Wölfe im Berliner Ring: „Wölfe sind Opportunisten“
Ein Wolfsrudel hat sich nahe Berlin niedergelassen. Der Wildtierbeauftragte des Senats Derk Ehlert erklärt, warum das keine schlechte Nachricht ist.
taz: Herr Ehlert, sind die Bedingungen in der Döberitzer Heid für Wölfe gut, um sich dort langfristig anzusiedeln?
Die Tiere Erstmals lebt ein Wolfsrudel innerhalb des Berliner Autobahnrings. Das Paar mit vier Welpen wurde vor rund vier Wochen in der Döberitzer Heide von einem Fotografen gesichtet. Das Gebiet ist ein ehemaliger Truppenübungsplatz westlich von Berlin und heute ein etwa 4.500 Hektar großes Naturschutzgebiet. Die Wölfe befinden sich in einem rund 1.800 Hektar großen umzäunten Teil der Heide.
Die Menschen müssen sich vor den Wölfen nur fürchten, „wenn das Tier sich auffällig verhält“, sagt Ehlert. (taz)
Derk Ehlert: Das ist schwer zu sagen, da wir nicht so viel Erfahrung mit Wölfen haben. Grundsätzlich haben Wölfe sehr große Reviere. Die Döberitzer Heide ist zwar groß, aber ob das langfristig für Wölfe ausreicht als Lebensraum oder nur vorübergehend, so lange es genügend Beutetiere gibt, bleibt abzuwarten.
Wieso haben Wölfe so ein großes Revier?
(lacht.) Da müssen Sie die Wölfe fragen. Das sind Tiere, die riesige Strecken laufen. Sie brauchen die großen Flächen, um sich ausreichend und ausgewogen zu ernähren. Aber Wölfe sind intelligent genug, nicht mehr Beutetiere zu töten, als sie brauchen, schließlich müssen sie nachhaltig davon leben. Für den Wolf macht es keinen Sinn, die Beutetiere auszurotten, von denen er lebt.
Es ist jetzt in der Döberitzer Heide vorgekommen, dass Schafe gerissen wurden. Was bedeutet das für die Tierhalter in dem Gebiet?
Grundsätzlich sind Wölfe Opportunisten und nehmen das, was sie am leichtesten bekommen können. In der Regel sind das Wildtiere wie Rehe und Hirsche. Wenn sie aber gelernt haben, dass auch ungeschützte Nutztiere wie Schafe leichte Beute sind, ist die Gefahr groß, dass sie diese wiederholt angreifen. Die Schäfer wissen um diese Situation vor Ort. Deshalb ist auch die Sielmann-Stiftung aktiv und versucht gemeinsam mit den Schäfern, ihre Tiere durch bessere Maßnahmen zu schützen.
Was wäre das zum Beispiel?
Die Einzäunung der Schafe könnte verbessert werden. Auch Herdenschutzhunde können Angriffe durch Wölfe reduzieren.
Müssen Bewohner um die Döberitzer Heide herum, etwa in Spandau oder dem Havelland, Angst vor den Wölfen haben?
Davon ist nicht auszugehen. Wölfe sind und bleiben Tiere, die dem Menschen eher aus dem Weg gehen. Das heißt aber nicht, dass man ihnen nicht auch mal plötzlich gegenüberstehen kann, weil sie denselben Landschaftsraum nutzen wie wir. Sie laufen große Strecken entlang von Wegen und Straßen, Kanälen und Flüssen, so wie die Menschen auch. Südlich und nördlich von Berlin gibt es mehrere Hauptwanderwege von Wölfen. Deswegen ist es nicht unwahrscheinlich, Wölfen auch mal zu begegnen.
Wäre das gefährlich für den Menschen?
Nein. Es kommt inzwischen in Deutschland regelmäßig zu Begegnungen zwischen Mensch und Wolf. Für beide ist es ein besonderes Erlebnis. Gefährlich würde es erst dann werden, wenn der Wolf sich auffällig vertraut verhält oder dauerhaft im Siedlungsraum lebt.
Es gibt also keinen Grund zur Beunruhigung?
Derk Ehlert, geboren 1967, studierter Landschaftsplaner, ist seit 2001 als Wildtierexperte des Landes Berlin bei der Senatsverwaltung für Umwelt zuständig für Wildtiere im städtischen Raum.
Richtig. Wölfe leben schon länger im Gebiet südlich der Berliner Stadtgrenze und auch im südöstlichen Bereich innerhalb des Autobahnrings. In der Döberitzer Heide gibt es aber erstmalig ein Paar, das Junge hat, also ortstreu ist und sich reproduziert hat.
Direkt nach Berlin kommen die Wölfe also nicht?
Bislang ist uns nur ein Fall bekannt. Das Tier war vier Tage am südöstlichen Stadtrand. Das hat aber niemand mitbekommen. Wir wussten davon nur, weil das Tier einen Sender trug, der satellitengesteuert den genauen Standort verriet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen