Wirtschaftskrise in der Türkei: Es geht steil bergab

Rekordarbeitslosigkeit, Pleiten, Inflation, kaum noch Devisenreserven: Nach den Wahlen wird die Situation in der Türkei immer schlimmer.

Marktstände mit Lebensmitteln

Ein Markt in Ankara. Waren werden immer teurer Foto: dpa

ISTANBUL taz | Die Wirtschaftskrise in der Türkei lässt sich immer schwerer vertuschen. Bis zu den Kommunalwahlen am 31. März hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit finanziellen Wahlgeschenken wie Steuererleichterungen auf Benzin oder preiswertem Gemüse an Ständen der Gemeindeverwaltungen noch versucht, seine WählerInnen bei Laune zu halten. Derzeit, zwei Wochen danach, kommen die Hiobsbotschaften umso massiver.

Die regierende AKP hat nicht nur in den Großstädten trotz der Geschenke die Wahl verloren, sie muss nun auch offenlegen, dass die ökonomischen Kennzahlen in allen wichtigen Bereichen nach unten zeigen. Anfang der Woche gab das Statistikamt bekannt, dass die Arbeitslosigkeit so hoch ist wie seit zehn Jahren nicht mehr. Gut 15 Prozent aller Erwachsenen sind ohne Arbeit. Bei den Jugendlichen sind es sogar rund 30 Prozent. Das sind die offiziellen Zahlen, tatsächlich liegt die reale Arbeitslosigkeit noch wesentlich höher.

Dazu kommt, dass die Preise für Lebensmittel nach wie vor stark steigen, obgleich die Inflation angeblich bei 20 Prozent gestoppt werden konnte. Auf den Lebensmittelmärkten entschuldigen sich die Verkäufer bei ihren Kunden, dass jetzt nach Zwiebeln und Auberginen auch Kartoffeln und Paprika so teuer geworden sind; sie könnten nichts dafür.

Die Gründe für die Preissteigerungen sind, dass für die Bauern Diesel, Dünger und Saatgut, alles Importgüter, so teuer geworden sind, dass sie die Kosten auf ihre Erzeugnisse draufschlagen müssen.

Hochhauskomplexe stehen leer

Das zehrt an der Kaufkraft, was sich wiederum negativ bei der Automobil – und Bauindustrie niederschlägt. Der Autoverkauf war schon im letzten Jahr um 30 Prozent eingebrochen und ist in den ersten Monaten 2019 noch weiter zurückgegangen und aus dem Bauboom der letzten Jahre sind etliche Bauruinen zurückgeblieben, die von pleite gegangenen Baufirmen nicht mehr fertiggestellt wurden.

Auch viele der fertig gebauten Hochhauskomplexe stehen weitgehend leer. Niemand kann sich die teuren Wohnungen mehr leisten. Makler in Istanbul berichten, dass der Immobilienmarkt praktisch tot ist. Es gäbe keine Käufer mehr.

Um dringend benötigtes ausländisches Kapital aufzutreiben, hatte Präsident Erdoğan in dieser Woche seinen Schwiegersohn und Finanzminister Berat Albayrak nach Washington und New York geschickt. Regierungsnahe Medien in der Türkei berichten stolz, dass Albayrak von US-Präsident Donald Trump persönlich empfangen wurde und Trumps Schwiegersohn Jared Kushner gemeinsam mit Erdogans Schwiegersohn bei einer Lobbyveranstaltung der US-Handelskammer auftauchte.

Dagegen schreibt die Nachrichtenagentur Reuters, dass Albayrak gemeinsam mit dem türkischen Zentralbankchef Murat Cetinkaya bei einem Treffen mit 400 Investoren in einem Washingtoner Hotel nicht überzeugen konnte. „Die Zweifel am Zustand der türkischen Wirtschaft konnten nicht ausgeräumt werden“, sagte ein Insider zu Reuters, der anonym bleiben wollte. „Das lief nicht gut“.

Die Zweifel bei möglichen Investoren dürften sich durch einen Bericht der renommierten „Financial Times“ (FT) vom Donnerstag noch vertieft haben. Nach Angaben des Wirtschaftsblattes sind die Zahlen der türkischen Zentralbank zu ihren Devisenreserven geschönt.

Hilfeersuchen beim IWF

„Experten“ so die FT, gehen davon aus, dass die tatsächlichen Reserven weit unter den offiziellen 28 Milliarden US-Dollar liegen. Ohne frisches Geld von außen wird die Zentralbank bald wohl notgedrungen erneut mehr Lira drucken und die Inflation damit weiter anheizen. Die Abwärtsspirale dreht sich schneller, ein türkisches Hilfeersuchen beim Internationalen Währungsfond rückt damit allen Dementis zum Trotz näher.

Einer, der das bereits im vergangenen Jahr prophezeit hatte, der angesehene Ökonom Mustafa Sönmez, wurde am Sonntag für einen Tag festgenommen, weil er angeblich den Präsidenten beleidigt hatte. Auch diese Form der Einschüchterung von Kritikern dürfte die Krise nicht stoppen.

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