Wo USA, Russland und Iran sich treffen: Indiens geopolitische Bühne
Zum zehnten Mal findet der sicherheitspolitische Raisina Dialogue in Delhi statt. Die Konferenz zeigt: Die Weltordnung verändert sich. Doch China fehlt.

In Delhi wird einmal mehr klar: Die heutige Weltordnung ist nicht nur multipolar, sondern auch fragmentierter als zuvor. Neue Akteure gewinnen an Einfluss, während die USA sich aus internationalen Institutionen zurückziehen und Europa mit sich selbst beschäftigt ist. Das schaffe Raum für Mittelmächte wie Indien und Indonesien, argumentiert zum Beispiel Dino Patti Djalal, ehemaliger indonesischer Botschafter in den USA, auf einer der großen Bühnen.
„Eine Weltordnung, die nur von den USA und China dominiert wird, wollen weder Indien noch Europa“, sagt Amrita Narlikar, die für den indischen Thinktank ORF arbeitet. Dieser richtet den Dialog zusammen mit dem indischen Außenministerium aus. Zuvor war sie Leiterin des German Institute for Global and Area Studies in Hamburg.
Während in München die transatlantischen Allianzen im Fokus stehen, zeigt der Raisina Dialogue: Politische Debatten werden nicht mehr nur vom Westen bestimmt. „Indien ist selbstbewusster geworden“, sagt Narlikar. Es verstehe sich nicht mehr nur als Brücke zwischen dem Globalen Süden und dem Westen, sondern als eigenständige Macht. „Delhi bietet Nato-Mitgliedern eine Plattform, um einige ihrer Probleme zu diskutieren“, sagte sie.
„Eine neue Weltordnung“
Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar nutzte die Bühne, um eine Reform der Vereinten Nationen und multilateraler Institutionen zu fordern. „Es ist wichtig, die Entwicklungen der Welt in den letzten acht Jahrzehnten kritisch zu überprüfen“, sagte er. „Wir brauchen eine neue Debatte – und in diesem Sinne auch eine neue Weltordnung.“
Dass Indien eine zunehmend zentrale Rolle spielt, bestätigt Rainer Rudolph, stellvertretender Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). „Für uns ist Indien ein wichtiger Akteur mit einer immer aktiveren Außenpolitik“, sagt er. Es arbeite als Demokratie mit Russland und China in der Staatenvereinigung BRICS zusammen, genauso wie mit den Demokratien Brasilien und Südafrika, sagt der Diplomat.
„Die Herausforderungen sind für alle ähnlich“, so Rudolph. Der Ukrainekrieg etwa: „Manche Länder des Globalen Südens sagen: Das ist kein territoriales Problem, das uns direkt betrifft. Damit haben sie nur vordergründig recht“, denn es gehe um das Völkerrecht und die Frage, wie man damit umgeht. Auch Chinas Vorgehen im Südchinesischen Meer nennt er als Beispiel.
Auf der von Indiens Premier Narendra Modi eröffneten Veranstaltung waren neben Vertretern der MSC weitere prominente Sprecher:innen zu Gast. Etwa Tulsi Gabbard, US-Geheimdienstkoordinatorin. Sie wollte klarmachen, dass „America First“ nicht Amerika allein bedeute, und betonte die Freundschaft zu Indien. Von 20 erwarteten Außenminister:innen kamen 11 aus Europa. Während Sergei Lawrow absagte, betonte der ukrainische Außenminister vor Ort: „Wir sind nicht das Hindernis für den Frieden.“
Vertreter:innen aus Russland und Iran sind zugegen
Für Narlikar, die Honorary Fellow am Darwin College in Cambridge ist, ist die Vielfalt der Perspektiven ein Punkt, in dem sich Raisina von Foren in Europa unterscheide. Etwas, worüber man in Europa kaum spreche, sei Multi-Alignment, sagt sie der taz. Multi-Alignment bedeutet: Länder des Globalen Südens arbeiten an einer Diversifizierung ihrer Allianzen mit mehreren global wichtigen Akteuren. Europa habe sich lange auf die Sicherheitsgarantie der USA verlassen, sagt sie, doch diese würden brüchig.
Raisina bietet Raum für Stimmen, die anderswo ausgeschlossen sind, so Narlikar. Nicht um ihnen zuzustimmen, sondern um Dialog zu ermöglichen. In diesem Jahr saßen Vertreter:innen aus den USA, Russland, Iran und Deutschland gemeinsam auf Podien. Der iranische Diplomat Saeed Khatibzadeh betonte, dass der Globale Süden mehr Gehör einfordere.
Ein Land kam aber nur am Rande vor: China war mit lediglich einem Redner – von insgesamt über 300 – präsent. Gleichzeitig sorgte die Teilnahme von Szu-Chien Hsu von der Taiwan Foundation for Democracy für Aufmerksamkeit, wenn sie auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leistungsloses Einkommen
Warum Erben lieber über „Neid“ reden als über Gerechtigkeit
Baerbock bei der UN-Vollversammlung
Forsch, aber nicht unfeministisch
Israels Krieg im Gazastreifen
Hunderte Tote nach zwei Tagen israelischen Bombardements
CDU-Politikerin mit Faktenschwäche
Taugt Populistin Klöckner zur Präsidentin des Bundestags?
Baerbock will zur UN
Traumjob mit Geschmäckle
Schauspielerin Rachel Zegler
Rassismus gegen Schneewittchen