Gericht entscheidet gegen Anwohner: Flüchtlinge können kommen
Das Verwaltungsgericht Hannover weist die Klage einer Anwohnerin gegen ein Asylbewerberheim ab – Angst vor Nazi-Anschlägen zähle nicht.
GÖTTINGEN taz | Das neue Flüchtlingswohnheim in Hannover-Bothfeld kann zu Ende gebaut werden. Eine Anwohnerin scheiterte gestern vor dem Verwaltungsgericht der Landeshauptstadt mit einer Klage gegen die im vergangenen Jahr erteilte Baugenehmigung (Az. 4 A 491/14).
Zuvor hatte die 4. Kammer des Gerichts bereits einen Eilantrag der Frau abgewiesen. Eine Berufung gegen das Urteil im Hauptsacheverfahren ließ das Verwaltungsgericht gestern nicht zu.
Bremen-Ostertor, November 2012: Ganz schlimm könne es werden, wenn wegen des Asylheims Fremdenfeindlichkeit in den linken Stadtteil Einzug hielte, gab eine Nachbarin zu bedenken. "Belastet" sei der betreffende Teil des Viertels schon genug, wegen der Nähe zum Bahnhof und der Diskomeile. "Für die Leute, die jetzt kommen", sei das "nicht die richtige Gegend", sagte ein Anwohner. Einen anderen sorgte, dass die Flüchtlinge sich womöglich draußen aufhielten, es somit zu Ruhestörungen kommen könnte.
Bremen-Schwachhausen, Dezember 2012: Flüchtlinge sollen in einer alten Schule temporär untergebracht werden, sie soll dafür umgebaut werden. Mögliche Außenduschen störten das "moralisch-ethische Empfinden derer, die in der Unterkunft wohnen und derer drumherum", sagt der CDU-Sprecher im Beirat.
Hamburg-Eimsbüttel, Dezember 2012: Eine geplante Wohnunterkunft für Asylbewerber auf einer ehemaligen Müllkippe grämte die Anwohner: "Wenn dort Kinder spielen, laufen sie Gefahr, Hautkrankheiten zu bekommen", sagte eine Anwohnerin. Laut Bebauungsplan sei eine Nutzung für soziale Zwecke nicht erlaubt.
Bremen-Obervieland, Juli 2013: Gegen den Bau einer Container-Unterkunft für 120 Geflüchtete werden Unterschriften gesammelt. In einem Flugblatt heißt es: Weil die mittellosen Flüchtlinge direkt mit dem Wohlstand der angrenzenden Neubausiedlung konfrontiert würden, sei "das Konfliktpotenzial nicht kalkulierbar". Der Bau bedeute einen "Wertverlust" für das Siedlungsgebiet.
Bremen-Schwachhausen, Dezember 2013: Nach Beteuerung der eigenen Weltoffenheit äußert ein Anwohner im konkreten Fall Skepsis, ob der Standort neben dem eigenen Wohnhaus auch dem Wohl der Flüchtlinge entspreche: Lärmbelastung, vielleicht Asbest, kein Auslauf für die Kinder.
Hamburg-Harvestehude, April 2014: Die Flüchtlinge "werden sich hier nicht wohlfühlen, wo sollen sie denn einkaufen? Sie haben ja nicht so viel Geld, um hier in den Geschäften einzukaufen", sagte eine Anwohnerin in "Spiegel TV" zur geplanten Unterkunft in einem alten Bundeswehrgebäude im reichen Stadtteil an der Alster.
Das Wohnheim wird von der städtischen Immobiliengesellschaft GBH errichtet. Im Bebauungsplan ist das 7.200 Quadratmeter große Grundstück als Spielfläche für den Stadtteil ausgewiesen. Von dieser Vorgabe hatte sich die GBH „befreien“ lassen. Hier setzte die Argumentation der Klägerin an: Eben weil das Gelände als Spielfläche geplant worden sei, hätte keine Baugenehmigung erteilt werden dürfen.
Das Gericht wies das schon aus formalen Gründen zurück. Die Klägerin wohne gar nicht im selben Bebauungsplangebiet und sei deshalb nicht Betroffene, sagte Gerichtssprecher Burkhard Lange der taz. Schon im Eilverfahren hatte sich die Kammer auch inhaltlich positioniert: Weil lediglich ein Drittel des betreffenden Grundstücks zur Bebauung freigegeben worden sei, bleibe auch dann noch genug Platz zum Spielen, wenn das Wohnheim fertig errichtet sei.
Die Klägerin hatte zudem vermeintliche Gefahren sowie unzumutbare Störungen ins Feld geführt, die von einem etwaigen rechtsextremistischen Anschlag auf eine Gasfernleitung am Rande des Grundstücks drohten. Konkret befürchtete die Frau, dass im Falle einer Gasexplosion die Flüchtlingsunterkunft beschädigt werden und herumfliegende Gebäudeteile sie selbst verletzen und ihr Haus in Mitleidenschaft ziehen könnten.
Das Gericht sah auch das völlig anders. Abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit eines solchen rechten Angriffs sei der Abstand des Heims zur Gasleitung groß genug. Die Klägerin wiederum wohne 200 Meter von der Unterkunft entfernt und habe somit keinen darüber hinausgehenden Schutzanspruch.
Das Wohnheim im bürgerlichen Stadtteil Bothfeld ist für bis zu 50 Flüchtlinge konzipiert. Sie sollen dort von Sozialpädagogen betreut werden, rund um die Uhr soll ein Pförtner- und Hausmeisterdienst vor Ort sein. So sieht es zumindest das Leitbild zur Flüchtlingsunterbringung vor, das der rot-grün-dominierte Stadtrat beschlossen hat.
In der Nachbarschaft stieß das Vorhaben von Beginn an auf Vorbehalte. Während Zeitungen von „Luxus-Wohnheimen“ und „Asyl-Hotels“ schrieben, sammelte eine Bürgerinitiative hunderte Unterschriften. Einige Bothfelder sorgten sich, dass die Kriminalität steigen und der Wert ihrer Immobilien sinken könnte.
Die CDU vor Ort griff die Bedenken auf und forderte auch in den Ratsgremien mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung bei der Suche nach Standorten für Flüchtlingsunterkünfte. Allerdings wandten sich die Christdemokraten gegen eine Klage.
Auf den Rohbau des Wohnheims hatten Unbekannte Ende August einen Brandanschlag verübt. Nach Angaben der Polizei hatte ein Zeuge nachts zunächst Geräusche und Stimmen im Bereich des Bauwerks gehört. Anschließend habe er eine Person wegrennen sehen, einen Knall gehört und Flammen im Bereich des Daches bemerkt.
Durch das Feuer wurde die Dachkonstruktion beschädigt. Die Polizei schätzt den Schaden auf rund 10.000 Euro und ermittelt wegen vorsätzlicher Brandstiftung.
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