Wissenschaftler über Iran und Israel: "Es muss kein Atomkrieg werden"
Er rechne nicht mit einem israelischen Alleingang, sagt Meir Litvak von der Universität Tel Aviv. Noch könne man die Iraner abschrecken.
taz: Herr Litvak, glauben Sie, dass Teheran durch verschärfte Sanktionen noch zu einem Richtungswechsel gezwungen werden kann?
Meir Litvak: Es müsste sich um eine klare Verschärfung handeln, wie ein Handelsstopp für iranisches Benzin. In dem Moment, wo im Iran eine schwere finanzielle Krise entsteht, könnte man etwas erreichen. Das würde allerdings die Kooperation von Russland und China voraussetzen und das ist eher unwahrscheinlich. Auch ob der Westen hier mithalten würde, ist gar nicht so sicher. Dort besteht Sorge um die Ölpreise.
Halten Sie einen Atomstaat Iran für eine existenzielle Bedrohung für Israel?
Was heißt denn existenzielle Bedrohung? Eine Bombe allein wird Israel nicht zerstören. Aber wenn es tatsächlich zu einem Krieg kommen sollte, und es sterben 100.000 Menschen in Tel Aviv und das Handels- und Finanzzentrum wird zerbombt, welches Israel haben wir dann noch? Ist es dann noch möglich, als Staat und als Gesellschaft zu funktionieren? Ich weiß es nicht. Das heißt, auch wenn der Staat nicht zerstört wird, so kann es doch zu einem solchen Schaden kommen, dass die Existenz gefährdet ist.
Dann halten Sie einen iranischen Angriff mit atomaren Waffen für möglich?
Nicht zwingend. Ein Krieg zwischen Iran und Israel muss keineswegs ein Atomkrieg sein. Man kann die Iraner abschrecken. Israel kann das, die USA und andere Staaten könnten den Iran abschrecken und davon abhalten, atomare Waffen einzusetzen.
geb. 1958 in Jerusalem und promoviert an der Harvard-Universität, Direktor des Instituts für Iranstudien am Dayan-Zentrum für Nahost- und Afrikastudien, Universtität Tel Aviv.
Warum dann die Aufregung?
Ein Atomstaat Iran ist aus mehreren Gründen problematisch. Auch wenn es im Moment nicht so aussieht, als plane die Führung in Teheran einen Angriff, können wir nicht sicher sein, was danach kommt und ob eine Abschreckung auch nach einem Führungswechsel noch möglich ist. Iran unter dem Schutzschirm der Atomwaffe wäre zudem in der Lage, Terrorgruppen den Rücken zu decken. Stellen Sie sich vor, dass die Hisbollah hunderte Raketen auf Israel abschießt und Iran signalisiert, dass jeder Gegenschlag Israel teuer zu stehen käme. Das wäre für Israel ein bedeutsames Problem. Die dritte Gefahr ist, dass, wenn Iran Atommacht wird, auch Saudi-Arabien entsprechende Ambitionen zeigen wird und die Türkei und Ägypten. Dann hätten wir einen Nahen Osten mit vier, fünf oder sechs Atomstaaten. Damit wächst die Gefahr, dass aus Versehen oder infolge von Missverständnissen oder der Eskalation von Konflikten Atomwaffen zum Einsatz kommen. Der Nahe Osten wird damit für sich und für die Welt gefährlicher.
Was passiert im Iran. Wo ist die Opposition, die nach den Wahlen auf die Straße ging?
Die ist komplett demoralisiert und gelähmt. Ich glaube, dass die Mehrheit der Iraner dem zwar nicht guten aber vertrauten Status quo den Vorzug vor einer ungewissen Zukunft geben. Außer Zweifel ist außerdem, dass die Unterdrückung durch das Regime im Augenblick effektiv ist. Es kann sein, dass die Opposition auch daran scheitert, eine breite Agenda zu schaffen, die über das Ziel der Demokratisierung hinausgeht.
Dann wird sich Ahmadinedschad halten können?
Das Atomprogramm fällt nicht unter Ahmadinedschads Zuständigkeit, sondern unter die des Obersten Rechtsgelehrten. Ahmadinedschad spielt hier keine Rolle. Das Problem ist, dass im Iran offenbar ein breiter Konsens in der Atomfrage besteht. Die meisten Iraner sind der Meinung, dass der Iran als Atomstaat eine internationale Aufwertung genießen würde. Außerdem wird es als ungerecht empfunden, wenn Indien und Israel Atomstaaten sein dürfen, der Iran aber nicht. Das trifft die nationalen Gefühle.
Wie schätzen Sie die Chance auf einen Präventivschlag der israelischen Luftwaffe gegen die iranischen Atomanlagen ein?
Ich weiß es nicht. Im Moment, solange unklar ist, ob die internationale Gemeinschaft aktiv wird oder nicht, rechne ich nicht mit einem israelischen Alleingang.
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