Wohnung oder Mehrbettzimmer: Hilfe, die Flüchtlinge kommen!
In Bremen diskutieren die Stadtteil-Parlamente über neue Flüchtlingsunterkünfte – mit teils fremdenfeindlichen Tönen.
BREMEN taz | +++ USA, 25. Juli: Im seit mehr als zwei Jahren andauernden Bürgerkrieg in Syrien sind nach Angaben von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon inzwischen mehr als 100.000 Menschen ums Leben gekommen. +++
Im Philosophenweg in Bremens Bahnhofsvorstadt queren ein Mann und eine Frau die Fahrbahn. Mit zwei Tüten von Aldi in der Hand verschwinden sie im Eingang eines ehemaligen Stundenhotels. Keine einladende Gegend, Sex-Shops reihen sich hier an Oben-ohne-Bars und Schlager-Diskotheken.
Das Pärchen hat sich das neue Zuhause nicht ausgesucht: Die beiden gehören zu den 50 Flüchtlingen, die seit Mitte Juli in dem umfunktionierten Hotel unterkommen sollen. Es ist die erste von fünf neuen Flüchtlingsunterkünften, die die Stadt Bremen geplant hat. Drei Standorte sollen als Container-Siedlungen entstehen.
Wenn jemand in Deutschland einen Asylantrag stellt, so wird er auf die Bundesländer "verteilt". Die sind für die Unterbringung zuständig.
Weil nicht alle Bundesländer gleich groß sind, wird anhand der Steuereinnahmen errechnet, wie viele Flüchtlinge die einzelnen Länder jeweils aufnehmen müssen. Nach diesem "Königsteiner Schlüssel" nimmt zum Beispiel Bremen 0,95 Prozent aller deutschen Flüchtlinge auf, Niedersachsen 9,4, Hamburg 2,55 und Schleswig-Holstein 3,36 Prozent.
Menschen, die Asyl beantragen, werden an die nächst gelegene Erstaufnahme-Einrichtung eines Bundeslandes verwiesen. In jedem Bundesland hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Außenstelle.
Diese Außenstellen des Bundesamtes sind spezialisiert: Nach Bremen etwa kommen Menschen aus dem Iran oder Afghanistan.
Das Bundesamt bearbeitet vor Ort den Antrag auf Asyl. Die Flüchtlinge sollen in der Nähe wohnen, um das Verfahren, etwa bei Befragungen, zu beschleunigen. Und: Im Falle einer Ablehnung soll für die Behörden der schnelle Zugriff für eine Abschiebung gewährleistet sein.
Danach kommen Flüchtlinge meist in die Obhut der Kommunen. Die gehen sehr unterschiedlich mit den Flüchtlingen um. In Bremen müssen Flüchtlinge nur noch maximal drei Monate in einer Sammelunterkunft wohnen. In Bremerhaven sind Flüchtlinge dazu für mindestens zwölf Monate verpflichtet - trotz großen Wohnungsleerstandes.
500 Flüchtlinge werden in Bremen für dieses Jahr noch erwartet. 2013 sollen es doppelt so viele werden wie im Jahr zuvor. 50 Flüchtlinge aus Syrien kommen noch hinzu. All das schlägt in der Stadt derzeit hohe Wellen. Denn über jede neue Unterkunft entscheiden in Bremen die Stadtteil-Beiräte mit. Und zunehmend werden die Versammlungen auch zur Bühne für fremdenfeindliche Ausfälle.
Erst 2010 ist das neue Beirätegesetz in Kraft getreten, die rot-grüne Regierung wollte die Bürgerbeteiligung stärken. Den ganzen Sommer über tingeln Sozialstaatsrat Horst Frehe (Grüne) und sein Referatsleiter für Zuwanderungs-Angelegenheiten, Heiko Hergert, nun durch die Stadtteil-Parlamente. Jedes Mal erklären sie das Gleiche: Bremen muss knapp ein Prozent der deutschen Flüchtlinge aufnehmen. 20 Prozent davon landen in Bremerhaven. 2013 kamen bis einschließlich Juni 401 Personen in die Stadt, 2012 waren es bis Juni 182. Die Menschen fliehen aus Syrien, der Russischen Föderation, Afghanistan, Irak, Iran, Pakistan.
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In Bremen-Mitte erklären Staatsrat Frehe und Referatsleiter Hergert auf einer Beiratssitzung, dass das Sozialressort händeringend nach neuen Wohnmöglichkeiten für Flüchtlinge sucht. In allen Stadtteilen. Allerdings herrsche Wohnungsmangel. Das Hotel im Philosophenweg sei gut geeignet. Ein Bürger meldet sich. Er könne sich doch bei den ganzen Flüchtlingen nicht mehr auf die Straße trauen. Der Beirat stimmt dennoch zu.
