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Wohnungsbau-GipfelDen „sozialen Sprengstoff Nr. 1“ entschärfen

Bauen geht schneller und billiger, sagen Verbände der Bauwirtschaft. Eine künftige Regierung müsse dafür in den ersten 100 Tagen die Weichen stellen.

Der „Bauturbo“: Alles soll schneller, effizienter und digitaler werden Foto: Jan Woitas/dpa

Berlin taz | Wer mit etwas Abstand auf die Wohnungsbaupolitik der letzten Jahrzehnte blickt, erkennt, dass die Wohnungsnot nicht immer so groß war. Es sei ja noch gar nicht so lange her, da galt Deutschland „als ausgebaut“, sagt Katharina Metzger, Präsidentin des Deutschen Baustoff-Fachhandel am Donnerstag in Berlin. Heute kaum vorstellbar. Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt, die Mietpreise steigen, die Baupreise auch, die Baugenehmigungen brechen ein. Für Menschen, die eine neue Wohnung suchen, eine toxische Mischung.

Es ginge jetzt darum, „den sozialen Sprengstoff Nr. 1 schleunigst zu entschärfen“, fordert deshalb das Verbändebündnis Wohnungsbau am Wohnungsbautag, einem jährlich stattfindenden Branchengipfel. Eine neue Bundesregierung müsse deshalb in den ersten 100 Tagen für einen „Aufschwung“ sorgen. Bauen müsse schneller und vor allem billiger werden, so das Bündnis, dem unter anderem der Deutsche Mieterbund, die Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt sowie die Wohnungswirtschaft und Verbände der Bauindustrie angehören.

Die Wohnungsnot treffe immer die Menschen „mit schmalen Geldbeutel“ am stärksten, sagt der Präsident des Mieterbundes, Lukas Siebenkotten. Aber auch Menschen mit normalen Gehältern könnten sich inzwischen keine Wohnung mehr leisten. Die neue Regierung müsse das mit „Verve und Kraft“ angehen. Nur ist das realistisch?

Es ist erst einen Tag her, dass Union und SPD im Berliner Regierungsviertel ihre Einigung auf einen Koalitionsvertrag verkündet haben. Die gesamte Performance atmete den Geist des Otto-Normal-Verbrauchers. Das neue Schlagwort lautet: Verantwortung – und das ist so ungefähr das Gegenteil von Verve und Kraft.

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Bauturbo gewollt

Union und SPD haben möglichst wenig konkrete Ziele formuliert. Eine Zahl,wie 400.000 neue Wohnungen pro Jahr, was sich die Vorgängerregierung noch vorgenommen hatte, sucht man vergeblich. Die soziale Wohnraumförderung soll ausgebaut werden – wie und mit wie viel Geld steht nicht darin.

Aber in den ersten 100 Tagen soll es einen „Bauturbo“ geben – alles soll schneller, effizienter und digitaler werden. Zudem soll die Mietpreisbremse um weitere vier Jahre verlängert werden – und Vermieter*innen, die sich nicht daran halten, müssen eventuell mit einem Bußgeld rechnen. Bei Mietwucher soll nachgeschärft werden. Die SPD wollte eigentlich auch, dass die Bestandsmieten nicht mehr so stark steigen dürfen, konnte sich aber nicht durchsetzen.

Dabei wäre mehr Mieterschutz dringend geboten, wie auch die neue Studie belegt, die auf dem Branchengipfel vorgestellt wurde. Darin hat das Bauforschungsinstitut Arge und das Berliner Forschungsinstitut Regio Kontext Bedarfe und Hemmnisse untersucht. Schon jetzt wohnten 9,6 Millionen Menschen auf zu wenig Platz. Das treffe besonders Minderjährige: 16,4 Prozent wachsen demnach „in beengten Verhältnissen“ auf. Insgesamt bräuchte es 550.000 neue Wohnungen pro Jahr.

Kosten und Zinsen

Ein großes Problem seien die gestiegenen Baukosten und Bauzinsen. Doch Bauen ginge „in guter Qualität auch deutlich günstiger, als es heute passiert“, sagt Arge-Leiter Dietmar Walberg – ohne Standards zu vernachlässigen. Man könne etwa auf Tiefgaragen verzichten oder Decken und Wände dünner bauen. Das Stichwort: einfaches Bauen. Solide, aber mit wenig Schnickschnack.

Im Koalitionsvertrag heißt es immerhin: „Baustandards werden vereinfacht und der Gebäudetyp E abgesichert.“ Dieses Vorhaben geht noch auf die Ampel zurück. Deren Kabinett hatte Ende 2024 einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. Wichtig sei laut Verbändebündnis, dass künftig der soziale Wohnungsbau nicht von der Haushaltskasse abhängig ist. Zudem brauche es ein Zinsverbilligungsprogramm.

Die Linkspartei hat dennoch schlimmste Befürchtungen. Der sogenannte Bauturbo der Koalition sei „in Wahrheit ein Spekulationsturbo“, kritisiert die Vorsitzende Ines Schwerdtner. Es fehlten klare „Vorgaben für Bezahlbarkeit, Sozialbindung oder kommunale Bodenpolitik“ sowie ein bundesweiter Mietendeckel.

Architects for future fordern, den bestehenden Wohnraum stärker zu nutzen. Über 2 Millionen Wohnungen stünden leer – „viele aus spekulativen Gründen“. Es brauche daher strengere Regeln für Leerstand, Zweckentfremdung und Mehrfachwohnsitze. Es müsse mehr im Bestand gebaut werden. Der Gebäudesektor sei schließlich „für circa 40 Prozent der CO₂-Emissionen“ verantwortlich.

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1 Kommentar

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  • "..Decken und Wände dünner bauen."



    In Anbetracht dessen,was man bereits im "normalen Wohnungsbau" durch die Decken und Wände von seinen Nachbarn hört,gehe ich davon aus,dass mit noch dünneren Wänden und Decken das Aggressionspotential "unter uns" weiter steigen wird.Dünne Decken und Wände laden meiner Meinung nach nicht zum Wohlfühlen ein,was sich auf "unser" Zusammenleben negativ auswirken könnte.



    Ich bin eher dafür,das Leben abseits der Metropolen und Zentren durch guten,zuverlässigen,sicheren und preisgünstigen/kostenlosen ÖPNV angenehm zu gestalten.



    Und,das wird jetzt vermutlich Kritik hervorrufen,ich würde die Wohnungen und Häuser in den Zentren und Metropolen eher den Menschen überlassen,die dort erwerbs- oder ehrenamtlich tätig sind.Rentner/Pensionäre ohne Verpflichtungen,nicht erwerbstätige Personen können,meiner Meinung nach,nun doch wirklich etwas außerhalb wohnen.Zumal sie üblicherweise ausreichend Zeit haben,um längere Wege (die auf ein Minimum verkürzt werden sollten,siehe oben) zu Ärzten,Behörden,Physiotherapie etc. anzunehmen.Davon abgesehen denke ich,dass sich der Bedarf der Bevölkerung anpassen wird und diese Entzerrung für alle vorteilhaft sein kann.Universitä