Wissenswertes zum Generalstreik: Die Wutgriechen

Seit Mittwoch läuft ein Generalstreik in Griechenland. Auslöser ist das neue Sparprogramm der Regierung. Wer streikt? Warum? Zurecht? Eine griechischer Kollege gibt Antworten.

Nichts geht mehr: Eleftherios Venizelos, Griechenlands größter Flughafen, am Mittwoch. Bild: dapd

Wer streikt und wogegen?

An diesem Mittwoch streiken fast alle im Beamten- und Arbeiterstaat Griechenland. Anders als in Deutschland dürfen Staatsbedienstete in Griechenland in den Ausstand treten und im Moment kosten sie dieses Gefühl der Freiheit richtig aus. Auch Kleinverdiener, Rentner und Studenten gehen auf die Barrikaden.

Ob der Streik gegen die Troika aus EU, EZB und IWF oder Angela Merkel gerichtet ist? Da liegt wohl ein Missverständnis vor: Diese Menschen protestieren, weil sie die Sparmaßnahmen der eigenen Regierung als unfair empfinden. Sie merken nämlich, dass griechische Politiker seit Jahrzehnten für Sparmaßnahmen plädieren, aber ihre Günstlinge trotzdem zu versorgen wissen.

Wäre schön, wenn die Regierung sich an die eigene Nase fasste und nicht mehr versuchte, mit Europa das übliche Schwarze-Peter-Spiel zu spielen, nach dem Motto: Wenn es gut wird, dann liegt es an uns, aber wenn es schlimm kommt, dann war es die EU.

Ist das verständlich?

Für die meisten Menschen sind Armut und Arbeitslosigkeit relative Größen, will heißen: Wenn man selbst Arbeit hat, ist die Arbeitslosenquote 0 Prozent. Und wenn man sie verliert, tendiert sie gegen 100 Prozent.

Also: Ich muss doch Verständnis haben dafür, dass Leute, die ihren Job verlieren oder ihre Familie mit 600 Euro im Monat ernähren müssen, auf die Barrikaden gehen. Und wenn ich etwa daran denke, dass 2008 Lufthansa-Piloten den ganzen Flugbetrieb in Deutschland lahmlegen wollten, um eine Lohnerhöhung in Höhe von 7,4 Prozent zu erstreiken, dann erscheinen mir die Streikaktionen griechischer Familienväter an der Armutsgrenze erst recht nachvollziehbar.

Andererseits: Was ist mit uns Freiberuflern, die jedem Euro hinterherjagen und Weihnachtsgeld nur vom Hörensagen kennen? Wäre es nicht schön, wenn es auch mal in Griechenland ein "service minimum" am Streiktag gäbe, wie etwa in Frankreich?

Wie ist der Blick aus Deutschland?

Eins vorweg: Die meisten Kollegen in Deutschland berichten "hart aber fair" über Griechenland. Schade nur, dass ihre Analysen ein viel kleineres Publikum erreichen, als Politikersprüche oder Tiraden der Boulevardblätter. Sicher, ich kann gut verstehen, dass sich CSU-Größen Sorgen machen um das Geld der Steuerzahler. Aber warum eigentlich erst heute und nicht etwa, als die Steuerzahler mit 145 Milliarden Euro für die Münchner Hypovereinsbank zur Kasse gebeten wurden?

Was die Vorurteile betrifft: Ich kann wirklich nicht bestätigen, dass die Griechen mit 50 in Rente gehen – bis auf wenige Ausnahmen, etwa Flugpiloten oder Feuerwehrleute. Ob diese Frühpensionierungen finanzpolitisch vertretbar sind, weiß ich nicht, aber mal ehrlich: Möchten Sie von einem 70-jährigen Herzchirurgen operiert oder von einem 65-jährigen Piloten nach Kreta geflogen werden?

Stichwort Korruption: Ich könnte diesem Thema ein ganzes Buch widmen, aber ja, Korruption und Vetternwirtschaft sind die größten Probleme im heutigen Griechenland, wichtiger noch als die Schuldenkrise. Ob die politischen Familiendynastien des Landes den Mut aufbringen, dagegen zu kämpfen? Eher nicht, dann würden sie sich abschaffen.

Wertvolle Partner in diesem Kampf vermute ich eher im europäischen Ausland – vielleicht sogar bei Journalisten in Deutschland? Aber dann bitte mit Analysen und Argumentationsketten, nicht mit pauschalisierenden Schlagzeilen über Griechen, die angeblich in Saus und Braus auf Kosten der Deutschen leben.

Sollte man reiche Griechen besteuern?

Gut gedacht, aber nicht einfach in die Praxis umzusetzen. Die wirklich reichen Griechen leben nämlich sowieso im Ausland oder haben dort ihren Steuersitz. Das ist auch verständlich, denn Griechenland ist ein kleiner Markt, der kaum Rekordgewinne verspricht. Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn man in Athen oder Thessaloniki Nobelärzte und -anwälte ausfindig machte, die angeblich nur 20.000 Euro im Jahr verdienen und trotzdem mehrere Immobilien und Yachten besitzen. Auch gegen Steuerungerechtigkeit streiken die Griechen heute.

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