Eigentlich sind Massenunterkünfte in Bremen gar nicht gewollt. Zumindest nicht politisch. Flüchtlingsinitiativen hatten SPD und Grüne überzeugen können, dass die Massenunterbringung eigentlich für alle schlecht ist: Teurer für die Stadt, nervig, ausgrenzend und manchmal entwürdigend für die Geflüchteten. Und: gesundheitsgefährdend, wie das Gesundheitsamt Bremen in einem eigenen Bericht feststellte.
Im April 2012 wurde deshalb in der Bremischen Bürgerschaft beschlossen, den bis dato bestehenden Zwang für Flüchtlinge, für zwölf Monate in Übergangsheimen wohnen zu müssen, zu verkürzen. Mindestens sechs Wochen, höchsten drei Monate sind es nun – die Zeit, in der das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag bearbeitet.
Seit März 2012 steht dazu auch ein ambulantes Konzept: Vier BeraterInnen sollen Geflüchteten helfen, trotz Wohnungsmangels und möglicher Diskriminierung durch die Vermieter eine eigene Bleibe zu finden. Derzeit aber sind die bestehenden Sammelunterkünfte überbelegt, Wohnungen nicht in Sicht.
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Am Abend zuvor lehnt das Stadtteil-Parlament in Bremen-Vegesack den Bau einer Mobilbau-Siedlung für Flüchtlinge ab. Ob denn keiner an die deutschen Kinder denke, an die Kriminalität. Der Stadtteil sei schon belastet genug. Staatsrat Frehe und Referatsleiter Hergert können kaum ausreden. Die Botschaft aus Vegesack: „Nicht hierher!“
Ende Juli warnt der Bremer Rat für Integration – ein sonst eher braves Gremium – vor einer Gefahr für die Demokratie. Die Vorsitzende des Integrationsrats, die Radio-Bremen-Redakteurin Libuse Cerna, beschreibt die Stimmung in der Stadt mit den Worten: „Diffuse Ängste und Vorurteile bestimmen zunehmend den öffentlichen Diskurs.“
Was sonst von rechtsextremen Gruppen geschürt werde, gehe in Bremen von großen Parteien aus, sagte Cerna zur taz. Dass Flüchtlinge kämen, um die man sich kümmern müsse, sei ein ganz normaler Vorgang. „Offenbar geht das nicht, das ist unfassbar.“ Anfang August stehen in den Stadtteilen Gröpelingen und Obervieland noch Beirats-Sitzungen an. Die Diskussion um Flüchtlingsunterkünfte dürften nicht zum Thema im Bundestagswahlkampf gemacht werden, sagt Cerna.
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In Bremen-Obervieland werden gegen den Bau einer Container-Unterkunft Unterschriften gesammelt. 120 Geflüchtete sollen dort wohnen. Ein Flugblatt kursiert: Weil die mittellosen Flüchtlinge direkt mit dem Wohlstand der angrenzenden Neubausiedlung konfrontiert würden, sei „das Konfliktpotenzial nicht kalkulierbar“. Der Bau bedeute einen „Wertverlust“ für das Siedlungsgebiet.
Für den Aktivisten Marc Millies ist die Situation schwer auszuhalten. Mit dem Flüchtlingsrat kämpft er seit Jahren für bessere Bedingungen für Flüchtlinge. Das Gremium, in dem sich Geflüchtete selbst organisieren, hat jahrelang erklärt, warum es problematisch, ja unverantwortlich ist, Menschen auf wenigen Quadratmetern, mit Gemeinschaftsduschen und -toiletten wohnen zu lassen. Ist er nun gegen die neuen Unterkünfte? Oder spielt das den Falschen in die Hände? Manche der Argumente des Flüchtlingsrats werden in den Beiratssitzungen derzeit auch von der CDU aufgegriffen – und gegen eine neue Massenunterkunft im jeweiligen Stadtteil vorgebracht. Alles scheint recht.
Dass die bisherigen Heime überfüllt sind, weiß kaum jemand besser als die Menschen im Flüchtlingsrat. Millies will die Forderungen dennoch nicht herunterschrauben: „Wir plädieren nach wie vor für ein selbstbestimmtes Leben und eine Teilhabe von Flüchtlingen“, sagt er. Bei den Unterkünften müssten die Mindeststandards erfüllt werden. Das gelte insbesondere, wenn es um unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge geht. 50 von Ihnen leben in der Zentralen Aufnahmestelle. Sie sollen womöglich in ein eigenes Heim nahe der Bremer Diskomeile, weil sie erst dann regulär zur Schule gehen können. Dennoch hält der Flüchltingsrat die Diskomeile für den falschen Ort. Millies sagt: „Es geht zwar darum, Lösungen zu finden, aber nicht um jeden Preis.“
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In Bremen-Gröpelingen erklärt der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Elombo Bolayela, selbst ehemaliger Asylbewerber: „Wichtig ist, die Stadtteile mit besonders schwieriger Soziallage nicht zu überfordern.“ Die Beirats-SPD ist gegen ein neues Flüchtlingsheim. Gleiches kommt von der CDU. Die Flüchtlinge seien eine Belastung.
Marc Millies kann nicht nachvollziehen, wie es zu der aktuellen Lage kam. Es sei doch bekannt, dass seit 2008 die Flüchtlingszahlen wieder steigen: „Für uns ist es eher eine Überraschung, dass die Begleitstrukturen nicht in dem Maße angepasst wurden“, so Millies. Umgekehrt hatte das gut funktioniert: Bis 2008 war die Zahl der Asylsuchenden stetig zurückgegangen – seit 1993 das neue Asylrecht in Kraft getreten war. Die Strukturen wurden zurückgebaut.
Im Philosophenweg in der Bahnhofsvorstadt ging alles ganz schnell. Das Treppenhaus sieht nicht renoviert aus, Spiegel, Wandleuchten, robuste Tapeten – alles riecht noch nach der alten, gewollt einladenden Atmosphäre eines Stundenhotels und späteren Herberge für Montagearbeiter. Die Türen tragen noch die Zimmernummern, vor einigen stehen Schlappen, im Flur ein Bobbycar. Über dem Treppenaufgang zeigt eine Überwachungskamera in Richtung Eingang. Staub und Spinnweben verraten: Sie ist nicht neu, das rote Betriebslämpchen leuchtet weiterhin.
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In Bremen-Hemelingen melden sich AnwohnerInnen mit Bedenken. Sie seien von der neuen Unterkunft überrascht worden. Der Beirat hatte dem Bau einer Container-Siedlung auf einem alten Acker einstimmig zugestimmt, von Linkspartei bis CDU. Schulen seien in der Nähe, gleich nebenan das Jugendzentrum. Ein Forderungskatalog zur besseren Betreuung der Flüchtlinge wurde mit verabschiedet. Der Protest der Bürger aber war so laut, dass nun für Ende August eine Anwohnerversammlung anberaumt werden musste.
Dass sich sowohl bei der Unterbringung als auch bei der gesellschaftlichen Stimmung die 1990er-Jahre nicht wiederholen dürfen, darin sind sich in Bremen die Regierenden mit der radikalen Linken einig. Doch: Was tun? Hinter den Kulissen, so hört man, nimmt das SPD-geführte Rathaus die Asylheim-kritischen Beiratsgenossen ins Gebet. Die Linkspartei macht Sprechstunden in den Bezirken: Unterstützt von Bürgerschaftsabgeordneten sollen Vorurteile ausgeräumt werden.
Orte zu finden, die als Unterkünfte geeignet sind, hat seit Mitte Juli in Bremen Priorität: Der Senat beschloss, dass alle Ressorts ihre Grundstücke, Immobilien und Sondervermögen daraufhin prüfen müssen. Vor jedem Grundstücksverkauf hat das Sozialressort das Vetorecht. Vermeiden will Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) auf jeden Fall, dass Zelte aufgestellt werden müssen wie zuletzt in Hamburg.
Flüchtlingsaktivist Millies ist wichtig, dass mehr Flüchtlinge nicht gleich mehr Probleme bedeuten. Er verweist auf die neuen Unterkünfte im Bremer Ostertor-Viertel und in Schwachhausen: „Es haben Begegnungen stattgefunden, Vorurteile haben sich in Luft aufgelöst.“ Zuvor hatte es auch dort auf den Beiratssitzungen Kritik gehagelt, wurden Ängste vor den „Fremden“ deutlich. Nach dem Umbau einer alten Schule in Schwachhausen hat die Nachbarschaft begonnen, sich zu engagieren. Es gibt freiwillige HelferInnen und mittlerweile mehr Spielzeug-Spenden als nötig.
In Vegesack lädt die radikale Linke für den 10. August zur antirassistischen Demonstration. „Wer sich laut pöbelnd und rassistisch gegen die Unterbringung von Asylsuchenden ausspricht“, heißt es in dem Aufruf, „nimmt billigend in Kauf, dass zu körperlicher Gewalt und Brandsätzen gegriffen wird.“
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(Mit Material von dpa)
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