Wissenschaft für alle: Der gesellschaftliche Dialog fehlt
Der Hype um Großveranstaltungen wie „Nacht der Wissenschaft“ oder „Wissenschaftssommer“ nimmt ab. Das Ziel, einen Dialog mit den Bürgern zu führen, wurde verfehlt.
BERLIN taz | An diesem Wochenende gehen Wissenschaftler in Lübeck auf die Straße. Nein, nicht aus Protest. Vielmehr wollen die Forscher mit dem „Wissenschaftssommer“ auf dem Lübecker Markt für die Faszination ihres Entdeckerberufs werben.
In Berlin fahren am Samstag eine Nacht lang Busse 73 Unis und Forschungsinstitute an, wo den Besuchern an 2.500 Stationen faszinierende Experimente und volksnahe Vorträge geboten werden.
Am Mittwoch hat Bundesforschungsministerin Annette Schavan das Binnenschiff „MS Wissenschaft“ gestartet, das mit einer Ausstellung zum Wissenschaftsjahr „Zukunftsprojekt Erde“ bis Mitte Oktober quer durch die Republik schippert.
Für die Popularisierung der Wissenschaft wird inzwischen ein enormer Aufwand betrieben. Aus dem Aufruf des Stifterverbandes 1999, in Deutschland mehr für das „Public Understanding of Science“ zu tun, ist seitdem eine regelrechte Event-Industrie entstanden. Allein das Bundesministerium für Bildung und Forschung gibt für sein Wissenschaftsjahr 6 Millionen Euro aus, das Wissenschaftsschiff kostet eine knappe Million.
Den Lübecker „Wissenschaftssommer“ finanziert die Initiative „Wissenschaft im Dialog“, die von den zehn führenden deutschen Forschungsorganisationen getragen wird.
„Wir wollen mit unseren Darbietungen die Faszination der Forschung auch den Nichtwissenschaftlern vermitteln“, begründet Stefan Schwartze vom Vorstand des Geoforschungszentrums Potsdam den nächtlichen Einsatz der insgesamt rund 1.000 Wissenschaftler und Studenten.
Bevölkerung aktiv einbeziehen
Allerdings machen sich erste Erschöpfungssymptome bemerkbar. Mit 32.000 Besuchern im vorigen Jahr hatte die Berliner Wissenschaftsnacht das Ende des Wachstums erreicht. Der Wissenschaftssommer, der zuvor im Jahreswechsel eine deutsche Landeshauptstadt beglückte, findet diesmal in Lübeck zum letzten Mal statt.
Auch der Stifterverband hat seinen Wettbewerb zur Identifizierung der führenden „Stadt der Wissenschaft“ Deutschlands eingestellt. Zudem mehren sich sogar wissenschaftliche Zweifel am Nutzwert der Aktionen.
In einer Studie der Universität Bielefeld kamen Peter Weingart und Miriam Voß zu dem Ergebnis, dass mit den Wissenschaftsjahren des BMBF „zwar häufig große Teilnehmerzahlen gewonnen werden, das Ziel eines gesellschaftlichen Meinungsdialoges jedoch verfehlt wird“.
Hinzu komme, dass bei der Zielgruppenansprache „vor allem diejenigen erreicht werden, die sich ohnehin schon für Wissenschaft und Technik interessieren“. Einige Kritiker sehen in dieser Form der Wissenschaftsdarbietung gar ein „Beten für die Frommen“.
Markus Weißkopf, Geschäftsführer von Wissenschaft im Dialog, sieht dagegen keineswegs das Ende des Gesprächs zwischen Bürgern und Forschern gekommen. Der „Wissenschaftssommer“ habe sich als zentrale Veranstaltung überlebt, weil es inzwischen viele lokale Wissenschafts-Events gebe.
„Wir sind aber dabei, mit neuen Formaten wie den Bürgerkonferenzen“, erklärt Weißkopf, „nicht nur über Wissenschaft zu informieren, sondern die Bevölkerung auch aktiv einzubeziehen.“ Bei umstrittenen Themen, wie der Kohlendioxid-Speicherung CCS oder der grünen Gentechnik, dürften da hitzige Debatten im Bürgerzelt der Wissenschaft bevorstehen.
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