Wohnungspolitik in Berlin: Bezirksamt gibt Habersaath auf
Hauseigentümer will 56 Wohnungslose, die im Dezember Leerstand in Mitte besetzten, loswerden. Das Bezirksamt sieht sich machtlos.
Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) sagte der taz am Mittwoch: Es sehe „leider“ im Moment nicht danach aus, „dass wir eine längere Duldung der obdachlosen Menschen hinbekommen“.
Zur gleichen Zeit haben auch die 56 Neu-Bewohner*innen der Habersaathstraße Post bekommen – vom Eigentümer Arcadia Estates GmbH. Die „temporäre Winterhilfe“ für die ehemaligen Obdachlosen sei beendet, sie müssten bis spätestens 2. Juni (!) ausziehen und die Schlüssel abgeben. Ein ähnliches Schreiben hatte Arcadia bereits vor gut einem Monat verschickt und den Auszug zum 1. Mai verlangt. Das hatte der Bezirk noch gekontert mit der Drohung, ein „erzwungener Auszug“ gefährde die Verhandlungen des Eigentümers mit dem Bezirk über den Abriss. Einen Monat später scheint dies nicht mehr zu ziehen.
Bewohner*innen wollen bleiben
Entsprechend enttäuscht zeigte sich die Sprecherin der Initiative „Leerstand hab ich Saath“, Veronika Hauser, gegenüber der taz: „Der Bezirk macht nichts für uns – aber wir werden nicht gehen, egal ob am 2. oder am 30. Juni!“
Seit Jahren will der Eigentümer das Haus in der Habersaathstr. 40–47 abreißen, um dort neu und teuer zu bauen. Die meisten der knapp 120 Wohnungen lässt er schon lange leer stehen, nur 9 Altmieter verweigern hartnäckig den Auszug. Einen Teil des Leerstands hatten Wohnungslose zusammen mit der Initiative Leerstand hab ich Saath im Dezember besetzt. In Verhandlungen mit Bezirk und Eigentümer erreichten sie ihrer Auffassung nach, dass sie bleiben können, bis die Häuser tatsächlich abgerissen werden.
Dieses „Versprechen des Bezirksbürgermeisters“ müsse der Bezirk nun einlösen, fordert der wohnungspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Niklas Schenker. „Das Bezirksamt ist in der Pflicht, die Menschen bis zum Abriss zu schützen“, sagte er der taz.
Das Bezirksamt verneint allerdings auf Anfrage, den Bewohner*innen ein solches Versprechen gegeben zu haben. Man setze sich aber dafür ein, heißt es aus der Pressestelle, „dass ein möglichst langer Verbleib der obdachlosen Menschen im Objekt möglich ist. Die Gespräche hierfür dauern noch an und gestalten sich als schwierig, da hierfür das Entgegenkommen des Eigentümers Voraussetzung ist.“
„Deal“ für Abriss
Laut Zweckentfremdungsverbotsgesetz dürfen Wohnhäuser nur unter der Voraussetzung abgerissen werden, dass dafür Ersatzwohnungen in räumlicher Nähe geschaffen werden, die „von einem durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmerhaushalt allgemein aufgebracht werden können“. Weil der Vermieter dies aber nicht zusagen will, verweigert der Bezirk bislang die Genehmigung für den Abriss. Darüber gibt es einen Rechtsstreit.
Weil Mitte offenbar befürchtet, diesen zu verlieren, hat der Bezirk dem Eigentümer einen „Kompromiss“ vorgeschlagen. Danach müsste dieser nur noch 30 Prozent der Wohnungen zu „bezahlbaren“ Mieten von 9,15 Euro pro Quadratmeter vermieten. Das Bezirksamt soll ein Vorschlagsrecht für diese Mieter*innen bekommen.
Die Initiative lehnt diesen „schmutzigen Deal“, wie sie es nennt, ab, weil damit preiswerter Wohnraum zerstört werde – der noch dazu erst 2006 energetisch saniert worden sei. Auch Schenker fordert, der Bezirk solle keine Abrissgenehmigung erteilen. „Spekulativer Leerstand darf nicht auch noch belohnt werden.“
Dass der Eigentümer sich nun erneut traut, den Wohnungslosen mit Rauswurf zu drohen, deutet darauf hin, dass er den „Deal“ in der Tasche hat.
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