: "Wolf zu sein ist mühsam"
Sebastian Koerner ist davon überzeugt, dass es wieder Wolfswelpen in Brandenburg gibt - zum ersten Mal seit 200 Jahren. Den Wölfen in der Lausitz ist der Biologe mit seiner Filmkamera auf der Spur.
taz: Herr Koerner, was empfinden Sie, wenn nachts die Wölfe heulen?
Sebastian Koerner: Ich bekomme eine Gänsehaut.
Ist das so gruselig?
Im Gegenteil. Ich erschaudere, weil es so wunderbar klingt.
Heulen Sie manchmal mit?
Gelegentlich. Unter Wissenschaftlern ist das eine bewährte Methode, die Wölfe aus ihrem Versteck zu locken. Aber bei unseren Wölfen in der Lausitz funktioniert das nicht so gut. Die heulen leider selten auf Zuruf.
Die Lausitz ist Deutschlands größtes Wolfsgebiet. Wie viele Tiere leben in dem Grenzgebiet von Brandenburg und Sachsen?
Noch hat sie keiner gesehen. Aber Sebastian Koerner (44) ist fest davon überzeugt, dass es sie gibt: Wolfswelpen in Brandenburg, zum ersten Mal seit 200 Jahren. Die Lausitz ist Deutschlands größtes Wolfsgebiet. 35 Tiere sind in der Region zu Hause. Der Biologe Koerner ist ihnen seit 2005 mit seiner Filmkamera auf der Spur. Früher konnte er nur Vögeln etwas abgewinnen. Die Liebe zu der bekannten Wolfsforscherin Gesa Kluth hat alles verändert. Zusammen mit ihr kämpft er nun gegen das Vorurteil, Wölfe fräßen Kinder. Und gegen Jäger, die den Lausitzer Wölfen den Garaus machen wollen.
Die ersten Tiere sind Mitte der 90er-Jahre aus Polen eingewandert. Inzwischen sind hier vier Wolfspaare zu Hause. Drei Paare leben in der sächsischen Lausitz, ein Paar auf der Brandenburger Seite. Welpen und Jährlinge mitgerechnet sind es schätzungsweise 35 Tiere.
Was genau ist Ihr Job?
Ich bin Wolfsbeobachter und Wolfsfilmer. Meine Tätigkeit wird vom Internationalen Tierschutzfonds (IFAW) und dem Wildbiologischen Büro Lupus finanziert, das seine Gelder vom sächsischen Umweltministerium bekommt. Ich filme, vermesse Spuren, sammele Losungen - also Kot -, veranstalte Wolfsseminare. Das Ziel ist, möglich viele Fakten zusammenzutragen, um die Diskussion über die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland zu versachlichen. Dazu gehört auch, mit dem Vorurteil aufzuräumen, Wölfe seien hinterhältig und verschlagen.
Stimmt das nicht?
Wölfe sind extrem intelligente, vorsichtige Tiere. Jeder Dorfhund ist gefährlicher.
Am 17. Juli sind Sie mit einer sensationellen Nachricht aus dem Zschornoer Wald zurückgekehrt: Zum ersten Mal seit 200 Jahren seien in Brandenburg Wolfswelpen geboren worden. Die Jungen hat bisher aber niemand gesehen. Haben Sie sich geirrt?
Nein. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass das Brandenburger Wolfspaar Welpen hat. Ich habe die Spuren entdeckt. Aber Spuren sind nur ein Hinweis. Den Nachweis durch Filmaufnahmen habe ich noch nicht erbringen können. Ich gebe zu, das ärgert mich. Aber ich bleibe dran.
Was war das für ein Gefühl, als Sie zum ersten Mal in freier Wildbahn einem Wolf gegenüberstanden?
Ich habe mich riesig gefreut. Es muss im Mai 2003 in Sachsen gewesen sein. Ich habe meine Lebensgefährtin Gesa Kluth
Deutschlands führende Wolfsforscherin
auf Spurensuche in der Muskauer Heide begleitet. Wir hatten uns gerade über eine Losung gebeugt, da machte es "wuff". Und noch mal "wuff, wuff". Dicht lief ein stattlicher Wolfsrüde vorbei. Ohne sein Wuffen hätten wir ihn überhaupt nicht bemerkt. Ohne jede Aggression, aber sehr bestimmt wollte er uns sagen: "Leute, geht nicht weiter. Hier sind meine Welpen ganz in der Nähe."
Wie weit war das Tier entfernt?
Ungefähr 20 Meter. Ich konnte genau seine gelblichen Augen sehen, die wie mit einem Kajalstift schwarz umrahmt sind. Wölfe haben einen sehr wachen, intensiven Blick.
Hatten Sie keinen Schiss?
Überhaupt nicht. Bei meinen Filmarbeiten bin ich später immer wieder in große Nähe zu den Wölfen gekommen. Zum Teil war es schon dunkel, als ich vom Hochsitz geklettert bin und noch lange durch freies Gelände zum Auto laufen musste. Ich wusste, ich bin mitten im Wolfsterritorium. Das flößt einem Respekt ein. Aber Angst? Nein.
Was ist für Sie das Besondere an Wölfen?
Es ist faszinierend, wie gut sich der Wolf in seinem riesigen Territorium auskennt. Ein Fuchs hat vielleicht fünf bis zehn Quadratkilometer, ein Wolf bis zu 300 Quadratkilometer. Auch das Familienzusammenleben ist faszinierend. Anders als in Gefangenschaft gibt es in einem wilden Wolfsrudel keine Rangordnung und keinen Konkurrenzkampf um die Fortpflanzungsrechte. Es gibt ein Elternpaar, das hat natürliche Autorität. Die Jungwölfe wandern mit knapp zwei Jahren ab, wenn sie geschlechtsreif werden. Bis dahin helfen sie bei der Aufzucht der Welpen.
Bekommen Sie bei Ihren Exkursionen oft Wölfe vor die Linse?
Letztes Jahr, als die Welpen in der sächsischen Lausitz noch sehr klein waren, hatte ich fast jeden Tag einen Treffer. Zurzeit sehe ich jedes dritte oder vierte Mal einen Welpen und jedes 10. Mal einen Altwolf. Am besten, man legt sich bei den Rendezvousplätzen auf die Lauer, wo das Rudel abends zusammenkommt.
Ist es nicht quälend, stundenlang auf dem Hochsitz auszuharren?
Wenn ich das nur wegen der Wölfe täte, wäre es so. Aber ich beobachte gern die Natur. Durch mein Studium kenne ich mich gut mit Vögeln aus. Wenn es extrem kalt oder brüllend heiß ist und einem vom langen Sitzen der Hintern wehtut, verflucht man das Ganze auch mal. Am schlimmsten ist es, wenn diese bescheuerten Enduro-Fahrer kommen
Geländemotorräder, die durch das Schutzgebiet fahren, obwohl es verboten ist.
Wenn die kommen, war alles umsonst. Dann kommen keine Wölfe mehr.
Sie sind Biologe von Beruf. Warum haben Sie sich gerade den Wolf als Forschungsobjekt ausgesucht?
Tiere haben mich von klein auf interessiert. In Osnabrück habe ich Ökoethologie studiert: Aus welchen Gründen verhalten sich Tiere in ihrem Lebensraum wie? Durch einen meiner Professoren bin ich zur Vogelkunde gekommen. Von 1999 bis 2003 habe ich im Biospärenreservat Schorfheide-Chorin ein Projekt zum Schutz der Rohrdommel gemacht.
Klingt alles nicht gerade nach Wolf.
Im Biospärenreservat erreichte uns die Anfrage einer Frau, die eine Praktikumsstelle wegen Wölfen suchte. Mein Kollege und ich haben uns amüsiert angeguckt. "Wölfe? Na klasse. Soll sie mal kommen", haben wir gesagt. In der Schorfheide gibt es nämlich keine wilden Wolfsrudel. Aber dann haben wir gesehen, dass Gesa Kluth eine sehr ernsthafte Frau war. Und ich habe gesehen, dass das eine sehr tolle Frau ist. Man könnte also sagen, ich bin über die Liebe zu den Wölfen gekommen.
Wie ging es weiter?
Gesa hat 2002 hier in Sachsen mit Ilka Reinhardt das Wildbiologische Büro Lupus gegründet. Auslöser war, dass abwandernde Jungwölfe bei Mühlrose 33 Schafe getötet hatten. Die sächsische Landesregierung erkannte, dass man die Wölfe ernst nehmen und die Bevölkerung aufklären muss. Wenn man das macht, können Wolf und Mensch absolut koexistieren. Ich bin Gesa später gefolgt.
Sie wohnen in dem sächsischen Dorf Spreewitz. Das Büro Lupus befindet sich im selben Haus. Haben Wolfsforscher keinen Feierabend?
Gute Frage. Wir reden auch privat sehr viel über Wölfe. Gesa arbeitet im Moment nicht aktiv. Sie macht wegen unserer zehn Wochen alten Tochter Babypause. Das hindert sie aber nicht, voll auf Stand zu sein, was die Wölfe angeht.
Das hört sich nach einem Traumjob an.
Ist es auch. Aber die Wolfsgegner machen uns das Leben manchmal ganz schön schwer.
Was sind das für Leute?
Unter der perfiden Bezeichnung "Sicherheit und Artenschutz" hat sich hier in Sachsen ein Verein extremer Wolfsgegner gegründet. Dahinter steckt eine Lobby von Teilen der Jägerschaft. Die machen übel Stimmung gegen die Wölfe. Zum Beispiel wird ganz dreist behauptet, in der Lausitz gäbe es bald die ersten Menschenopfer. Das ist absoluter Blödsinn. Das Risiko, von einem Wolf angefallen zu werden, ist gleich null. Kinder werden von Hunden angefallen, aber nicht von Wölfen. In Wirklichkeit geht es den Jägern auch um etwas ganz anderes. Sie empfinden den Wolf als Konkurrenten.
Stimmt es, dass ein Wolf im Durchschnitt pro Jahr 62 Rehe, 9 Rothirsche und 14 Wildschweine frisst?
Das hört sich viel an. Aber die Jäger schießen zwei- bis viermal so viel. Viele Jäger glauben, die Rehe und Hirsche gehören ihnen. Dabei haben sie überhaupt kein Anrecht darauf, einen wirtschaftlichen Gewinn aus dem Naturhaushalt ziehen. Einige Wolfsgegner gehen inzwischen so weit, dass sie uns in den Kneipen offen anpöbeln und anonyme Drohbriefe schreiben.
Was für einen Tenor haben die Anfeindungen?
In einem an Gesa und Ilka Reinhardt adressierten Drohbrief hieß es: "Erst schießen wir die Wolfsfähen ab, dann seid ihr Wolfsfrauen dran." Auf einer Versammlung hat einer gebrüllt: "Das erste Kind, das vom Wolf gerissen wird, ist hoffentlich das von Gesa Kluth."
Um wen haben Sie größere Angst?
Um die Wölfe. Die Population in der Lausitz ist noch so klein, dass sie ganz einfach ausgeknipst werden kann. Es gibt hier nur vier Elternpaare, also acht Wölfe, die sich fortpflanzen können. Was aus den abwandernden Jungwölfen wird, ist völlig unklar. Mit den Wölfen in der Lausitz könnte es also ganz schnell vorbei, wenn die Elternwölfe abgeschossen würden.
Mit den Schafshaltern haben Sie keine Probleme?
Bei denen haben wir mit unserer Informationsarbeit schon gute Erfolge erzielt. Mit herkömmlichen Elektrozäunen und Herdenschutzhunden kann man verhindern, dass Wölfe über die Schafe herfallen. Dazu kommt, dass der Besitzer für jedes gerissene Schaf eine Entschädigung bekommt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass es Wölfe waren.
Man hört immer wieder, dass Wölfe mehr Schafe töten, als sie fressen. Stimmt es, dass die Tiere ein Blutrausch überkommt?
Das ist kein Blutrausch, sondern ein Instinkt. Wölfe leben von Schalenwild, also von Tieren, die zum Teil wesentlich größer sind, die Hörner, Geweihe und harte Hufe haben. So ein Tier anzugreifen kann für den Wolf auch tödlich enden. Schafe dagegen sind leichte Beute, wenn die Herde nicht umfriedet ist. Der Instinkt sagt dem Wolf: "Ich muss so viele Kehlen durchbeißen wie möglich. Wer weiß, wann ich das nächste Mal was zu fressen kriege." Menschen verhalten sich auch nicht anders.
Das müssen Sie erklären.
Wir fahren auch nicht extra zu einem Supermarkt, wo man günstig einkaufen kann, und holen nur eine Pizza für das Mittagessen. Wir kaufen auch so viel Essen ein, dass es für eine ganze Woche reicht.
Sie versetzen Sie sich gern in die Rolle des Wolfs?
Ja. Das ist Verhaltensökologie. Nur so versteht man, warum ein Tier sich wie verhält.
Wie lautet Ihr Fazit?
Wölfe haben in der Natur den schwierigsten Job. Es ist extrem mühsam, Wolf zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag