Gespräch mit taz.
„Er hofft, dass Vieraugengespräche eine größere Wirkung haben werden als Zoom-Calls oder Ähnliches. Eine Charmeoffensive ist immer einen Versuch wert“, erklärte Harkins, der selbst fast zwei Jahrzehnte in verschiedenen Positionen im US-Kongress tätig war.
Gespräche mit den Republikanern geplant
Laut US-Medienberichten soll Selenski noch vor seinem Treffen mit Biden im Weißen Haus ein Vieraugengespräch mit Mike Johnson, dem republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, sowie Gespräche mit verschiedenen Senatoren auf seinem Terminplan haben.
Die US-Regierung hat in der vergangenen Woche den Druck auf den Kongress erhöht und erklärt, dass ohne weitere Hilfsleistungen aus den USA die Ukraine den Krieg gegen Russland verlieren könnte. Dies bestätigte auch Selenskis Stabschef Andriy Yermak während einer Rede in Washington am vergangenen Dienstag.
Doch je länger der Krieg andauert, desto geringer ist die Bereitschaft im Kongress, die Ukraine weiterhin mit voller Kraft zu unterstützen. Die Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte hat bislang nicht die gewünschten Erfolge eingefahren. Viele Republikaner wollen zudem genau wissen, wofür die bisher geflossenen 111 Milliarden US-Dollar eingesetzt wurden.
Die US-mexikanische Grenze steht im Mittelpunkt
Doch als aktuell größtes Hindernis in den Verhandlungen über mehr Hilfsleistungen erweist sich die Situation an der US-Südgrenze mit Mexiko. Vor allem Republikaner, aber auch vereinzelte Demokraten, wollen die Migranten, die versuchen, illegal in das Land zu gelangen, stoppen.
Allerdings seien viele der republikanischen Forderungen so drakonisch, dass Demokraten sich darauf nicht einlassen wollen. Präsident Biden hat vergangene Wochen allerdings angekündigt, beim Thema Grenzpolitik “deutliche Kompromisse“ einzugehen, um das “kaputte“ Migrations- und Asylsystem im Land zu beheben. Trotz dieser Bemühungen und der anhaltenden Verhandlungen im Kongress scheint eine Einigung über das seit Oktober im Raum stehende Ausgabenpaket aktuell in weiter Ferne.
“Das Leben von Ukrainern gegen das Leben von Asylsuchenden zu tauschen ist moralisch verwerflich und verantwortungslos“, beschwerte sich die demokratische Abgeordnete Delia Ramirez in einem Post auf X (ehemals Twitter) über das Tauziehen im Kongress.
„Amerikanischer Isolationismus“ – nichts Neues
Auch Kongress-Experte Harkins hat Zweifel, dass Selenskis Besuch den gewünschten Erfolg haben wird. “Amerikanischer Isolationismus ist nichts Neues. Der Gedanke, dass wenn es sich nicht an unseren Ufern zuträgt, dann geht es uns nichts an, den gab es schon vor beiden Weltkriegen. Und genau dies sehen wir jetzt auch wieder“, sagte Harkins.
Vor allem in der republikanischen Partei gebe es Abgeordnete, die keinen Nutzen darin sehen, sich an einem Krieg im Osten Europas zu beteiligen. Für Amerikas Alliierte sei dies besorgniserregend, da sich die Situation mit einem möglichen Wahlsieg von Ex-Präsident Donald Trump noch weiter zuspitzen könnte.
“Wenn es uns nicht einmal gelingt, die Ukraine in einer Notsituation zu unterstützen, warum soll dann Trump bei einem Wahlsieg nicht seine Drohung wahr machen und aus der Nato austreten“, fragt Harkins.
Auch Bidens Regierung argumentiert, dass ein Sieg Russlands weitreichende Folgen hätte. So erklärte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats Admiral John Kirby, dass ein Sieg in der Ukraine den russischen Präsidenten Wladimir Putin ermutigen könnte, seine Militäroffensive auf andere Länder auszuweiten.
Ob Selenskis Reise nach Washington tatsächlich zu einem Durchbruch führen wird, bleibt abzuwarten. Für die Zukunft der Ukraine ist sein Besuch jedoch unerlässlich, immerhin steht die Existenz des ganzen Landes auf dem Spiel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind